Alkoholsteuer

"Wir leben in einer Phase des Asketismus"

Whisky on the rocks - wenn das EU-Parlament eine Erhöhung der Alkoholsteuer beschließt, könnte das bald ein teures Vergnügen werden.
Whisky on the rocks - wenn das EU-Parlament eine Erhöhung der Alkoholsteuer beschließt, könnte das bald ein teures Vergnügen werden. © imago/McPHOTO
Hasso Spode im Gespräch mit Dieter Kassel · 31.03.2015
Die EU will die Bürger deutlich mehr für Wein und Whisky bezahlen lassen. Schon im späten Mittelalter sollte der Alkoholkonsum durch Steuererhöhungen gesenkt werden, sagt der Soziologe Hasso Spode. Er prophezeit, dass die derzeitige Konjunktur der Askese noch 30 Jahre anhalten werde.
Im EU-Parlament wird gerade über eine Erhöhung der Alkoholsteuer diskutiert. Freunde eines guten Tropfens werden nicht begeistert sein, wenn ihr Lieblingswein oder -whisky im Supermarkt plötzlich deutlich teurer wird. Doch durch Steuern oder andere Restriktionen Einfluss auf den Alkoholkonsum der Bürger nehmen zu wollen, ist eigentlich ein alter Hut – sagt Hasso Spode, Soziologe und Professor der an der Technischen Universität Berlin.
Spätestens seit Martin Luthers Zeiten habe es immer wieder Kampagnen und Verbote gegen die "vom Saufteufel besessenen" Bürger gegeben. Als die letzten kompromisslosen Hedonisten, die sich dem hemmungslosen Qualmen und Saufen hingegeben hätten - auch am hellen Tag vor der Kamera –, macht Spode die 68er aus. Das habe sich spätestens seit den 90er-Jahren grundlegend geändert:
"Wir leben jetzt in einer Phase grundsätzlichen Asketismus, was unter anderem auch damit zu tun hat, dass diese Mittelschichten nicht mehr so bequem und sozial gesichert sind – und was machen die dann? Die werden asketisch. Das hatten wir immer wieder, weil sie dann durch die Askese ihr besseres Menschsein demonstrieren können, ob das jetzt die Veganer sind oder sonst was. Und das betrifft Sexualität übrigens auch, das betrifft das Rauchen, das betrifft das Trinken."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Zu den Reformvorschlägen, die die griechische Regierung gerade den sogenannten Institutionen präsentiert hat, gehört auch die Erhöhung der Alkoholsteuer. Wir wissen: Die Institutionen sind von der Reformliste nicht so begeistert, aber im Gesundheitsausschuss des EU-Parlaments dürfte diese eine Idee vermutlich gut ankommen, denn der beschäftigt sich heute mit dem Vorschlag der Einführung eines europaweiten Mindestpreises für alkoholische Getränke. Da haben wir, ehrlich gesagt, sehr schnell an Hasso Spode gedacht, denn der Professor für historische Soziologie beschäftigt sich neben anderen Themen schon seit Jahren, fast seit Jahrzehnten mit der Kulturgeschichte des Alkohols, aber eben auch mit den Versuchen der Politik, den Alkoholkonsum ihrer Bevölkerung zu beeinflussen – und er ist jetzt bei uns im Studio. Schönen guten Morgen, Herr Spode!
Hasso Spode: Schönen guten Morgen!
Kassel: Haben Politiker mehr oder weniger immer schon versucht, Einfluss auf den Alkoholkonsum zu nehmen, oder ist das doch noch ein relativ neues Phänomen?
Spode: Also das Phänomen ist so neu wie der Staat eigentlich. Wir hatten ja nicht immer eine Gesellschaft, die staatlich organisiert ist, aber wir hatten immer Menschen, die alkoholische Getränke zu sich genommen haben, und das ist ein sehr, sehr hochpotentes Psychopharmakon, wenn man so will, und es gab keine Gesellschaft, die nicht auf die eine oder andere Art versucht hat, den Alkoholkonsum einzuhegen, das heißt, bestimmte Gebrauchsformen zurückzudrängen, andere aber zuzulassen. Das fängt bei den alten Germanen an, die ja angeblich ständig auf dem Bärenfell lagen und immer noch eins tranken. Aber das kommt ja von dem Tacit, das ist ja diese Sicht. Aber auch die Germanen, wie alle anderen vorstaatlichen Gesellschaften, hatten natürlich bestimmte Regeln, die dabei einzuhalten waren, beim Trinken, und andere eben nicht. Zum Beispiel gehörte dazu, dass man einen angebotenen Becher nie abgelehnt hat. So, und jetzt kommen wir zu den staatlich verfassten Gesellschaften.
