Arbeitskultur

Hobbys statt Herzinfarkt

Porträt von Klaus Theweleit, Ex-Professor für Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, Schriftsteller und Fußball-Fan, aufgenommen am 01.07.2004 als Gast in der ZDF-Sendung "Berlin Mitte"
Der Schriftsteller und Kulturtheoretiker Klaus Theweleit © picture-alliance / ZB / Klaus Franke
Moderation: Christine Watty · 23.01.2014
Die Bereitschaft, sich für den Job aufzuopfern, nehme ab, so Klaus Theweleit. Sie habe sich auch früher nur für wenige gut situierte Großverdiener gelohnt. Heute würden Hobbys dabei helfen, sich lebendig zu fühlen.
Christine Watty: "Work-Life-Balance" – ein schöner Begriff mit Lebensglück bestimmendem Inhalt, denn, wie viel Leben und damit auch Familie und wie viel Beruf darf es denn sein. Bevor wir so viel darauf herumdenken konnten zwischen Elterngeld und Kinderbetreuung war die Lage sehr schrecklich, aber klar: Die Frauen, größtenteils, blieben zu Hause, und die Männer machten, wenn es irgendwie ging, Karriere. Jetzt kann also verhandelt werden, schon seit einiger Zeit, ob das alles wirklich genauso sein muss. Und es bedeutet aber auch die Bereitschaft, auf die sogenannte Karriere zu verzichten, ist natürlich da. Was ist denn aus Formulierungen geworden wie "Ich habe die Familie der Karriere geopfert". Gibt es nicht mehr die, die sich für ihre Karriere absolut aufopfern wollen? Haben wir es mit einer postheroischen Angestelltenkultur zu tun? Wir begrüßen zu diesem Thema den Kulturtheoretiker Klaus Theweleit. Schönen guten Morgen!
Klaus Theweleit: Ja, guten Morgen, Frau Watty!
Watty: Arbeitspsychologische Studien, die belegen, dass schon lange – seit den 70ern – eine zunehmende Freizeitorientierung in der deutschen Bevölkerung eingesetzt hat. Würden Sie auch sagen, dass die Zeit der Heroen vorbei ist, die sich für den Beruf absolut verzehren?
Theweleit: Ich hoffe, dass die Zeit vorbei ist, denn die Belohnung für diesen sogenannten Heroismus war ja nie besonders hoch. Ich wüsste nicht, dass Firmen sehr nachtragend sind im Lob ihrer ausscheidenden Mitarbeiter, und die Renten sind meistens auch nicht besonders. Man hat sich eigentlich nur eingehandelt, wenn man sich tatsächlich aufopferte, die Aussicht auf einen früheren Herzinfarkt. Und die Leute sind inzwischen nicht mehr blöd genug, ihr Leben dem unterzuordnen.
Watty: Das heißt, es ist eine ganz normale Entwicklung, das Belohnungssystem hat quasi nicht funktioniert, und dementsprechend geht jetzt auch die Bereitschaft zurück, sich dafür völlig aufzuopfern?
Theweleit: Gut, die Bereitschaft geht zurück, das ist deutlich, aber ich glaube, das ist nicht so eine neue Entwicklung. Also, wenn ich von mir selbst reden darf in dem Moment – 1972 hat meine Frau unser erstes Kind geboren. Dann haben wir unsere Arbeit aufgeteilt. Ich bin zu Hause geblieben als Hausmann und Schriftsteller, und sie hat halbtags in der Klinik, Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet. Das haben wir gemacht, solange die Kinder zur Schule gingen. Das ging auch sehr gut, das einzig Blöde dabei ist, wir haben beide eine schwache Rente.
Watty: Ja. Wenn wir von dieser postheroischen Angestelltenkultur reden und sie trotzdem mal als Begriff im Raume stehen lassen, dann geht es natürlich immer um die Männerkarrieren in allererster Linie. Derweil aber drängen natürlich die Frauen wiederum nach vorne. Was passiert mit ihnen? Müssen die jetzt dafür die sein, die für die Karriere Opfer bringen? Oder hat dieses ausgesetzte Belohnungssystem, das sowieso diese ganze Struktur ins Wanken gebracht hat, auch zur Folge, dass diese ganze Aufopferung für keines der beiden Geschlechter stattfinden muss?
