Aufnahmestelle Unna-Massen

Flüchtlingsunterkunft mit Nachbarschaftskonzept

Flüchtlingsunterkunft in Unna - einst Vertriebenenheim
Flüchtlingsunterkunft in Unna - einst Vertriebenenheim © picture alliance / dpa / Marcel Kusch
Von Katja Bigalke · 18.01.2016
Unna-Massen hatte dieses Kapitel 2009 eigentlich schon abgeschlossen: Die Aufnahmestelle für Vertriebene, seit 1952 hier in in Betrieb, sollte geschlossen werden. Bis zum letzten Jahr. Dann wurde klar: Es braucht neue Flüchtlingsunterkünfte. Und Unna wurde Erstaufnahmeeinrichtung.
Eine Wohnsiedlung im Stadtteil Unna-Massen, am Rande eines Feldes. Zweistöckige, grau-weiße Häuserblocks mit Giebeldächern und Balkonen stehen hier in Reih und Glied. Symmetrisch angeordnet. Mal parallel nebeneinander, mal V-förmig zugespitzt, mal versetzt in einer Linie. Dazwischen viel Grün. Rasenflächen mit Bäumen. Ein neues Fußballfeld.
"Rechts und links - das sind alles die Wohnhäuser. Wir haben unterschiedliche Häusergruppen: Frauen, Männer, Familien. Und dann werden die entsprechend untergebracht", erklärt Bettina Jendrusz vom Roten Kreuz. Sie ist die Leiterin der Einrichtung, in der zur Not bis zu 800 Menschen Platz finden, in insgesamt 17 Häusern.
Vor dem Gebäude mit der Nummer 56 warten Busse, Menschengrüppchen stehen auf dem kleinen Platz, auf dem an einem Brett Listen aushängen. Listen mit Namen, Terminen, Wohnhäusern:
"Das ist unsere Erstaufnahme - das war auch ein normales Wohnhaus. Besteht aus vier Wohnungen mit drei bis fünf Zimmern pro Wohnung. Und in denen sind die dann untergebracht worden, es gab ursprünglich mal Küchen allerdings werden sie von uns versorgt. Sie bekommen drei Mahlzeiten."
Die Erstaufnahme: Jendrusz führt in das kleine improvisierte Büro im Erdgeschoss des Hauses 56. Tisch, Stühle, Computer. Mehr braucht es nicht, sagt Roland Stefanie, der hier heute die Neuankömmlinge registriert:
"Die Asylbewerber erhalten die ersten Infos, was den Ablauf betrifft, zu welchen Behörden sie müssen, wann das Essen stattfindet, wo die Hygiene ist und die Kleiderspende."
Und sie sagt: "Auf der roten Gesundheitskarte schauen wir, ob er schon geimpft wurde. Dann wird ein Zimmer zugewiesen. Wir haben Häuser für alleinstehende Frauen, alleinstehende Männer und auch Familien, Wir versuchen auch nach Nationen zu trennen, dass es keine Sprachbarrieren gibt."
Als einfach beschreibt Stefanie die Unterkünfte der Flüchtlinge, zu denen der Zutritt wegen des Schutzes der Privatsphäre untersagt ist. Ehemalige Wohnungen für einen Vierparteienhaushalt, umgestaltet in Sammelunterkünfte.
"Ein bisschen wie in einer Jugendherberge - so ähnlich aufgebaut – In einem Gang das Badezimmer, Räume mit Betten für Familien oder Single-Männer. Wenn man eine Räumlichkeit hat, sind das sechs Betten. In manchen Zimmern sind Terrassen und Balkone. Die Stimmung ist im Großen und Ganzen ganz gut hier. Ich glaube, den Leuten ist bewusst, dass an anderen Stellen in Zelten gehaust wird, hier gibt es durchgehend fließendes Wasser, Badezimmer, Gebäude mit Heizung. Das ist fortschrittlich bzw. das sollte so sein."
Sehr gute Ausstattung - doch nur eine Durchlaufstation
Doch man fragt sich, warum eine Immobilie, die über diese Ausstattung verfügt, heute nur als kurzfristige Durchlaufstation genutzt wird? Im Gegensatz zu früher, als die Menschen hier in der Aufnahmeeinrichtung für Aussiedler und Flüchtlinge zum Teil mehrere Monate wohnten, Sprachkurse belegten, und die Kinder auf die benachbarte Schule und in den Kindergarten gingen, liegt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer heute zwischen drei und fünf Tagen.