Von modernen Staaten kann man ungefähr seit 500 Jahren sprechen, am Ende des Mittelalters bilden sich die Territorialstaaten heraus, und es ist sicherlich kein Zufall, dass genau in der gleichen Zeit, nämlich um 1500, die erste große Kampagne losgetreten wurde gegen den Saufteufel, wie es damals hieß. Martin Luther hat diesen Begriff geprägt. Die Deutschen wären von einem Saufteufel besessen. Und was meinte er damit? Er meinte keineswegs damit, dass die Menschen schon, wir sind jetzt hier die richtige Uhrzeit, also dass die schon zum Frühstück vielleicht ein gesundes Bier trinken würden. Also den Ernährungsaspekt, der damals mit dem Bier vor allen Dingen verbunden war, hat der gar nicht in Zweifel gezogen. Aber dieses gemeinsame, zwanghafte Trinken, das, was man heute so Komasaufen nennen würde, dieses Zutrinken wollte er über staatliche Regeln und aber auch durch Predigten zurückdrängen. Da gab es dann also Stadträte, die hatten verboten, dass man einander zutrinkt, also „Prost" – das konnte schon gleich eine Geldstrafe geben. Damit fängt das an. Und seitdem, seit etwa 1500, haben wir ein ständiges Auf und Ab der Bemühungen, den Alkoholkonsum mehr oder weniger stark zurückzudrängen.
Der Kampf gegen den Alkoholkonsum hat eine lange Geschichte
Und diese Konjunkturen, so nenne ich das mal, die Thematisierungskonjunkturen des Alkohols, die folgten immer wieder Laissez-Faire-Perioden, also es gab immer Phasen, in denen man sich eigentlich sehr wenig darum gekümmert hat. Und das Ganze ist völlig unabhängig vom Verbrauch gewesen.
Kassel: Wann war denn so eine Phase eigentlich das letzte Mal in Mitteleuropa, in Deutschland? Ich würde jetzt vom Gefühl her sagen, so 70er-Jahre?
Spode: Ihr Gefühl täuscht Sie.
Kassel: Habe ich befürchtet.
Spode: Also ich gehe jetzt mal auf die letzten drei Phasen kurz mal ein. Die längst vergessene Phase war Mitte des 19. Jahrhunderts, also in den 1840er-Jahren, das war die Bewegung gegen den Branntwein. Da ging es nicht gegen alle alkoholischen Getränke, aber gegen den Branntwein, und man dachte, dass der Branntwein nun die Ursache für das Massenelend war, was in Wirklichkeit natürlich, wie wir heute alle wissen, mit der Industrialisierung, die damals Fahrt aufnahm, ... Sie kennen ja das vielleicht noch aus der Schule: Die Weber, die kamen dann nicht mehr mit den Maschinen und es gab Massenarmut. Und man dachte aber, nein, das liegt daran, dass die Branntwein trinken, und hatte dann also versucht, den Branntwein auszurotten. Diese Bewegung brach 1848 zusammen bei der Revolution. Und dann die nächste große Thematisierungskonjunktur setzt im späten 19. Jahrhundert ein, also sagen wir mal, jetzt grob gesagt, um 1900, und diese Bewegung war von Anfang an gespalten in zwei Flügel. Da gab es einmal die Mäßigen, die wollten also über, was wir jetzt auch hören, über Steuererhöhungen, über Preiserhöhungen, über Verkaufsbeschränkungen den Verbrauch etwas drosseln oder steuern, wenn man so will. Das war der Mäßigkeitsverein.
Freundschaftlich trinken Punks am 2.8.1997 vor dem Hauptbahnhof in Hannover ihr Bier.
Limonade statt Bier? Für Freunde des Gerstensafts undenkbar: Dosenbier trinkende Punks vor dem Hauptbahnhof in Hannover.© picture-alliance / dpa / Langfeld
Und gleichzeitig: Ihre erbittertsten Gegner, das waren die Abstinenten oder Enthaltsamen, wie sie sich nannten. Die wollten den Alkohol abschaffen. Vorbild war natürlich Amerika und Skandinavien auch. Da ging es also darum, dass man glaubte, der größte Feind der Menschheit ist der Alkohol, das konnte man öfter mal dann lesen, und wenn wir den Alkohol endgültig ausgerottet haben vom Erdball, dann bricht sozusagen das Paradies auf Erden an. Wir haben übrigens heute ganz ähnliche Bewegungen, was den Tabak angeht. Auch da ist man der Meinung: Wenn man den endlich von der Erde weg hat, dann bricht irgendwie das Paradies an.
Kassel: Ich finde, man denkt das auch über Fett und über Zucker, aber eben auch immer wieder über den Alkohol.
Spode: Ja.
