Aufarbeitung

"Üble Schicksale im DDR-Knast"

Holzbretterzaun und Stacheldraht am ehemaligen Straflager Perm 36, das bis 1989 von der Sowjetunion als Gefängnis für Dissidenten und andere Häftlinge benutzt wurde, aufgenommen am 24.07.2009. Die Anlage wird heute als GULAG-Museum benutzt.
Ehemaliges Straflager Perm 36 - heute als GULAG-Museum benutzt. © dpa / Matthias Tödt
Moderation: André Hatting · 02.09.2014
Dietrich Hübner und Mara Jakisch verbrachten viele Jahre ihres Lebens hinter Gittern - er in der DDR, sie im sibirischen Gulag. Später hat sich niemand mehr für ihre Geschichte interessiert - bis auf Susanne Schädlich, die die Schicksale der beiden recherchiert und nun einen Roman daraus gemacht hat.
André Hatting: "Herr Hübner und die sibirische Nachtigall", das ist die wahre Geschichte von Dietrich Hübner, der 1948 als 21-Jähriger im Gefängnis der sowjetischen Militärverwaltung landet und dort die doppelt so alte Mara Jakisch kennenlernt, eine Operettensängerin und Filmschauspielerin. Sie ist seine Zellennachbarin. Beide wollten ursprünglich die Welt verbessern, stattdessen verbringen sie lange Jahre im Gefängnis, der Liberaldemokrat Hübner in Bautzen, Mara Jakisch im sibirischen Gulag. Zwei bittere Schicksale, erzählt und damit für die Nachwelt bewahrt von der Schriftstellerin Susanne Schädlich. Herzlich willkommen bei uns im Studio, Frau Schädlich!
Susanne Schädlich: Schön, dass ich hier sein darf!
Hatting: Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Buch gekommen?
Schädlich: Der Dietrich Hübner ist ein entfernter Verwandter von mir und kam eines Tages auf mich zu. Und ich war die Glückliche, dass er mir seine Geschichte nach Dekaden des Schweigens anvertraut hat. Und wir haben viele Gespräche geführt anschließend, ich habe angefangen zu recherchieren, bin in etliche Archive gelaufen. Und im Zuge der Gespräche nannte er mir gegenüber den Namen Mara Jakisch und ob ich schon einmal von ihr gehört hätte, was ich natürlich verneinen musste, bin dann aber auch auf die Pirsch gegangen und habe peu à peu und mit sehr viel Hürden auch ihre Geschichte recherchiert.
Hatting: Und das Besondere an dieser Geschichte ist ja, dass sich beide – also Hübner und Jakisch – persönlich nie gesehen haben und eigentlich auch nicht so richtig kennengelernt! Ich habe vorhin gesagt, kennengelernt, das stimmt ja gar nicht so richtig. Sie waren Zellennachbarn und sie haben miteinander kommuniziert durch Klopfzeichen.
Schädlich: Ja, sie saßen beide in Dresden im Landgericht, Münchner Platz. Das war damals ein KGB-Gefängnis, 1948. Und es war üblich unter den Gefangenen, dass sie sich mit Klopfzeichen miteinander ... unterhalten ist zu viel gesagt, also sich Namen zu klopfen, dass, falls der eine oder andere herauskommt, den Angehörigen oder so mitteilen kann, wo jemand ist, denn die meisten verschwanden spurlos, von der Straße weg oder so, es herrschte Willkür, es herrschte Terror und die Leute verschwanden einfach.
Hatting: Beide sind dann irgendwann rausgekommen, beide durften die DDR beziehungsweise die Sowjetunion verlassen, sind in die Bundesrepublik gekommen, aber sind einander dann nicht mehr begegnet.
Schädlich: Nein, sie sind sich nie mehr begegnet.
Figuren, die damalige DDR-Häftlinge darstellen sollen, sind in einer rekonstruierten Gefängniszelle in der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus vom Verein Menschenrechtszentrum in Cottbus (Brandenburg) zu sehen.
Figuren, die damalige DDR-Häftlinge darstellen sollen, sind in einer rekonstruierten Gefängniszelle in der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus zu sehen.© picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Doppelter Maulkorb verpasst
Hatting: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie durch Dietrich Hübner selbst auf die Geschichte gekommen sind, er hat sie Ihnen anvertraut, er hat sie Ihnen erzählt. Er selber war 16 Jahre im Gefängnis. Wie schwer war das für ihn darüber zu sprechen?
Schädlich: Na ja, er hat, wie gesagt, jahrzehntelang geschwiegen. Das lag unter anderem daran, wie er sagte, dass sich die Öffentlichkeit und auch seine Parteifreunde wenig für seine Geschichte interessiert haben. Es war auch sozusagen der Mantel des Schweigens darüber gehüllt, nachdem die beiden aus der Haft jeweils, die eine aus dem Gulag, der andere aus der DDR, entlassen wurden, wurde ihnen gesagt, dass sie darüber nicht zu reden hätten.
Also, ihnen wurde der doppelte Maulkorb verpasst, einerseits von den DDR-Behörden, nichts von den üblen Schicksalen im DDR-Knast zu erzählen, Mara Jakisch nichts über die Gulag-Erfahrungen, und im Westen wurde ihnen das auch gesagt. Das hing dann bei Hübner schon damit zusammen, dass der Westen sich an den Osten annähern wollte, also, es war politisch nicht genehm. Und vorher waren die Jahre des Aufbruchs, da wollte man solche Geschichten einfach auch nicht hören, in den 50ern.
