Aus dem Leben eines Genies

15.05.2008
Er war eigensinnig, arrogant, pedantisch und zugleich ein Zahlengenie: Der berühmte Mathematiker Carl Friedrich Gauß wird in Hubert Manias Biografie keineswegs als sympathischer Zeitgenosse beschrieben. Doch der Autor skizziert nicht nur den Menschen, sondern auch dessen wissenschaftliche Ideen.
Auch ein Genie braucht Glück. Ohne seine Förderer wäre der berühmte Mathematiker Carl Friedrich Gauß wohl nicht mehr als ein kluger Buchhalter geworden. Hubert Mania hat in seiner ausführlichen Biografie über Gauß alle Wege und Umstände, die den Mathematiker zum Genie gemacht haben, detailliert zusammengeführt.

Ein gelungenes Werk, das nicht nur den persönlichen Werdegang des Zahlengenies beschreibt, sondern die Figur Gauß in den historisch-politischen Kontext setzt. Geschichtliche Ereignisse, private Erlebnisse und wissenschaftliche Entdeckungen sind anschaulich miteinander verbunden. Und: Man muss kein Mathematikliebhaber sein, um Freude an dieser Biografie zu haben.
Gauß, der aus armen Verhältnissen stammt, fiel in der Schule durch sein unglaubliches Rechentalent auf. Schnell fanden sich Fürsprecher, die nach langen und hartnäckigen Verhandlungen mit dem Vater erreichten, dass das Kind zunächst aufs Gymnasium und später an die Universität gehen konnte.

Ende des 18. Jahrhunderts war das für den Sohn eines Saisonarbeiters und Schlachters eine unglaubliche Karriere. Finanziert wurden die Studien durch den Herzog von Braunschweig. Eine bessere Investition hätte der Landesvater für die Wissenschaft nicht machen können. Ohne Gauß’ Forschungen wäre Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie nicht denkbar.

So sehr man den Wissenschaftler Gauß für seine Leistungen bewundert, sympathisch ist dieser eigensinnige Mann nicht. Hubert Mania gelingt es hervorragend den Menschen zu skizzieren, indem er zum Beispiel aus seinen Briefwechseln mit verschiedenen Freunden und Kollegen zitiert. Stellt ein Kollege ihm eine neue mathematische Idee vor, kommentiert Gauß dies meist mit: "Sehr nett, aber das habe ich schon 20 Jahre erfunden."

Diese arrogante Haltung, sein übermäßiger Starrsinn und seine gnadenlose Pedanterie haben den größten Mathematiker seiner Zeit für viele unnahbar gemacht. Nicht nur Alexander von Humboldt, der mit Gauß korrespondierte, unterbrach zeitweise den Kontakt zum Mathematikgenie, weil er sich von ihm beleidigt fühlte.

Besonders gelungen sind die Verweise des Autors auf die Bedeutung der Gaußschen Formeln für unser heutiges Leben. Verschlüsselungstechniken im Internet oder statistische Berechnungen haben wir Gauß' genialem Gehirn zu verdanken. Das liegt heute übrigens eingelegt in Weingeist im Institut für Medizin und Ethik der Universität Göttingen und gehört zu den ältesten erhaltene "Elitenhirnen" Europas.

Solche Anekdoten, sowie mehrere szenische Passagen in denen das Genie mitten im Leben zu erleben ist, bringen dem Leser auch seine schwierigsten mathematischen Ideen näher. Denn Hubert Mania erläutert die wissenschaftlichen Erkenntnisse so, dass sie jeder Laie versteht.

Spannende Kapitel, zum Beispiel über die Vermessung des Königreichs Hannover, in dem Gauß wie ein Besessener durchs Land zieht und hundertmal ein und denselben Winkel misst, vermitteln wie viel dem Ausnahmemathematiker seiner Arbeit bedeutet hat. Hinter diesem rastlosen Schaffen verbirgt sich zwar auch ein Privatleben, über das in der Biografie ebenfalls ausführlich berichtet wird, doch die große Leidenschaft gehörte der Wissenschaft.

Anders als in Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt" ist Gauß hier kein Frauenheld, sondern ein seriöser 110-prozentiger Wissenschaftler, der seine Familie für die Erforschung wissenschaftlicher Phänomene oft und lange allein lässt. Denn das Genie widmet sich nicht nur der Mathematik, sondern ist auch als Astronom, Landvermesser und als Erfinder verschiedener Messgeräte sehr aktiv.

Gauß war ein Multitalent, dessen bewegtes Leben sich nachzulesen lohnt. Keinen Tag verbrachte der Rechenkünstler ohne Zahlen. Das Schöne: Hubert Mania erzählt die Geschichte dieses großen Genies ohne eine einzige mathematische Formel.

Rezensiert von Susanne Nessler
Hubert Mania: Gauß. Eine Biographie
Rowohlt, Reinbeck 2008
366 Seiten, 19,90 Euro