Kassel: Aber ich bleibe mal, auch wenn Sie schon gesagt haben, da täusche ich mich, bei meiner 70er-Jahre-Theorie: Nicht ganz falsch ist aber doch, dass, wenn wir nicht nur über Gesetze reden, über Steuern, sondern auch über gesellschaftliche Akzeptanz, dass sich da gerade auch in Deutschland in den letzten Jahrzehnten viel geändert hat. Erinnern wir uns an Fernsehsendungen, wo am helllichten Tag vor der Kamera Wein getrunken wurde.
Spode: Der gute Frühschoppen, da kommt der Name her, ja.
Kassel: Da denkt man immer dran, oder an Spielfilme, wo der Kommissar morgens um zehn sagt, wollen Sie was zu trinken, und er meint Whiskey – das ist ja nun alles heute undenkbar. Da hat sich doch eine Menge geändert.
Spode: Ja. Also diese letzte Thematisierungskonjunktur, die, wie gesagt, um 1900 einsetzte, hauptsächlich rassenhygienisch begründet war, also das letzte Argument gegen den Alkohol war die völlig, heute würde man sagen, völlig absurde Idee, durch das Trinken von Alkohol würde die Rasse verderben, das heißt, wir würden alle aussterben. Das simple Argument, dass die Menschen schon seit hunderttausenden von Jahren Alkohol trinken und nicht ausgestorben sind, wollte man da nicht gelten lassen. So, diese letzte Thematisierungskonjunktur endet mit dem Zweiten Weltkrieg. Da haben wir nämlich kurz vorher, 1933 schon, das Ende der Prohibition in Amerika, auch dann später in Skandinavien, und mit dem Krieg sowieso treten plötzlich ganz andere Dinge in den Vordergrund.
Es war super schick, zu qualmen und zu saufen
Dann haben wir eine hedonistische Phase: Es war super schick, zu qualmen und zu saufen, Humphrey Bogart und so weiter. The American Way of Life, der vorher, vor dem Krieg noch mit Prohibitionen verbunden war, war nach dem Krieg mit Laissez-faire, mit Unmengen Alkohol auch verbunden, und diese Phase dauerte tatsächlich bis – und deshalb irren Sie sich –, bis in die 70er-Jahre hinein. Die Achtundsechziger waren die letzten Vertreter noch sozusagen dieser Laissez-faire-Zeit. Und das Ganze kippt in den Neunzigern, vielleicht schon in den späten 80er-Jahren. Das kann man auch am Pro-Kopf-Verbrauch ganz schön ablesen. Also der bleibt bis 1980 auf dem Höchststand, und fängt dann so ganz langsam an zu sinken.
Kassel: Insofern haben wir uns nur missverstanden und ich täusche mich, ich habe gesagt, in den Siebzigern war das noch so, und danach hat es sich irgendwann geändert.
Spode: Ach so, ja.
Kassel: Wir könnten noch ewig drüber reden – können wir de facto nicht, weil wir leider nicht beim Bierabend hier sitzen, sondern am frühen Morgen. Mit der Bitte um kurze Antworten, letzte Frage: Sie reden ja immer von Phasen, auf und ab. Halten Sie – der Historiker blickt ungern in die Zukunft, machen Sie es jetzt mal – für möglich, dass sich die Phase wieder dreht, also dass Alkohol mitten in Europa wieder akzeptierter wird in den nächsten Jahrzehnten, als er es heute ist?
Spode: Wir leben jetzt in einer Phase grundsätzlichen Asketismus, was unter anderem auch damit zu tun hat, dass diese Mittelschichten nicht mehr so bequem und sozial gesichert sind – und was machen die dann? Die werden asketisch. Das hatten wir immer wieder, weil sie dann durch die Askese ihr besseres Menschsein demonstrieren können, ob das jetzt die Veganer sind oder sonst was. Und das betrifft Sexualität übrigens auch, das betrifft das Rauchen, das betrifft das Trinken. Das wird erst mal so weitergehen. Meine Forschungen haben gezeigt, dass solche Konjunkturen mindestens 30 Jahre anhalten, die können aber auch 60 Jahre anhalten. Und wenn wir jetzt sagen, ab 1990 haben wir eine neue, dann haben wir noch 30, 40 Jahre vor uns, bis das kippt. Das kann ein bisschen schneller gehen, aber irgendwann kippt es, mit Sicherheit.
Kassel: Ich kriege wahrscheinlich Ärger, wenn ich sage, das bedeutet Hoffnung für junge Leute, da kriege ich ganz viel Ärger. Ich habe angedeutet, dass man es so sehen könnte, ich habe es nicht behauptet. Hasso Spode war das bei uns, mit einer – das haben wir jetzt ja doch gemacht, EU hin oder her – Kulturgeschichte der Akzeptanz und eben auch Nicht-Akzeptanz von Alkohol. Herr Spode, ich danke Ihnen sehr fürs Kommen!
Spode: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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