Afrika

    Mit einer Komödie die Realität kritisieren

    Porträtfoto von Samir Yusuf Omar
    Die damals 17-jährige Samir Yusuf Omar vor dem Beginn des 200-Meter-Rennens bei den Olympischen Spielen in Peking im Jahr 2008. © dpa picture alliance/ Kerim Okten
    Moderation: Susanne Burkhardt · 15.06.2014
    Diese Geschichte ging um die Welt: Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 lief eine junge Frau aus Somalia als letzte ins Ziel – mehr als zehn Sekunden nach den anderen Athleten – und wurde doch bejubelt. Vier Jahre später ertrank Samia Yusuf Omar als Flüchtling vor der italienischen Küste. Ihre Geschichte hat die brasilianische Autorin Carla Guimaraes zu einem Theaterstück gemacht.
    Susanne Burkhardt: Wann haben Sie zum ersten Mal von Samia Yusuf Omar gehört?
    Carla Guimaraes: Ich las in der Zeitung von ihrem Tod und erinnerte mich an die Frau, die bei einem Wettkampf der Olympischen Spiele in Peking letzte wurde. Als ich dann Jahre später las, dass sie beim Versuch über das Meer nach Europa zu kommen und weiter als Sportlerin trainieren zu können, gestorben war, bewegte mich diese Nachricht sehr und ich wollte etwas tun, ich wollte über ihre Geschichte schreiben. Es war total paradox, sie war ja als Verliererin berühmt geworden, als Letzte des Rennens. Die Leute hatten ihr applaudiert, weil sie es überhaupt noch bis zum Ziel geschafft hatte. Das zeugt von einem unglaublichen Charakter, menschlich ist das eine starke Geschichte, die mich sehr berührt hat, und über die ich gerne etwas schreiben wollte.
    Burkhardt: Sie erzählen die Geschichte dieser jungen Frau – die mit 21 Jahren starb als Komödie – wieso?
    Guimaraes: Viele spanische Autoren behandeln das Thema Emigration als realistisches Drama, als Tragödie, und ich wollte etwas anderes machen. Ich glaube fest daran, dass die Komödie ebenso gut die Realität kritisieren kann und vor allem auch Leute erreichen kann, die vielleicht gar nicht am eigentlichen Thema interessiert sind. Wenn Sie sich ein Drama über Immigration ansehen, sind Sie vielleicht schon sensibilisiert, was das Thema betrifft. Eine Komödie dagegen kann ein breiteres Publikum erreichen, und somit das Thema einer größeren Gruppe von Menschen nahe bringen. Deshalb habe ich mich für die Komödie entschieden.
    "Versucht, der Geschichte ein glückliches Ende zu geben"
    Burkhardt: Was an komischen Elementen, oder an ironischen Wendungen konnten Sie der Geschichte abgewinnen?
    Guimaraes: Es gibt viele Einflüsse, die ins Schreiben dieses Stückes mit eingeflossen sind, zum Beispiel Monty Python's absurder Humor, oder der naive Humor des Märchens. Ich habe diese Instrumente benutzt um eine sehr harte Geschichte zu erzählen, keinesfalls um die Kritik an der Situation abzumildern, sondern einfach um die Geschichte auf eine andere Art und Weise zu vermitteln. Es gibt Satire, komische Elemente, viel Ironie – man lacht vielleicht nicht die ganze Zeit, das ist bei so einem tragischen Thema nicht möglich, aber ich entschied mich für die Komödie als Form, sogar mit einem Happy End, ich habe versucht der Geschichte ein glückliches Ende zu geben.
    Burkhardt: Könnnen Sie ein Beispiel nennen, für eine solche ironische Betrachtung?'
    Guimaraes: Es gibt einen Moment, in dem viele Emigranten in einem kleinen Boot sitzen und versuchen nach Europa zu kommen. Während der Überfahrt veranstalten sie eine Art Wettbewerb, wer von ihnen am meisten gelitten hat. Erst mutet das etwas merkwürdig an, aber dann wird es immer absurder. Ich musste oft an den Monty Python Sketch denken, in dem die deutschen Philosophen gegen die griechischen Philosophen Fußball spielen. Auf diesem Sketch basiert eine andere Szene, in der sie miteinander sprechen und dabei ein berühmtes Gedicht von José de Espronceda, einem sehr bekannten spanischen Dichter, benutzen. Der ganze Dialog besteht aus diesem Gedicht, solche Dinge habe ich in das Theaterstück eingeflochten.
    Burkhardt: Das erinnert an den Satz von Woody Allen: Komödie ist Tragödie – aber länger wirkend ...?
    Guimaraes: Ja, ich glaube an diesen Satz von Woody Allen. Schließlich führen wir auch unser eigenes Leben so, wir lachen über unsere eigenen Tragödien, um am Leben zu bleiben, um weitermachen zu können. Ich möchte, dass sich die Zuschauer in Samias Situation hineindenken und über ihre Tragödie lachen, so wie sie über ihre eigene Tragödie lachen würden.
    "Märchen dazu nutzen, diese Realität zu kritisieren"
    Burkhardt: Wie haben Sie das Leben von Samia Yusuf Amar recherchiert?