Ein Grund für diese Übergangslösung könnte sein, dass eine Stadt die eine Erstaufnahmeeinrichtung betreibt, die Plätze dort auf die Gesamtzahl der in der Kommune aufzunehmenden Flüchtlinge anrechnen kann. Unna muss sich so kaum um langfristige Integration kümmern.
Die kurzfristige Grundversorgung und die notwendige administrative und medizinische Betreuung scheint aber zu klappen. Besser als anderswo, erklärt der Mittzwanziger Muhammed mithilfe eines Übersetzers. Er hat sich aus dem Irak auf den Weg nach Deutschland gemacht:
"Über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Deutschland. In Deutschland ist er in Schwanewede angekommen, mit den Unterlagen ging es da sehr langsam vorn und ist froh in Unna zu sein, war schon beim Bundesamt und wartet jetzt nur noch auf den Transfer. In Schwanewede ist wenig Platz, viele Menschen und hier sind es weniger Leute und alles geht viel schneller."
Das Gelände auf dem die jetzige Erstaufnahme zuhause ist, war ursprünglich mit 20 Hektar und 160 Gebäuden mal viel größer. Ursprünglich sollte die Neubaussiedlung, die hier 1951 errichtet wurde, auch nur vorübergehend als Einrichtung für Flüchtlinge und Spätaussiedler genutzt werden. Irgendwann sollten Bergarbeiter hier einziehen. Aber daraus wurde nichts.

Die Flüchtlinge aus Osteuropa, der DDR und später auch vom Balkan kamen kontinuierlich bis in die Nuller-Jahre. Den Bergbau in der Region hingegen gab es irgendwann nicht mehr. Letztendlich verdankt es die Landesstelle aber dieser weitergehenden Planung, dass sie nie den typischen Kasernencharakter anderer Durchgangslager aus der Zeit hatte.
In Unna-Massen gab es nie Zaun oder Schlagbaum, die die Siedlung von der Nachbarschaft getrennt hätten. Dafür aber eine an den Bedürfnissen der Flüchtlinge angepasste Infrastruktur mit Beratungsstelle des Arbeitsamtes und einer Außenstelle der Stadtverwaltung vor Ort.
"Das war in der damaligen Zeit modellhaft und dann auch dieses Zweistufenmodell mit Flüchtlingsunterkünften und dann normale Wohnzwecke. Das ist nicht mehr der Baustandard von heute aber für die damalige Zeit war das zukunftsweisend, dann auch offen, grün viele Wiesen, Spielplätze."
Der Ansatz: Normalität
Jürgen Kraska war ab 1989 in der ehemaligen Landesstelle beschäftigt. Zuletzt als Leiter, bis zur Schließung 2009.
"Das war so ein kleines Dorf. Wenn wir uns umschauen: Das war ein dreizügiger Kindergarten zum Schluss auch mit einer Gruppe für Kinder ab einem halben Jahr. Es gab auch zwei Kirchen: eine evangelische und eine katholische. Da vorne sehen Sie eine Ladenstraße. Da gab es einen Rewe-Markt und Post. Später auch einen Jugendtreff, auf der anderen Seite ein Metzger, Bäcker. Auch einen Fußballplatz - also: ein kleines Dorf."
Ein Dorf, das heute zum Teil von einer Hochschule in Beschlag genommen wird. In den beiden Kirchen haben sich eine koptische und eine jüdische Gemeinde niedergelassen Viele Gebäude auf dem Gelände sind mittlerweile ganz normale Wohnhäuser mit Blumen und Vorhängen in den Fenstern und BVB-Fahne im Garten. Die Erstaufnahmeeinrichtung ist geschrumpft. Das nachbarschaftliche Konzept ist geblieben.
"Das war immer ganz schön, weil es nie nur eine Aufnahmeeinrichtung war, sondern man lebte auch Tür an Tür das ging schon immer ineinander über."
Normalität nennt Kraska diesen Ansatz. Deswegen bekamen Menschen, die länger blieben als zwei Wochen, auch eigene Wohnräume.
"Wenn man sich das Ideal vorstellt. Nach meiner Erfahrung sehnen sich die Menschen auf der Flucht danach, anzukommen und Normalität zu haben, eine Wohnung für sich zu haben, eine eigene abgeschlossene, geschützt. Dann das nächste: Kochen. Sich selber seine eigenen Sachen zu kochen - deswegen hatten wir immer das Prinzip der Selbstversorgung. Und die Normalität, dass Kinder zur Schule gehen können, selber einkaufen zu gehen, sich in der Stadt bewegen zu können, den Nahverkehr kennen zu lernen, sein eigenes normales Leben führen zu können - das ist in der heutigen Situation nicht umzusetzen, sollte aber als Ziel im Auge behalten werden."
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