DDR wird nach wie vor verharmlost
Hatting: Nun ist das aber mittlerweile fast 25 Jahre her, die DDR-Geschichte. Und trotzdem hat er so lange gebraucht, darüber zu reden?
Schädlich: Naja, er hat halt immer noch das Gefühl, dass sich sowieso keiner dafür interessiert. Und im Übrigen ist ja auch, glaube ich, die Tendenz so, dass die DDR nach wie vor verharmlost wird und meines Erachtens auch ungern darüber gesprochen wird, dass die Anfänge dieses Staates eigentlich mit einem stalinistischen Terror begannen, also dass das nicht sehr viel unähnlich war dem Nazi-Regime gegenüber.
Hatting: Das ist jetzt eine sehr harte These.
Schädlich: Na ja, wenn man viel liest darüber und sich in diese Gefangenenschicksale einliest und auch, wie die Gefangenen behandelt wurden, da sind keine großen Unterschiede dann zwischen MfS und NKWD, das wurde teils übernommen, also eins zu eins übernommen. Und auch dass zwischen ... kurz nach dem Krieg die Leute einfach verschwanden, Terror und Willkür herrschte, Angst und Schrecken in der SBZ, Sowjetischen Besatzungszone, also dass politische Gegner ausgeschaltet wurden ...
Hatting: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie für diesen Roman auch in Archiven recherchiert haben, sowohl im Osten Deutschlands, also in den Archiven der ehemaligen DDR, als auch im Westen Deutschlands. War das eine leichte Recherche oder sind Sie auf Widerstände gestoßen?
Schädlich: Die größten Widerstände hatte ich eigentlich in der Friedrich-Naumann-Stiftung, FDP-Archiv, da waren viele Akten gesperrt, da war kaum ein Herankommen. Einige Akten wurden freigegeben, aber vieles eben auch nicht.
Hatting: Noch mal zur Erklärung, Dietrich Hübner war Liberaldemokrat, deswegen die Friedrich-Naumann-Stiftung.
Schädlich: Er war Liberaldemokrat und das war ja das Pendant zur FDP. Und die hielten sich einfach irgendwie ein bisschen bedeckt. Ansonsten war die Recherche einfach sehr schwierig, weil zu Mara Jakisch ganz wenig oder gar nichts existiert. Und da bin ich immer durch Zufallskontakte oder -funde schließlich auf ihre Geschichte gestoßen, der Nachlass lagert mittlerweile in der Gedenkstätte in Dresden, Bautzener Landstraße.
Hatting: Auf dem Cover des Buches steht "Roman", nicht etwa Biografie oder Doppelbiografie. Warum?
Schädlich: Ich wollte das als Roman verfassen, weil erstens ... Mir standen zwar viele Dokumente zur Verfügung und Akten und so weiter, aber viele Dinge, die Träume oder Gespräche oder Wünsche oder so, die da geschildert wurden, sind einfach in der fiktionalen Beschreibung, glaube ich, dem Leser zugänglicher und macht die ganze Sache lesbarer, als ein einfaches Sachbuch zu schreiben über zwei Schicksale, die so harsch waren.
Hatting: Also, künstlerische Freiheit ...
Schädlich: Ja.
Hatting: ... im Dienste der Lesbarkeit.
Schädlich: Sozusagen.
Zwei Biografien, die auch einiges über Deutschland sagen
Hatting: "Herr Hübner und die sibirische Nachtigall" ist wieder ein biografisch geprägtes Buch von Ihnen, Sie erzählen also echte Lebensgeschichten. Um Ihre eigene ging es in "Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich". Darin erzählen Sie, wie Sie 1977 die DDR verlassen, aber dann auch in der Bundesrepublik nicht vor der Stasi sicher sind. Geschichte vergeht nicht, sie holt einen immer wieder ein. – Ist das so etwas wie Ihr Lebensmotto geworden?
Schädlich: Naja, es ist natürlich so, dass aufgrund meiner Biografie solche Geschichten irgendwie mich anfliegen auch, und dass ich dadurch, dass ich aus der DDR komme, lange in der Bundesrepublik gelebt habe – seinerzeit, als Deutschland noch geteilt war –, dann in Amerika auch diesen Blick auf das geteilte Deutschland oder auch auf das jetzt wieder vereinte Deutschland, vielleicht mein Blick sensibilisierter dafür ist. Und mir liegt schon daran, über Schicksale zu schreiben, die aktuell sind, die auch in die Gegenwart noch hineinspiegeln, und sozusagen auch gewisse Brisanzen, die diese Schicksale haben, aufzuzeigen.
Das ist ja nicht nur einfach zwei authentische Schicksale, die vergangen sind, sondern der Hübner lebt noch heute, Mara Jakisch ist erst 2005 gestorben, und dass zwei Menschen, die so was erlebt haben, bis jetzt geschwiegen haben, zeigt ja auch einiges über uns und Deutschland auf, heute.
Hatting: Die Schriftstellerin Susanne Schädlich, ihr Roman "Herr Hübner und die sibirische Nachtigall" ist soeben bei Droemer und Knaur erschienen. Vielen Dank für Ihren Besuch bei uns!
Schädlich: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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