Auf Spurensuche in der Ukraine

Eine Forschungsreise in Sachen jüdische Musik

Blick auf die Stadt Lviv, ehemals Lemberg, im Westen der Ukraine
In Lviv, dem früheren Lemberg, lebten vor dem Holocaust 120.000 Juden, nach 1945 waren es knapp 800. © dpa / picture alliance / Lyseiko
Von Blanka Weber  · 19.06.2015
Die Kantorin Schulamit Lubowska hat an der Philharmonie in Lviv Musikstücke von jüdischen Komponisten auf die Bühne gebracht. Während der Sowjetzeit waren Themen wie die jüdische Vergangenheit tabu - jetzt sollen jüdisch-ukrainische Lieder wieder hörbar gemacht werden.
Die jüdische Kantorin Schulamit Lubowska steht auf der Bühne der Philharmonie in Lviv, dem früheren Lemberg. Sie ist eine der Solisten, die mit dem Weimarer Kammerchor der Hochschule für Musik vor wenigen Monaten auf Tournee in der Ukraine waren.
Auf dem Programm: Musikstücke von jüdischen Komponisten, wie Israel Goldstein, Louis Lewandowski, ein Kiddush von Kurt Weill, ein aramäisches Gebet von Maurice Ravel, Werke von Meir Finkelstein und vielen anderen.
"Wir wollen ganz bewusst dieses jüdische Liedgut hier auf die Bühne bringen", sagt Jascha Nemtsov, Professor für jüdische Musikgeschichte in Weimar. Sein Ziel ist es, auch jüdisch-ukrainische Lieder aus Archiven zu sammeln, zu erforschen und wieder hörbar machen:
"Man kann natürlich nicht wissen, ob das tatsächlich zustande kommt, man weiß auch nicht wie die Situation sich politisch entwickelt in der Ukraine, aber das wäre auf alle Fälle unser Wunsch, die Zusammenarbeit fortzusetzen."
Rekonstruktionsarbeit leisten
Es gibt private Nachlässe, Archivgut in den Musikakademien und Noten vergessener, nicht gespielter Komponisten, so Nemtsov, all dies lohne sich, um gerade Osteuropas jüdische Musik wissenschaftlich zu erforschen. Genau das hat der Wissenschaftler in den kommender Jahren vor. In Weimar, an der Hochschule für Musik, hat er den bislang einzigen Lehrstuhl, der sich diesem Thema in Europa widmet. Eine wunderbare Chance hier Rekonstruktionsarbeit zu leisten, so der Historiker und Präsident der Weimarer Musikhochschule Christoph Stölzl:
"Und wenn es gelänge, hier in der Ukraine in Lemberg und in Kiew Freude für diese Idee zu finden, dann würde in der Tat etwas Doppeltes daraus. Auch eine Hilfe für vielleicht Gruppierungen hier, seinen sie jüdisch oder nicht jüdisch, dieses Erbe, das in der Erinnerung der Ukraine auch sehr problematisch ist, weil der Holocaust hier, wie wir alle wissen, nicht nur eine Veranstaltung der Besatzungsmacht war, sondern auch historische Wurzeln in der polnischen, in der ukrainischen Feindschaft gegenüber Juden hatte."
Es ist eine Chance, musikalisch, menschlich und politisch, die Geschichte der ukrainischen Juden aufzuarbeiten. Zum Beispiel jene des frühere Galiziens, sagt auch Olha Sydor. Sie arbeitet als Übersetzerin und Stadtführerin in Lviv:
"Jetzt ist es so, dass es in den akademischen Kreisen, da ist es ein Thema. Aber es hat immer noch kein Zugang zum Schulprogramm, zum Beispiel. Es ist kein Tabu Thema in dem Sinne, aber es hat noch kein Interesse sozusagen, das man immer sagt, ach das ist nicht unsere Geschichte, nicht unsere Kultur oder irgendwie solche Schriftsteller wie Bruno Schultz oder Joseph Roth das sind keine ukrainischen Schriftsteller und deshalb werden sie in der Schule zum Beispiel nicht gelernt."
Allein in Lviv, dem früheren Lemberg, lebten vor dem Holocaust 120.000 Juden, nach 1945 waren es knapp 800. Heute, so Olha Sydor, gebe es zwar eine jüdische Gemeinde und jüdisches Leben, doch so richtig im Bewusstsein verankert sei das alles noch nicht.
"Wir haben immer gesprochen von den Opfern des großen vaterländischen Krieges und dafür gab es Denkmäler und Mahnmale und so weiter. Aber das speziell gegen das jüdische Volk Verbrechen begangen wurden, das haben wir weder in der Schule noch in der Universität gelernt."
Während der Sowjetzeit, erzählt die Übersetzerin, waren Themen wie: die jüdische Vergangenheit, der Holocaust und die Frage nach der Mitschuld eigener Landsleute tabu.
Das Publikum war begeistert von den Konzerten des Kammerchores aus Weimar und den jüdischen Kantoren. So wie Igor, 40 Jahre alt, er arbeitet als Französisch-Lehrer in Lviv:
Zum ersten Mal diese Musik gehört
"Zum ersten Mal habe ich diese jüdische Musik gehört, niemals zuvor sonst und ich war fast geschockt, so unglaublich war das, fantastisch! Ich bin sehr froh, das wir dies in Lviv hören konnten."
Fast unterdrückt er ein Träne, das Thema sei emotional, sagt er und vermutlich bedarf es wirklich einer neuen Generation in der Ukraine, hier die Geschichte und das jüdische Liedgut aufzuarbeiten.
Der Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Christoph Stölzl, steht am 06.02.2014 in Weimar (Thüringen) vor dem Fürstenhaus, in dem sich die Musikhochschule befindet. Stölzl feiert am 17. Februar seinen 70. Geburtstag.
Der Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Christoph Stölzl© picture alliance / dpa / Martin Schutt
Christoph Stölzl ist optimistisch:
"Also das ist eben auch ein schmerzliches Erinnern hier und wenn wir musikalisch, musikwissenschaftlich da dran gehen und sagen, jetzt schauen wir mal, was da war, dann tut das uns gut, das ist eine sehr deutsche Aufgabe. Aber ich glaube, es tut auch unseren Musikpartnern in der Ukraine gut."
Ein Stück, sagt der Präsident der Weimarer Musikhochschule, dient unsere Arbeit auch der Stärkung der Zivilgesellschaft. Jedes Gespräch, jeder Kontakt würde helfen, irgendwann vielleicht gemeinsam die meist vergessene Musik manch eines jüdischer Komponisten wieder aufzuführen.
Dass es viel zu entdecken und vor allem aufzuführen gibt, sagt auch die jüdische Künstlerin Schulamit Lubowska.
"Für mich ist die Synagogenmusik auch relativ neu, ich hab erst mit der Ausbildung begonnen, es ist eine wunderschöne Musik."
Sie stammt aus Tomsk, wurde in Sibirien geboren, hat ihre Ausbildung in Nishni Nowgorod begonnen, dann den Master für Musik und Gesang in Polen abgeschlossen. Den Kammerchor aus Weimar hat sie erstmals begleitet. Denn sie studiert derzeit am Abraham Geiger Kolleg jüdischen Kantorengesang.
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