AOK-Vorsitzender Baden-Württemberg: Kopfpauschale "eher ein Holzweg"

Rolf Hoberg im Gespräch mit Hanns Ostermann · 15.02.2010
Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Rolf Hoberg, lehnt die von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) geplante Kopfpauschale ab. Sie löse keines der Probleme im deutschen Gesundheitssystem und werde nicht zu der Gerechtigkeit führen, die man derzeit mit dem einkommensabhängigen Beitrag habe.
Hanns Ostermann: Er hat wohl einen der schwierigsten Jobs dieser Bundesregierung – gemeint ist nicht der Finanz-, sondern der Gesundheitsminister Philipp Rösler. Die Ausgaben im Gesundheitswesen steigen und steigen, so etliche Krankenkassen haben bereits ihre Beiträge erhöht, andere denken ernsthaft darüber nach, schon im kommenden Jahr sollen zwölf Milliarden Euro fehlen, so Schätzungen. Aber wo sind die entscheidenden Stellschrauben, um sinnvoll zu sparen? Hilft die sogenannte Kopfpauschale, die die FDP favorisiert? Fragen über Fragen, mit denen sich demnächst eine Regierungskommission beschäftigen soll. Am Telefon ist der Vorstandsvorsitzende der AOK in Baden-Württemberg, Dr. Rolf Hoberg. Guten Morgen, Herr Hoberg!

Rolf Hoberg: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Für viele Krankenkassen hat die Pharmaindustrie den Schwarzen Peter, auch der Bundesgesundheitsminister will hier den Hebel ansetzen. Warum ist dieser Bereich der Hauptkostentreiber?

Hoberg: Wir erleben eine Flut von neuen Medikamenten durchaus zweifelhaften zusätzlichen Nutzens mit Kosten, die wir nicht beeinflussen können, da wir keine Preisverhandlungen führen können. Von daher ist das ein Bereich, wo unbedingt der Hebel angesetzt werden muss.

Ostermann: Sie fordern ja auch, dass der Mehrwertsteuersatz bei den Arzneimitteln gesenkt wird, das ist jedenfalls ein Vorschlag, aber dann fehlt doch dem Staat das Geld an anderer Stelle. Also das liefe doch wohl letztlich auf ein Nullsummenspiel hinaus oder nicht?

Hoberg: Es ist richtig, allerdings im europäischen Vergleich wäre es angemessen, wenn auch in Deutschland nur der halbe Mehrwertsteuersatz auf Medikamente gilt wie er für Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel ohnehin gilt. Von daher, das wäre systematisch durchaus richtig. Aber allerdings ist das Problem, dass insgesamt, was Steuermittel angeht, eher jetzt eine problematische Situation auf das Gesundheitswesen zukommt.

Ostermann: Eben, und deswegen muss ja dringend gespart werden, und die Pharmaindustrie sagt jetzt, wir sind nicht die Buhmänner, Kassen und Politik wollen von eigenen Fehlleistungen nur ablenken. Haben Sie, hat die AOK ihre Hausaufgaben gemacht?

Hoberg: Wir als AOK Baden-Württemberg und das gesamte AOK-System haben unsere Hausaufgaben gemacht. Dort, wo wir sparen können, tun wir das, dort, wo wir Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie gegen den erbitterten Widerstand der Pharmaindustrie, die uns mit 250 Prozessen verklagt hat bei unserem Versuch zur Kosteneinsparung, tun wir alles, um dieses zu erreichen. Wir haben alle Prozesse gewonnen und wir haben für das Gesundheitswesen für unsere Versicherten einen Vorteil erreicht.

Ostermann: Ich habe Sie richtig verstanden, 250 Prozesse wurden da geführt?

Hoberg: Richtig.

Ostermann: Worum ging es da zum Beispiel?

Hoberg: Es geht darum, ob wir zu Recht eine Ausschreibung vornehmen und ob die Medikamente, die auf der Liste sind, wirklich so austauschbar sind, wie sie als wirkstoffsgleiche Medikamente gelten. Dieses wird mit allen Tricks von der Pharmaindustrie bezweifelt, und man trifft sich dann eben halt leider in mehreren Stufen vor Gericht.

