Alang

Indiens gefährlicher Schiffsfriedhof

Sie leben gefährlich: Arbeiter auf dem Schiffsfriedhof im indischen Alang
Sie leben gefährlich: Arbeiter auf dem Schiffsfriedhof im indischen Alang © Imago
Von Jürgen Webermann  · 02.04.2015
In Alang an der Nordwestküste Indiens zerlegen Arbeiter ausrangierte Supertanker und Kreuzfahrtriesen. Es ist einer der gefährlichsten Jobs der Welt. Denn immer wieder kommt es auf dem Schiffsfriedhof zu schweren Unfällen.
Alang im Nordwesten Indiens. Ein ehemaliges Fischerörtchen am Arabischen Meer. Aber kleine Kutter fahren hier nicht mehr aus. Am Strand, wohin das Auge reicht, Containerschiffe, Supertanker, Stückgutfrachter, Kreuzfahrtschiffe. In Alang werden sie abgewrackt und ausgeweidet.
Der Stahl ist kostbar, vor allem in Indien mit seinem massiven Wirtschaftswachstum. Die Dieselmotoren lassen sich gut verkaufen, und die technischen Geräte sowieso. Alles wird recycelt. Alang gilt aber auch als einer der härtesten Arbeitsplätze der Welt. Die meisten Männer hämmern, schleppen und schweißen ohne Schutzbrille, ohne Helm und sogar ohne Schuhe. Sie tragen Schlappen.
"Manche sterben direkt am Schiff"
"Man kann sich hier beim Schweißen schwere Verbrennungen zuziehen. Oder man wird von einem herabfallenden Stück Eisen getroffen. Manche sterben direkt am Schiff. Manche schaffen es noch ins Krankenhaus. Wir haben auch viel mit den Abfällen eines Schiffs zu tun. Öl, Chemikalien, verseuchtes Wasser. Die Arbeit ist heftig. Es schmerzt. Wir können uns jederzeit schneiden. Wenn wir mit Gasflaschen hantieren, kann es jederzeit zu Verletzten oder Toten kommen."
Einem indischen Gewerkschafter ist es gelungen, diese Arbeiter zu interviewen. Journalisten sind in Alang unerwünscht. Die Werften werden vor neugierigen Blicken abgeschirmt. Warum, das lässt eine neue Studie über die Bedingungen in Alang erahnen. Die indische Menschenrechtskommission hat die Langzeitrecherche finanziert. Zitat aus der Studie:
"Es ist alarmierend, wie sehr die Gesundheit der Arbeiter gefährdet und die Umwelt verschmutzt wird."
Pro Jahr sterben demnach durchschnittlich 16 Menschen. Jeden Tag müssen hundert Arbeiter in der Krankenstation behandelt werden. Bei schweren Unfällen dauert es mehr als eine Stunde, bis Krankenwagen vor Ort sind. Als völlig unzureichend gelten auch die Lebensbedingungen der Wanderarbeiter in Alang. Sie leben in einfachen Hütten. Für 35.000 Männer gibt es der Studie zufolge gerade einmal sechs Toiletten und zwölf Duschen.
"Wir müssen Geld verdienen"
Die meisten Arbeiter sehen dennoch keine Alternative zu ihren Jobs in Alang, so wie dieser junge Mann. In den Heimatdörfern der Wanderarbeiter gibt es keine Perspektiven. Millionen Menschen wandern ab, entweder in die Slums der großen Städte – oder nach Alang:
"Wir müssen arbeiten, trotz dieser Umstände. Wir müssen Geld verdienen."
Die Löhne liegen derzeit bei rund 150 Euro im Monat. Von dem Geld sind oft ganze Großfamilien in den Heimatorten der Arbeiter abhängig. Zum Leben in Alang bleibt da kaum etwas. Die indischen Werften dagegen erzielten 2013 einen Umsatz von 850 Millionen Euro. Angesichts der geringen Lohnkosten und fehlender Umweltauflagen gelten die Gewinne als extrem hoch. Der größte Einkäufer von Schrottschiffen, der Inder Anil Sharma, gilt sogar als einer der einflussreichsten Manager im weltweiten Schiffsgeschäft. Die meisten Schiffe, die Sharmas Firma GMS aufkauft, landen in Alang.
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