Ana Lilia Pérez: "Kokainmeere"

Die weltweiten Routen des Drogenhandels

Drogenpolizei auf einer illegalen Koka-Plantage im Nordwesten Kolumbiens
Drogenpolizei auf einer illegalen Koka-Plantage im Nordwesten Kolumbiens © dpa / picture alliance / epa efe Efrain Patino
Von Susanne Billig · 01.06.2016
Wie kommt das Kokain zum Konsumenten? Die mexikanische Journalistin Ana Lilia Pérez hat die Reise der Droge vom Anbau bis nach London, Berlin und Shanghai so genau recherchiert wie niemand zuvor, meint Susanne Billig. Ein "mutiges und erstaunliches Buch".
Es ist die Droge des Jetsets, der Künstler und Finanzmanager, zunehmend aber auch der Armen der Welt: Kokain. Doch wie gelangt die Droge von den abgelegenen Kokafeldern Südamerikas nach London, Berlin, Belgrad oder Shanghai? Wer organisiert die Transporte, wer bewacht sie, wer muss von wem bestochen werden, damit die kostbare Fracht reibungslos und wertsteigernd an Millionen Konsumenten weltweit ausgeliefert werden kann?

Ein ganz anderes Buch über Drogen

"Kokainmeere" heißt das mutige und erstaunliche Buch von Ana Lilia Pérez. Mutig, denn schon einmal musste die mexikanische Journalistin ihr Land wegen Recherchen im südamerikanischen Mafiamilieu Hals über Kopf verlassen und in Deutschland Zuflucht suchen. Erstaunlich, weil es auf alles das verzichtet, was Bücher über Drogen gemeinhin kennzeichnet.
Die Autorin unterbreitet keine Ideen zur Drogenpolitik, plädiert weder für harte Verbote noch für eine großzügige Legalisierung, sie spart das Elend der Süchtigen ebenso aus wie die Seifenblasen der Drogenbefürworter. Statt dessen fokussiert sie im farbigen Reportagestil und mit journalistischer Akribie allein auf ein Thema: die weltweiten Routen des Handels.

Reedereien verstecken die heiße Fracht

So genau wie niemand zuvor hat die Autorin recherchiert, auf welche Weise Drogen mit den Warenströmen der globalisierten Wirtschaft auf Reisen gehen. Wichtigste Tatorte sind Meere und Häfen – in jedem Container, unter jeder Schiffshaut, auf jeder teuren Yacht und in jedem rostigen Krabbenkutter können sich Drogenpäckchen verbergen. Oft betreiben die Drogenhändler angesehene, legale Unternehmen, nicht selten sind es Reedereien, um heiße Fracht bequem zwischen Betonbauteilen oder Baggern, gefrorenem Fisch oder gleich in ganzen Containern zu verstecken.
Ana Lilia Pérez nennt Ross und Reiter beim Namen und erzählt, welche Mafia-Clans in diesen Handel verstrickt sind – Familiengeschichten zwischen irrwitzigem Reichtum, Folterattacken und spektakulären Gefängnisausbrüchen. Sie rückt aber auch dem Westen auf die Pelle: Das wichtigste Scharnier für den Verkauf von Kokain nach Nord- und Osteuropa ist der Hamburger Hafen.

Mit Polizeimaßnahmen nicht in den Griff zu bekommen

Wer dieses Buch liest, kommt nicht umhin zu begreifen: Diese riesige Schattenwirtschaft mit Polizeimaßnahmen in den Griff bekommen zu wollen, ist völlig aussichtslos. Zu viele Menschen sind, freiwillig oder durch Armut, Gewalt und Erpressung gezwungen, in das Drogengeschäft involviert – von kleinen Bauern, Lastwagenfahrern, Matrosen und Hafenarbeitern über Paramilitärs, Lokalpolitiker, korrupte Zollfahnder, Schiffskapitäne und Polizisten bis hin zu den mächtigen Reedereibossen und hochprofessionellen Mafiaorganisationen. Es ist wie beim Schachspiel, erklärt die Autorin: Wenn die Polizei eine Figur vom Feld nimmt, rückt umgehend eine neue nach. Dann übernimmt eben der Schwiegersohn die Geschäfte oder der konkurrierende Clan stößt in das Machtvakuum vor – und das riesige Getriebe aus kriminellen Geschäftemachern, Helfern und Helfershelfern schnurrt nahtlos weiter.

Ana Lilia Pérez: "Kokainmeere: Die Wege des weltweiten Drogenhandels"
Aus dem Spanischen von Katrin Behringer und Birgit Weilguny
Pantheon Verlag, München 2016
320 Seiten, 14,99 Euro

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