Akram Aylisli

Vom Nationalschriftsteller zur meistgehassten Person des Landes

Der aserbaidschanische Schriftsteller Akram Aylisli,
Der aserbaidschanische Schriftsteller Akram Aylisli © AFP
Von Sven Töniges · 03.03.2015
Akram Aylisli galt als lebender Klassiker der aserbaidschanischen Literatur – bis er eine Novelle über das Dorf seiner Kindheit schrieb, eine armenische Siedlung. Die staatlichen Repressalien und Schikanen verschonten auch seine Familie nicht.
"Normalerweise trinke ich keinen aserbaidschanischen Wein, aber dieser hier ist wirklich gut", sagt Akram Aylisli und hebt sein Glas Rotwein, um mit dem Besucher aus Deutschland anzustoßen. Der 77-Jährige hat in ein einfaches Restaurant geladen, in der Kagani-Straße im Gründerzeitviertel von Baku. Lammspieße stehen auf dem Tisch, Gurken, Tomaten. Und ein ausgesprochen derber Ziegenkäse. Gleich kommt noch Truthahn, freut sich Akram Aylisli. Zwischen den Gängen bleibt Platz für einige Slim-Zigaretten.
Akram Aylisli: ein Intellektueller alten Typs. Die Prägung der sowjetischen Intelligentsja ist unverkennbar. Er trägt Schirmmütze und Rollkragen, aber auch brandneue Turnschuhe, Nike. Im Gespräch wechselt er beständig zwischen elegantem Russisch und Aserbaidschanisch. Mit kaum zwanzig Jahren konnte Aylisli am Moskauer Maxim-Gorki-Literaturinstitut studieren, 1959 erschien seine erste Novelle, sechs Romane folgten. Eben, als wir das Restaurant betreten hatten, erhoben sich drei Männer, um Akram Aylisli die Hand zu schütteln. Leise sagten sie ihm, dass sie nicht glauben, was die Regierung über ihn sage. Aylisli nahm den Zuspruch mit sichtlicher Genugtuung an.
Aylisli: "Sehen Sie, das alles kommt nicht von den Leuten. Es war die Regierung, die all das losgetreten hat. Als ich meine Geschichte geschrieben habe, hatte ich gar nicht an Politik gedacht."
Vom Nationalschriftsteller zur meistgehassten Person des Landes
Seine Geschichte, das ist "Daş Yuxular" ("Steinerne Träume"). Der Text, der aus dem gefeierten Nationalschriftsteller Akram Aylisli die meistgehasste Person seines Landes machte.
2012 war die Novelle in einer kleinen Moskauer Literaturzeitschrift erschienen – in Russland. Kein aserbaidschanischer Verlag hätte den Text je veröffentlicht. Es ist die Geschichte eines Schauspielers, der im Januar 1990 Zeuge der antiarmenischen Pogrome von Baku wird. Der Held springt einem Armenier bei, der vom muslimischen Mob gelyncht wird. Dabei wird er selbst halb totgeschlagen und ohne Bewusstsein ins Krankenhaus gebracht.
Aylisli: "Dort, im Koma, zieht sein Leben an ihm vorbei. Er sieht das Dorf Aylis wieder, wo er geboren und aufgewachsen ist. Ihm erscheinen seine Eltern, die ihm erzählt hatten, von den vielen Armeniern, die einmal in Aylis lebten. Ihm erscheinen die Bilder von all den armenischen Kirchen, den armenischen Friedhöfe wieder. "
Verrat am Vaterland, lautete der Vorwurf und Verhöhnung von Kriegsopfern
Dieses Dorf, Aylis, es ist auch das Heimatdorf Akram Aylislis, nachdem sich der am 1. Dezember 1937 als Akram Nacaf oglu Naibov geborene benannt hat. Aylis, auf Armenisch, Verin Agulis, war einmal eine große armenische Siedlung. Bis 1919 die Armenier ermordet oder vertrieben wurden. Heute liegt das Dorf nahe der iranischen Grenze, in der völlig abgeschotteten aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan. Die vielen jahrhundertealten armenischen Kulturgüter hier wurden zu Schotter verarbeitet und angeblich zum Straßenbau verwendet.
Dem alten Aylis, dem Dorf, das es seither nicht mehr gibt, hat Akram Aylisli ein Denkmal gesetzt.
Er wollte kein politisches Buch schreiben, sagt Akram Aylisli, schon eher ein spirituelles. Auf keinen Fall sollte es ein Buch über den Karabachkonflikt sein. Doch als genau das wurde die Novelle von der staatlichen Propaganda dargestellt, als kurz nach Veröffentlichung eine Kampagne über Aylisli hinwegfegte. Verrat am Vaterland, lautete der Vorwurf und Verhöhnung der Opfer des Krieges um die Region Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan. Aylisli hatte den hysterisch-nationalistischen Diskurs in Aserbaidschan herausgefordert. Über Monate stand der Schriftsteller am Pranger.
"Sehr hässliche Dinge sind passiert. Meine Bücher wurden auf der Straße verbrannt, in jeder größeren Stadt von Aserbaidschan. Auch in meinem Heimatdorf in Nachitschewan. Mir wurde eine große Kiste mit Schmähriefen gebracht. Ich habe keinen einzigen aufgemacht. Es war klar, dass das alles arrangiert war. Die Regierung hat die lokalen Verwaltungen angewiesen, Proteste gegen mich anzustacheln."
Fast 10.000 Euro für den, der Aylisli ein Ohr abschneidet
Im Februar 2013 entzog Autokratenpräsident Ilham Aliyev schließlich Aylisi den Titel "Schriftsteller des Volkes" samt der dazugehörenden Ehrenpension. Seine Texte wurden aus Schulbüchern und Lehrplänen getilgt. Dann der Höhepunkt der Kampagne: Der Chef der regierungsnahen Partei Muasir Musavat versprach demjenigen umgerechnet fast 10.000 Euro Belohnung, der Akram Aylisli ein Ohr abschneide.
"Ich habe die Regierung gefragt: Denkt einmal darüber nach, was ist Eure Politik, was ist Eure Ideologie wert, wenn sie nicht mal dieser kleinen Geschichte standhalten kann?"
Am schlimmsten, sagt Akram Aylisli im Rückblick, waren die Drangsalierungen gegen seine Familie. Seine Frau und seine Söhne verloren ihre Jobs. Doch nie hätten sie ihm die Veröffentlichung seines Textes vorgeworfen.
"Es gab in dieser Phase auch eine Zeit, in der meine kleinen Enkel nicht mehr lachen konnten. Aber mittlerweile lachen sie wieder."
Akram Aylisli bestellt Tee und zündet sich die ungefähr fünfzehnte Zigarette an. Der Nationalismus, sagt er bilanzierend, sei die schlimmste Seuche der letzten hundert Jahre.
Inzwischen hat die Regierung abgelassen von Akram Aylisli. Vorerst. Das Regime hat sich anderen zugewendet: Etwa der vor bald einem Jahr weggesperrten Bürgerrechtlerin Leyla Yunus. Der Vorwurf lautet: Spionage für Armenien.
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