Atomausstieg jetzt - oder eben später

Von Martin Hartwig · 15.06.2010
"Atomkraft? Nein danke!" Vor zehn Jahren vereinbarten die Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und die deutsche Energiewirtschaft den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie.
"Der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie wird innerhalb dieser Legislaturperiode umfassend und unumkehrbar gesetzlich geregelt."

So stand es klar und unmissverständlich im Koalitionsvertrag, den Vertreter der SPD und der Grünen im Oktober 1998 unterschrieben hatten und mit dem sie die neue Bundesregierung begründeten. Gut anderthalb Jahre später, in der Nacht vom 14. zum 15. Juni 2000, meldete ein sichtlich zufriedener Bundeskanzler Vollzug:

"Ich gehe also davon aus, dass damit sowohl ein lange währender gesellschaftlicher Konflikt gelöst werden kann als auch ein Beitrag zu einer vernünftigen, zukunftsgerichteten, ungefährlichen Form der Stromproduktion in Deutschland geleistet worden ist."

Bis ein Uhr nachts hatten Vertreter der Bundesregierung und der Stromwirtschaft über einen Vertrag verhandelt, der die Details der Abwicklung der Kernkraft regeln sollte. Dabei ging es, so die Regierungsvorgabe, nicht mehr um das Ob - dazu waren alle Argumente ohnehin schon seit Jahrzehnten getauscht - sondern nur noch um das Wie. Dass die deutschen Stromgiganten überhaupt mitmachten, lag daran, dass die Bundesregierung sie vor die Wahl gestellt hatte, entweder mitzureden oder eine gesetzliche Regelung des Bundes hinnehmen zu müssen. Und tatsächlich hatte sich die Teilnahme für sie gelohnt. Ullrich Hartmann, Vorstandvorsitzender der VEBA, heute E.ON.

"Das Gespräch war nicht ganz einfach, wie sie sich das vorstellen können, aber wir sind zu einem Ergebnis gekommen, das vielleicht beide Seiten nicht ganz glücklich macht, aber das zeigt auch, dass es wohl ein im Ergebnis fairer Kompromiss ist."

Dass die Stromkonzerne mit dem Ergebnis gut leben konnten, überrascht nicht, schließlich war in der Vereinbarung für kein einziges der 19 deutschen Kernkraftwerke ein verbindliches Abschaltdatum fixiert. Stattdessen wurden für jeden Meiler Strommengen ausgehandelt, die die Energieversorger dort noch produzieren durften. Gerhard Schröder:

"Ich will nicht herumreden, das entspricht einer Laufzeit von 32 Jahren, das liegt also oberhalb dessen, was die Bundesregierung bereit war zunächst zuzugestehen, aber wie das in Verhandlungen so ist, muss man sich aufeinander zu bewegen."

32 Jahre Laufzeit wurden also jedem deutschen Kernkraftwerk dem Abkommen zufolge zugestanden. Die Grünen hatten maximal 30 gefordert, die Industrie mindestens 35. Die gefundene Lösung war ein Kompromiss, allerdings nur ein rein numerischer, denn er besagte nicht, dass ein Kraftwerk nach 32 Jahren Laufzeit definitiv abgeschaltet werden muss, sondern lediglich, dass es so lange betrieben werden darf, bis es die Strommenge, die es in 32 Jahren herstellen könnte, auch tatsächlich produziert hat. Bei Stillstand oder reduzierter Leistung verlängert sich dementsprechend die Gesamtlebensdauer des Meilers. Von daher wundert es nicht, dass sich die Grünen deutlich schwerer damit taten, den Kompromiss als Erfolg zu feiern. Bundesumweltminister Jürgen Trittin versuchte es dennoch.


"Der Ausstieg aus einer Technologie, die jahrelang umstritten war, kommt. Dieser Ausstieg kommt im Rahmen einer Vereinbarung mit den Betreibern, die klar erklären, sie respektieren die Entscheidung der Bundesregierung, die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet beenden zu wollen."

Trittin stellte vor allem das Grundsätzliche, den Richtungswechsel heraus, wissend, dass er mit den Details der Vereinbarung in der eigenen Partei Schwierigkeiten bekommen würde.
Auch Umweltverbände kritisierten das Abkommen. So erklärte Greenpeace:

"Das Konsenspapier hat für Greenpeace mit einem Atomausstieg nichts zu tun: Es zwingt die Stromkonzerne nicht zum Abschalten der Atomkraftwerke, sondern garantiert für diese eine Betriebsgenehmigung auf Lebzeiten."

Vor allem, dass den Stromkonzernen die Möglichkeit gegeben wurde, das Abschalten einzelner Kraftwerke hinauszuzögern, erboste viele Ökoaktivisten. Sie befürchteten, dass der Einstieg in den Ausstieg bei einem Regierungswechsel wieder rückgängig gemacht werden würde. Schließlich stellte die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel dies bereits in Aussicht.

"Eine CDU regierte Bundesregierung würde aus dieser rein ideologisch bedingten Laufzeitbegrenzung wieder aussteigen oder zumindest der Wirtschaft dieses Angebot machen."

Und genau daran arbeitet die Bundesregierung derzeit. Abgeschaltet wurden seit dem Ausstiegsabkommen, dem die grüne Parteibasis nach harten Auseinandersetzungen schließlich zustimmte, nur die Kernkraftwerke Stade und Obrigheim. Die anderen eigentlich fälligen Anlagen wurden, wie von den Atomstromkritikern befürchtet, durch Revisionen und reduzierten Betrieb über die schwierigen Jahre gerettet und haben jetzt Aussicht auf ein deutlich längeres Leben.

Zumindest, wenn es der Regierungskoalition gelingt, den "Ausstieg aus dem Ausstieg" am Bundesrat vorbei durchzusetzen.
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