Theweleit: Ja, muss auch nicht. Das liegt auch, glaube ich, an zwei Sachen. Einmal an den Änderungen am Arbeitsplatz selber. Sind ja sehr oft im ganzen Dienstleistungsbereich schematisierte Vorgänge, viel Arbeit am Computer, der die Arbeit ja zum Teil vorgibt, macht. Da große Erfüllung zu finden, ist schon sehr schwer. Man muss sich für was anderes interessieren, um sich einigermaßen lebendig zu fühlen. Und dazu kommt, dass die Lebenserwartung natürlich sehr gestiegen ist. Leute gehen heute nicht mehr davon aus, mit 65 sich in irgendeinen Rentnerstuhl zu setzen und das Leben ist vorbei, sondern sie haben ganz viele Interessen entwickelt, Hobbys, gehen in Konzerte, kennen sich mit dieser oder jener Band aus, gehen zu Lesungen, Literatur, haben Gruppen, Yoga, Aufstieg et cetera, gehört alles dazu. Das sind ja alles Dinge, die im Kopf das, was man im Beruf macht, zum großen Teil überlagern, interessanter sind. Und natürlich wollen dann Menschen auch bis zu ihrem 80. Lebensjahr oder länger vernünftig in so einer Weise leben. Also nicht als Tattergreise.
"Die Karriere war meistens sowieso nicht da"
Watty: Jetzt haben Sie die vielen Freizeitaktivitäten schon angesprochen. Bedeutet das für die Gesellschaft, dass die Familie zum Job wird, dass der Freizeitbereich der ist, in dem man dann aber richtig gut sein will – also, muss das irgendwo kompensiert werden, diese "fehlende Karriere"?
Theweleit: Ja. Die fehlende Karriere, eben die Karriere war meistens sowieso nicht da, außer für einige sehr gut situierte Großverdiener oder auch Leute mit einem bestimmten Einfluss. Die anderen fühlen sich ja eher ausgebeutet. Gerade die ganzen Dienstleistungsberufe. Wenn wir Pfleger, die eben angesprochen wurden, in den Nachrichten, Krankenschwestern, Kindergärtnerinnen – diese ganzen Berufe sind ja wahnsinnig unterbezahlt. Und die Renten sind mies. Man muss schon ein bisschen, sag ich mal, beschränkt sein, um sich das als Lebensziel vor Augen zu halten unter einem Begriff wie Aufopferung.
Und wenn man dann die Möglichkeit hat – es gibt natürlich viele Singles, die haben keine Familie – aber die Familie haben, natürlich geht ein Teil dieser Energie und Interesse auf die Entwicklung der Kinder, die ja oft sehr vernachlässigt waren in der Situation, wo beide Eltern berufstätig waren. Also da geht die größte Energie hin, und da bekommt man natürlich auch was zurück. Denn in der Regel, mit den meisten Kindern klappt das ja einigermaßen, wenn man mit denen arbeitet. Also, sie geben was zurück in ihrer Entwicklung, was man sehen kann. Man hat also tatsächlich ein Lebensprodukt auf dieser Ebene da, das man im Beruf oft nicht hat. Wenn der fertig ist, ist das vorbei, und an Produkt liegt nicht viel vor. Wofür hat man sein Leben gelebt? Man hat es anderen gegeben. Eltern sind froh, wenn sie Zeit haben, das in die Kinder zu investieren.
Watty: Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit im Gespräch im Radiofeuilleton. Wird denn das, um noch mal diesen Begriff nochmals zu gebrauchen mit der Karriere, was das auch immer eben genau sein soll, in vielen Jahren vielleicht schlicht neu definiert sein und immer auch über den gleichzeitigen Erfolg oder das Glück mit und in der Familie definiert sein? Brauchen wir dafür eine neue Erklärung, was Karriere eigentlich sein könnte?
