Auf den Barrikaden

Von Ariane Thomalla · 27.07.2005
Paris, 27. Juli 1830: Der erste der "drei glorreichen Tage" der Juli-Revolution ist angebrochen. Wieder erklingt die Marseillaise. Arbeiter, Studenten, Kleinbürger kämpfen auf den Barrikaden, der neuen Erfindung dieses spontanen sehr blutigen Aufstands ohne führende Köpfe.
Zeitgenössische Karikaturen zeigen: Jedes Haus ist eine Festung, jedes Fenster eine Schießscharte. Und die Frauen kämpfen mit, schwingen die Trikolore wie auf dem berühmten Bild von Delacroix "Die Freiheit führt das Volk an".

"Ein jugendliches Weib, mit einer roten phrygischen Mütze auf dem Haupte, eine Flinte in der einen Hand. Sie schreitet dahin über Leichen, zum Kampfe auffordernd, entblößt bis zur Hüfte, ein schöner, ungestümer Leib, das Gesicht ein kühnes Profil, frecher Schmerz in den Zügen", berichtet Heinrich Heine aus Paris nach Deutschland. Ursache der Revolution ist Karl der Zehnte, der letzte der drei Bourbonenbrüder auf dem Thron.

"Er hat gegen Ludwig den Sechzehnten konspiriert, er konspiriert gegen mich. Eines Tages wird er gegen sich selbst konspirieren", sagte von ihm Ludwig der Achtzehnte, der, 1815 auf dem Wiener Kongress von der "Heiligen Allianz" der Großmächte der Restauration inthronisiert, ein Jahrzehnt vernünftig regierte - nicht ohne Einsicht gebenüber der neuen Dynamik der Zeit nach der Großen Revolution und der Herrschaft Napoleons. Er hatte die "charte" erlassen, eine Verfassung mit Oberhaus und freilich nach einem Zensuswahlrecht gewählter Abgeordnetenkammer, das nur 1 Prozent aller französischen Männer als Wähler zuließ.

Dennoch war man in Frankreich freier als anderswo im Europa der Metternich-Ära. Karl der Zehnte jedoch, der "starrsinnige Greis aus dem Rokoko", wie ihn Golo Mann charakterisiert, wollte das Ancien Régime wieder restituieren. Er ließ sich 1825 sogar in Reims krönen. Zuletzt verfügte er staatsstreichartig seine Juli-"Ordonnanzen". Am 25. Juli 1830 vor den "drei glorreichen Tagen" wurde die Abgeordnetenkammer aufgelöst, das Wahlrecht der bisher 90.000 Franzosen, die 300 Francs Steuern zahlen konnten, zugunsten des Großgrundbesitzes modifiziert - das war die alte Aristokratie - drittens die Pressefreiheit eingeschränkt.

Paris, 28. Juli. Zweiter Tag der "Trois Glorieuses": Die Barrikadenkämpfe weiten sich aus. Teile der königlichen Truppen laufen zu den Aufständischen über. 29. Juli. Dritter Tag: Der königliche Befehlshaber gibt auf. Die Schlacht um Paris sei verloren. Die Massen machen sich auf zum Schloss Rambouillet, wohin sich Karl der Zehnte geflüchtet hat. Er dankt am 4. August ab und flieht nach England.

Die Sieger der Revolution haben gar nicht an ihr teilgenommen: Das Großbürgertum und die Großfinanz ordnen jetzt die Geschichte. Kein Zufall, dass mit Perier und Laffitte zwei Großbankiers die ersten Ministerpräsidenten der Julimonarchie stellen. Zuvor bringen sie General La Fayette, den lebenden Mythos der Franzosen, der l789 die Menschenrechte aus Amerika mitgebracht hatte, von seiner Lieblingsidee einer Republik ab.

Er muss den Aufständischen die neue Monarchie vermitteln, für die schnell ein König in einer jüngeren Nebenlinie der Bourbonen gefunden wird. Der schwerreiche Louis Philippe, Herzog von Orléans, besteigt am 9. August den Thron: Nicht als König von Frankreich, sondern als König der Franzosen. Ein Pragmatiker mit Bodenhaftung, kein Philosoph, schon gar kein Moralist. Es gilt der Satz : "Unter einem Bürgerkönig sind alle König." Und: "Der König herrscht, aber regiert nicht."

Mit grauem Hut und Regenschirm läuft Louis-Philippe durch Paris, ruft den Menschen zu: "Enrichissez-vous", spricht vom "juste-milieu" und überlebt viele, zum Teil brutale Attentate.

Eine Revolution, die international Impulse gab. Die Belgier befreiten sich von den Niederländern und gründeten ihren eigenen Staat. In Deutschland brannten nächtlich einige Residenzen. In Italien gab es Aufstände. Die Polen erhoben sich gegen die russische Fremdherrschaft. Dort siegte blutig die russische Gewalt. Aber auch in Frankreich sah sich die besitzlose Klasse um ihre Revolution betrogen. 1831 schon erhoben sich die Seidenspinner in Marseille und bedrohten die neue Ordnung der Bourgoisie. Der Keim für die nächste Revolution war gelegt. Heinrich Heine schloss seinen Bericht über Delacroix, der ein Bricht über die Juli-Revolution war, mit den Worten:

"Heilige Julitage von Paris! Wie schön war die Sonne, und wie groß war das Volk von Paris. "Papa!" rief eine kleine Karlistin, "wer ist die schmutzige Frau mit der roten Mütze?" - " Es ist die Freiheitsgöttin." - "Papa, sie hat auch nicht einmal ein Hemd an." - "Eine wahre Freiheitsgöttin liebes Kind, hat gewöhnlich kein Hemd, und ist daher sehr erbittert auf alle Leute, die weiße Wäsche tragen."