Asylrechtsreform

Kretschmanns Entscheidung trifft die Grünen ins Mark

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (l, Grüne), stellt sich am 19.09.2014 in Berlin im Bundesrat den Fragen der Journalisten. Die Länderkammer stimmte mit einer Stimme der baden-württembergischen Grünen einer Neuregelung im Asylrecht zu, die bereits im Bundestag verabschiedet worden war.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (l, Grüne), stellt sich im Bundesrat den Fragen der Journalisten. © picture-alliance / dpa / Stephanie Pilick
Von Christel Blanke · 19.09.2014
Im Bundesrat hat Winfried Kretschmann der Reform des Asylrechts zugestimmt, weil sie auch substanzielle Verbesserungen enthalte. Fast die gesamte Parteispitze stellt sich offen gegen ihn: Die grüne Seele ist aufgebracht, kommentiert Christel Blanke.
"Freiheit" heißt heute das große Thema bei den Grünen. Einen ganzen Tag lang diskutiert die Bundestagsfraktion über die Frage, wie sich Vorgaben, wie zum Beispiel ein Rauchverbot, mit der individuellen Handlungsfreiheit vereinbaren lassen. Und dann hat sich einer genau an diesem Tag die Freiheit genommen, eine Entscheidung zu treffen, die die Partei ins Mark trifft.
Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, hat im Bundesrat der Reform des Asylrechtes zugestimmt. Und damit den Weg frei gemacht für die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsländer. Damit hat er seiner Partei deutlich vor Augen geführt, wer den Ton angibt bei den Grünen. Die Bundestagsfraktion hatte gegen die Reform gestimmt. Der Bundesvorstand und der Parteirat – die höchsten Gremien der Partei – hatten sie einstimmig abgelehnt. Und auch die sechs anderen Bundesländer, in denen die Grünen mitregieren, haben dem Kompromiss nicht zugestimmt. Doch dem Stuttgarter Regierungschef waren die Landesinteressen näher als die Grundhaltung der Partei.
Billiger Deal oder substanzielle Verbesserungen?
Zwar hält auch Kretschmann die Einstufung der drei Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer für falsch, wie er seinen Parteifreunden in einem Brief versichert. Doch für seine Zustimmung gibt es Zugeständnisse. Die Residenzpflicht wird fallen, das Arbeitsverbot verkürzt und künftig sollen Flüchtlinge auch Geld statt Sachleistungen erhalten können.
Für Kretschmann sind das substanzielle Verbesserungen. Und in der Tat hatten die Grünen insgesamt auch genau in diesen Bereichen ein Entgegenkommen der Bundesregierung gefordert. Doch für die grüne Seele hat Kretschmann – wie der Bundestagsabgeordnete Volker Beck es formuliert – "das Menschenrecht auf Asyl für einen Appel und ein Ei verdealt".
Das wird nachwirken. Schon einmal hat der Realpolitiker Winfried Kretschmann sich den Ärger vieler in der Partei zugezogen. Als er sich eindeutig gegen die vor allem vom linken Flügel formulierten Steuerpläne im Bundestagswahlprogramm stellte. Letztendlich trug er das Programm mit. Aber viele haben ihm die öffentliche Kritik übel genommen. Und die jetzige Entscheidung stößt noch deutlicher als die Steuerkritik ans Selbstverständnis der Partei, aus deren Sicht das Grundrecht auf Asyl uneingeschränkt gelten sollte.
Es hagelt Kritik von allen Seiten
Außerdem wollten die Grünen ihr Gewicht im Bundesrat nutzen, um unliebsame Entscheidungen der Bundesregierung zu Fall zu bringen. Denn mit ihrer Mini-Fraktion im Bundestag können sie gegen die übermächtige Große Koalition nichts ausrichten. Wenn aber der einzige grüne Ministerpräsident von der einheitlichen Linie abweicht, fehlt aus bundesgrüner Sicht die einzige Möglichkeit politisch zu gestalten. Entsprechend hagelt es nun Kritik von allen Seiten. Fast die gesamte Parteispitze stellt sich offen gegen Kretschmann.
Kretschmann hat gewusst, was er seiner Partei antun wird. Doch es war ihm wichtiger, Verbesserungen für Flüchtlinge und Kommunen zu erreichen, als den innerparteilichen Frieden zu wahren. Mit Prinzipienreiterei wäre ihm das sicher nicht gelungen. Das wird am Ende auch seine Partei einsehen müssen.
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