Ostermann: Immerhin stehen seit einiger Zeit auch die Krankenhäuser auf dem Prüfstand. Kritiker meinen, dass sich hier bis zu einer Milliarde einsparen lässt, vorausgesetzt, die Rechnungen werden entsprechend geprüft. Stimmen Sie diesen Vorwürfen zu?

Hoberg: Also wir prüfen bereits heute sehr intensiv, allerdings werden wir inzwischen auch wieder hier vom Gesetzgeber systematisch behindert, indem wir für eine nicht erfolgreiche Prüfung Strafgebühren zu zahlen haben, die ganz erheblich sind, wo sogar eine Verschärfung angedacht ist. Insgesamt muss man sagen, wir müssen in allen Bereichen des Gesundheitswesens auf die Kostenbremse treten, sonst droht uns im nächsten Jahr ein Defizit, das so groß wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Ostermann: Aber ich habe Sie richtig verstanden, Sie überprüfen Rechnungen aus den Krankenhäusern – das ist ja eigentlich auch eine Hausaufgabe, der Sie nachgehen müssen.

Hoberg: Aber selbstverständlich.

Ostermann: Und der Gesetzgeber kommt und sagt, das ist nicht okay?

Hoberg: Der Gesetzgeber sagt, es ist gut, wenn ihr überprüft, aber da das ja auch für die Krankenhäuser Arbeit ist, müsst ihr für jede Rechnung, die ihr zu Unrecht beanstandet habt, 300 Euro zahlen.

Ostermann: Und da kommt dann Etliches zusammen, wenn man an die Zahl der Krankenhäuser denkt. Ganz grundsätzlich, Herr Hoberg, die Koalition streitet ja über Sinn und Unsinn der sogenannten Kopfpauschale, nach der ein vom Einkommen unabhängiger Beitrag zu zahlen ist. Wie sinnvoll ist diese Umstellung des Systems, selbst wenn Sie nur teilweise erfolgen würde?

Hoberg: Sie löst keines der Probleme, die das deutsche Gesundheitswesen hat, und von daher ist dieses einer der ja eher ideengeprägten Veränderungsvorschläge. Ich sehe im Augenblick bei der Debatte, die ja auch um Hartz IV geführt wird, wo es um angeblich zu viel Steuermittel geht, die der Sozialstaat bereit steht, wenig Chancen, dass ein weiterer Bereich für den Sozialausgleich aus Steuermitteln finanziert werden soll.

Ostermann: Das heißt, Sie lehnen die Kopfpauschale in welcher Form auch immer völlig ab, radikal ab, und sind sich da mit anderen gesetzlichen Krankenkassen auch einig?

Hoberg: Sie löst kein Problem und sie ist extrem kompliziert zu handhaben, sie wird nicht zu der Gerechtigkeit hinführen, die wir heute mit dem einkommensbezogenen Beitrag haben – von daher eher ein Holzweg.

Ostermann: Jetzt haben Sie schon darauf hingewiesen, es droht im nächsten Jahr ein Loch von etwa zwölf Milliarden. Wären Sie der Bundesgesundheitsminister und könnten allein entscheiden, wo würden Sie – bei drei Schritten beispielsweise – sofort den Rotstift ansetzen?

Hoberg: Die Schwierigkeit ist, dass es ein so großes Problem ist, dass kein Bereich ausgespart werden kann. Wir werden alle Instrumente aus allen früheren Gesundheitsreformen, die in ja jeder Legislaturperiode stattgefunden haben, nutzen müssen, das heißt Kosteneinsparungen im Krankenhausbereich, bei den Vergütungen, bei der Verordnungsfähigkeit von Leistungen, im Bereich der Veränderungen von Zuzahlungen, all dieses, und auch Beitragssatzerhöhungen für Arbeitgeber wie Versicherte – all dieses nur in einem solchen Policy Mix hat nur eine Chance, mit dem Problem fertig zu werden.

Ostermann: Der Vorstandsvorsitzende der AOK in Baden-Württemberg, Dr. Rolf Hoberg. Herr Hoberg, danke Ihnen für das Gespräch heute früh!

Hoberg: Vielen Dank, Herr Ostermann!
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