Anup Shah: "Die letzten Tiere der Mara"

Hinreißend schöne Porträts

Buchcover: "Die letzten Tiere der Mara" von Anup Shah
Buchcover: "Die letzten Tiere der Mara" von Anup Shah © Knesebeck Verlag
Von Eva Hepper · 01.11.2016
Unsere Rezensentin ist begeistert von den Aufnahmen des vielfach prämierten Naturfotografen Anup Shah. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die unter dem Titel "Die letzten Tiere der Mara" erschienen sind, zeigen eine Tierwelt, die es vielleicht nicht mehr lange gibt.
Allein auf weiter Flur, mitten in der kenianischen Savanne umwirbt ein prächtiges Löwenmännchen eine ebenso majestätische Löwin. Sie liegt ihm zugewandt im Gras, er sitzt dicht neben ihr und blickt der Hofierten direkt in die Augen. Im Hintergrund sind bis zum Horizont vereinzelt Büsche und Bäume zu erkennen, und über der Szenerie wölbt sich ein weiter Himmel. Es ist ein magischer Moment, den Anup Shah mit der Kamera festgehalten hat. Fast schämt man sich ein wenig, Zeuge dieser intimen Szene zu werden.

Nähe und Authentizität zeichnen die Bilder des renommierten und vielfach preisgekrönten Naturfotografen aus. Seit Jahrzehnten ist Anup Shah, gebürtiger Inder, der in Kenia aufgewachsen ist, dem Leben wilder Tiere auf der Spur. Für sein neues Buch war er in der Masai Mara unterwegs, einem streng geschützten und besonders tierreichen Naturreservat im kenianischen Teil der Serengeti.

Tiere im kenianischen Naturreservat Masai Mara

Mit versteckten Kameras und Fernauslöser und durchweg in Schwarz-Weiß porträtiert der Fotograf die Bewohner der Mara: Gnus, Zebras, Giraffen, Elefanten, Schakale, Hyänen, Büffel, Affen und andere Wildtiere. Auffallend ist die Perspektive, die seine Bilder auszeichnet. Seine Kameras installierte er nicht auf Bäumen oder im Gebüsch, sondern direkt auf der Erde. So zeigen fast alle Aufnahmen im unteren Drittel den Boden bis zum Horizont und in den beiden oberen Dritteln den Himmel. Und mittendrin, in Großaufnahme, die Tiere.
Hinreißend schön sind diese Porträts: Ein massiger Bulle, der direkt in die Kamera blickt, ein neugieriger Schabrackenschakal, der seine Nase fast ins Objektiv steckt, ein in der Sonne schlummerndes Gazellenkitz. Geradezu atemberaubend wirken die Bilder von den Wanderungen großer Herden. Hunderte Gnus, Zebras oder Büffel sind unterwegs, wenn die große Regenzeit beginnt. Shah hat sie eindrucksvoll ins Bild bekommen; manchmal nur unzählige Hufe und Beine, manchmal die Tiere im Ganzen, umhüllt vom aufgewirbelten Staub.

Kompositorische Meisterwerke

Bisweilen gelingen Anup Shah kompositorische Meisterwerke. Als hätte der Fotograf sie mühevoll choreografiert, erscheint eine kleine Gruppe von Giraffen: ein Pärchen liegt im Vordergrund am Boden, hinter ihm tummeln sich ihre Artgenossen jeweils einzeln zwischen den Bäumen. Tatsächlich folgen auffallend viele Bilder Harmoniegesetzen wie etwa dem goldenen Schnitt. Man glaubt dem Tierfreund, wenn er in der Einleitung schreibt, sich bestens mit der Mara und ihren Bewohnern auszukennen. Schlafwandlerisch sicher hat er den Auslöser bedient. Selten sieht man Bilder von solcher Zartheit und zugleich Direktheit und Dynamik.

Es ist eine betörend schöne Welt, die der vierzehn Mal als Wildlife-Photographer-of-the-Year ausgezeichnete Shah einfängt. Dass sie bedroht ist, steht außer Frage. Davon schreibt Anup Shah nicht nur in den die Fotos begleitenden Texten, man sieht es bei aller Lebendigkeit auch in den Bildern selbst. Ihre fein herausgearbeiteten und hoch differenzierten Grauschattierungen bestimmen den Grundton des Buches: Es klingt in Moll.

Anup Shah: Die letzten Tiere der Mara
Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer
160 Seiten, Knesebeck Verlag 2016, 34,95 Euro

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