Theweleit: Ich glaube, eine neue Erklärung braucht man tatsächlich nicht. Soweit ich sehe, die Leute, die ich kenne, da sind keine großen Karrierefantasien. Das sind, gut, so Bilder aus der Politik, Frau Nahles steigt auf in der Partei und in die Regierung und hat eine bestimmte Bedeutung, und dann treten sie mit neuen Programmen vor die Öffentlichkeit und fühlen sich wichtig und bedeutend, viel bedeutender, als sie tatsächlich sind. Das meiste von dem wird sowieso nicht umgesetzt oder wird ganz anders umgesetzt oder wird, wie das immer heißt, ausgesessen, und die meisten Regelungen werden so gemacht, dass es den Mächtigen nützt, das heißt Industrien, Banken et cetera, et cetera, die nicht angekratzt werden.
Also, die auf dieser Schiene arbeiten, merken nach einer Weile auch, ihr Einfluss, ihre Macht ist längst nicht so groß, wie sie sich eingebildet haben. Sie können sich zwar persönlich jeden Tag in der Tagesschau sehen oder so was, aber – gut, wer damit zufrieden ist und das als Lebensinhalt will – das zeigt halt nur die Beschränktheit der Politiker.
Großes Wutpotenzial bei prekären Arbeitern
Watty: Was ist eigentlich mit denen, die diese Debatte um Work-Life-Balance, Karriere ja oder nein und so weiter wie einen Schlag ins Gesicht empfinden, weil sie prekär beschäftigt sind, weil sie sich von einem Zeitvertrag zum nächsten hangeln, weil sie Teilzeitbeschäftigte sind, für die diese ganze Debatte eine absolute Luxusdebatte sein mag von außen betrachtet. Was brauchen die oder was verändert sich in ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung?
Theweleit: Die Zeitarbeiter und die um ihre Verlängerung immer kämpfen müssen, die sogenannten prekären Arbeiter sind natürlich am schlechtesten dran in dieser Hinsicht. Denn denen – für die steht die Möglichkeit oft eben nicht offen, sich für andere Dinge groß zu interessieren, weil sie sich wahnsinnig einbringen müssen an ihrem Arbeitsplatz, mehr schuften als die anderen, um drinzubleiben. Um überhaupt ein Bein am Boden zu haben und nicht auf Hartz-IV angewiesen zu sein. Das sind auch noch die, die sich schlechter ernähren, Fast-Food-Esser und so weiter, also auch auf der Ebene wahrscheinlich eher krankheitsanfälliger oder auch für psychische Krankheiten anfälliger, weil auf denen der Druck am größten ist, die keine feste Anstellung haben.
Und da stelle ich mir vor, bildet sich ein Potenzial heraus. Also, wenn die sehen, wie ein Teil der Gesellschaft, die berühmten zehn Prozent, immer reicher werden und mindestens ein Drittel immer ärmer und an der Existenzminimumsgrenze leb, da ist ein großes Enttäuschungs- oder Wutpotenzial, das sich – politisch schwer zu berechnen –, aber durchaus mal äußern kann, denn meistens werden solche Leute unter solchem Druck ja nicht Ideologen der Befreiung des Arbeiters, sondern politisch eher rechts. Und das kann gut passieren.
Watty: Entstehen dadurch also ganz neue Konkurrenzverhältnisse, also auch heftigere als die bisherigen, die wir ja immer besprochen haben, zwischen Männern und Frauen?
Theweleit: Sicher auch zwischen Männern und Frauen. Obwohl ich denke, dass da die Diskussion der letzten zehn, zwanzig Jahre, also im Anschluss an den direkten, aktiven, agierenden Feminismus, doch sich so viel in die Gesellschaft verbreitet hat, dass bei den meisten so zumindest die Idee da ist, dass da eine Art Gleichberechtigung ist zwischen männlicher und weiblicher Arbeitskraft. Also ich glaube nicht mehr, dass Männer so drunter leiden wie vielleicht noch in den 70ern oder 60ern, wenn Frauen neben ihnen die bedeutendere Positionen oder gleichberechtigte Positionen, Chefin und so weiter, kommen, sehe ich nicht so groß das Problem. Ich glaube, da hat sich tatsächlich was geändert.
Watty: Das ist doch aber ein sehr hoffnungsfroher Abschluss dieses Gesprächs in unserer Serie. Danke an den Kulturtheoretiker Klaus Theweleit. Ihnen noch einen schönen Tag. Alles Gute!
Theweleit: Tja, Ihnen auch, Frau Watty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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