Aus den Feuilletons

2017 das letzte Wahljahr in der Türkei?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Rednerpult, im Hintergrund mehrere türkische Flaggen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan könnte künftig das Parlament vollständig umgehen, befürchtet Bülent Mumay. © dpa/picture alliance/Turkish President Press Office
Von Adelheid Wedel · 10.01.2017
Der türkische Journalist Bülent Mumay macht sich große Sorgen um das Parlament der Türkei. Im neuen von Erdogan angestrebten Präsidialsystem hätten die Volksvertreter keine Macht mehr, klagt er in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
"Ist das die letzte Wahl in der Türkei?" fragt Bülent Mumay in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Schon in der Frage schwingt die Sorge mit, die im Text genauer artikuliert wird. Der Autor erinnert an die Gründung des türkischen Parlaments im Jahr 1920 durch Mustafa Kemal. Seitdem überstand das Parlament drei Militärputsche. "Dasselbe Parlament ist nun im Begriff, sich selbst den Todesstoß zu versetzen", klagt Mumay, und er erklärt: "Kemal und seine Kameraden nahmen dem Istanbuler Palast die Souveränität und übergaben sie dem Volk. Mit dem zurzeit im Parlament verhandelten Paket zur Verfassungsänderung soll die Souveränität dem Volk genommen und dem Palast in Ankara gegeben werden."
Das von Erdogan angestrebte "Präsidialsystem türkischer Art" vereint die gesamte Macht in der Hand einer einzigen Person, wenn mindestens 51 Prozent des Volkes dafür stimmen. Das heißt, "mit der Hälfte der Wählerstimmen wird er die Befugnis erhalten, hundert Prozent des Volkswillens vom Tisch wischen zu können". Und das bedeutet im politischen Alltag, "er kann fast alle höheren Positionen in der Justiz besetzen, er kann Minister auswählen, er kann Ministerien einrichten und auflösen ... er kann sein Veto gegen beschlossene Gesetze einlegen" und vieles mehr.
"In dem neuen Alleinherrschersystem, dem Präsidialsystem á la Türkei, hat das Parlament keinerlei Funktion mehr. Wir werden sehen, ob 2017 das Jahr sein wird, in dem die Bürger der Türkei, die sich in einer Gewaltspirale befindet, zum letzten Mal an einer Wahl teilnehmen können", fasst Bülent Mumay seine Warnung zusammen.

NZZ: "Alle mögen Michelle"

Michelle Obama winkt ins Publikum.
Michelle Obama hat das Weiße Haus auch für Randgruppen geöffnet, lobt die "Neue Züricher Zeitung".© picture alliance /dpa /Peter Foley
Politiker in Demokratien werden für eine bestimmte Zeit gewählt, sie kommen und gehen. Derzeit wird über den Abschied des Präsidentenpaares in den USA viel getrauert, privat und öffentlich. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schlägt sich auf die weibliche Seite des Obama-Duos und schreibt:
"Alle mögen Michelle. Ihre Popularität hat in den acht Jahren Amtszeit ihres Gatten alle seine Umfragetiefs ohne Anfechtung überstanden. Die selbstbewusste Juristin, humorvoll, glamourös, warm und direkt, hat auch konservative Wähler und Wählerinnen für sich eingenommen", auch wenn Andrea Köhler daran erinnert, "dass eine schwarze First Lady nicht allen willkommen war". Als sie beim Einzug ins Weiße Haus erklärte, "sie sei nicht immer stolz auf ihr Land gewesen, wurde sie allerorten als 'angry black woman' gegeisselt. Für eine Frau, deren Vorfahren Sklaven waren, gibt es freilich gute Gründe, mit dem Stolz auf ihr Land hauszuhalten".
Der Artikel in der NZZ zählt die Initiativen von Michelle Obama im sozialen Bereich auf, erwähnt auch das Anpflanzen eines Gemüsegartens im White House Garden. Melanie Trump kann man sich beim Jäten jedenfalls schwerlich vorstellen, und "überhaupt ist kaum ein größerer Kontrast vorstellbar als der zwischen den Damen an Trumps Seite und der Frau, die alle umarmte und das Weiße Haus für gesellschaftliche Randgruppen geöffnet hat", resümiert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.

Feuilletons würdigen Zygmunt Bauman

Zygmunt Bauman (1925-2017)
Zygmunt Bauman (1925-2017)© dpa / picture alliance / EFE / Toni Albir
"Versöhnt mit dem Durcheinander der Welt", das gilt auch für den Soziologen und Philosophen Zygmunt Bauman, der am Montag im Alter von 91 Jahren in Leeds gestorben ist. Dem polnische Wissenschaftler gelten lobende Nachrufe in allen uns vorliegenden Zeitungen, er habe "den Fundamentalismus früh als postmodernes Phänomen begriffen", schreibt zum Beispiel Wieland Freund in der WELT.
Gregor Dotzauer nennt ihn im TAGESSPIEGEL "einen postmodernen Sozialisten mit verlorenen Utopien", Stephan Lessenich hebt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hervor: "Bauman erklärte das 20. Jahrhundert - und die beunruhigende Gegenwart". Sein: "Machen sie sich keine Hoffnungen, wenn Sie die Probleme der Welt klären wollen. Es ist unmöglich", hat bei ihm kaum resignative Wirkung, zumal man weiß, dass er sich bis zuletzt mit aktuellen Debatten über Flüchtlingskrise, Drohnen, Überwachung beschäftigte. Von "diesem professionellen Beobachter der Welt" stammt auch der Satz: "Meine Neugier weigert sich, in Rente zu gehen."
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