    Guimaraes: Ich habe ein wenig recherchiert, aber mit niemandem aus ihrer Familie gesprochen. Als ich mich entschlossen hatte, die Geschichte als Märchen zu erzählen im Stile von „Es war einmal ein Mädchen...", war mir klar, dass ich mich nicht zu sehr an der Realität orientieren wollte – ich wollte die Realität benutzen, ich wollte das Märchen dazu nutzen, diese Realität zu kritisieren, aber dafür brauchte ich keine exakten Fakten. Einiges wollte ich dennoch über sie in Erfahrung bringen, so weiß ich zum Beispiel, dass sie ihren Vater verloren hat, ich habe mich über den Bürgerkrieg in Somalia informiert, über ihren Einsatz dafür, zu den Olympischen Spielen in Peking zu gelangen, aber ich habe auch neue Charaktere entworfen, die Teil ihrer Geschichte werden. Da ist z.B. der schwedische Sportler, in den sie sich verliebt, oder Mofara, ein somalischer Sportler, der im Alter von 10 Jahren nach London kam und ihr als Vorbild dient. Das Stück enthält also viel Imaginäres. Ich habe wie gesagt recherchiert aber eben auch viel Phantasie eingesetzt.
    Burkhardt: Die brasilianische Autorin Carla Guimaraes – hier im Deutschlandradio Kultur – wir sprechen über ihr Stück „Die unglaubliche Geschichte einer jungen Frau, das letzte wurde" – Frau Guimaraes – der Tod von Samia Yusuf Omar steht stellvertretend für viele namenlose Menschen, die beim Versuch nach Europa zu gelangen ihr Leben verloren haben und noch täglich verlieren – spielt das in Ihrem Stück eine Rolle – ist Samia Yusuf Omar eine Art Symbol für eine Tragödie, die niemand stoppt oder stoppen will?
    Guimaraes: Ja, Samias Geschichte ist die Geschichte aller Immigranten, die sich auf den Weg nach Europa machen, von denen viele sterben. An einer Stelle im Text nenne ich das Meer, das die Immigranten überqueren, „den schwarzen Ozean" wegen der vielen Körper schwarzer Menschen, die dort gestorben sind, so dass kein Wasser mehr zu sehen ist, nur noch Körper. Es ist wirklich eine tragische Situation, denn viele Menschen in Spanien, ich weiß nicht, ob man das auch für den Rest Europas so sagen kann, sehen die Immigration mit zwei verschiedenen Gefühlen: mit Mitleid und mit Angst. Und ich denke, dass keins dieser Gefühle das richtige ist, um mit dieser Situation umzugehen. Die Migranten brauchen kein Mitleid, sie brauchen die gleichen Chancen wie wir und müssen sich den gleichen Pflichten stellen, vor allem aber brauchen sie die Möglichkeit, weiter machen zu können, weiter zu leben. Die Angst ist einfach nur die irre Sorge davor, dass diese Leute kommen und einem das, was man hat, wegnehmen könnten, das ist so verrückt, dass ich darauf nicht weiter eingehen möchte. Als ich ihre Geschichte las, und all die anderen Geschichten von Migranten, die nach Europa kamen – ich bin ja selber auch eine Immigrantin -, werde ich einfach nur wütend, wütend über diese Situation. In dieser Stimmung habe ich auch das Theaterstück geschrieben.
    Spanier sind afrikanische Darsteller nicht gewöhnt
    Burkhardt: Sie sind selbst Immigrantin, Sie sind vor über 10 Jahren aus Brasilien nach Madrid gekommen – das Stück wird gespielt von Darstellern afrikanischer oder spanischer Herkunft – wie wurde das Stück denn in Spanien aufgenommen?
    Guimaraes: Es ist sehr gut angekommen. Wir haben afrikanische Schauspieler, und in Spanien ist es nicht üblich Afrikaner zu sehen, weder im Fernsehen noch im Theater. Die Immigration ist in Spanien noch ein sehr junges Phänomen, so richtig begann sie erst 1996. Die Leute sind also neugierig, diese Schauspieler zu sehen, und ich denke, dass die Komödie ihnen den Zugang leichter macht, als es bei einer Tragödie der Fall wäre. In einem Drama wird vielleicht mehr nach den Schuldigen gesucht, das Publikum will sich aber nicht schuldig an so einer Situation fühlen, die Komödie dagegen erlaubt ihnen, in die Geschichte einzudringen, sie zu fühlen, so als sei sie etwas ganz normales, etwas das ihnen selber passieren könnte.
    Burkhardt: Es ist interessant, dass Sie sagen, dass die spanische Bevölkerung nicht gewöhnt ist an afrikanische Darsteller – im Theater oder im Film – dabei liegt Spanien so nah an Afrika ...
    Guimaraes: Ja, das ist in der Tat sehr nah. Manche sagen ja, Spanien sei eher der Norden Afrikas als ein Teil Europas. Aber jetzt wird eine Riesenmauer um die Enklave Melilla gebaut, um Afrika von Europa zu trennen. Das ist in der Tat paradox, gerade weil in der Geschichte Spaniens die arabischen Einflüsse so wichtig sind. Als ich damals nach Spanien kam, sah ich überhaupt keine schwarzen Menschen, jetzt werden es aber jedes Jahr mehr. Ich komme ja aus Brasilien, wo ich täglich von Menschen aller Farben und Rassen umgeben war, das war schon ein ziemlicher Unterschied. Aber ich denke, jetzt gewöhnt man sich in Spanien daran.