Afghanisches Mädchenorchester "Zohra"

Musizieren unter Lebensgefahr

Das afghanische Frauenorchester "Zohra" in der Berliner Gedächtniskirche
Das afghanische Frauenorchester "Zohra" in der Berliner Gedächtniskirche © Deutschlandradio / Till Lorenzen
Von Till Lorenzen · 30.01.2017
"Zohra" ist das erste afghanische Frauenorchester. Die Mädchen spielen sowohl afghanische als auch westliche Musik - mit Instrumenten aus beiden Welten: Tabla und Rubab erklingen gemeinsam mit Geige und Cello. Jetzt ist "Zohra" in Berlin aufgetreten.
Die Gedächtniskirche am Breitscheidplatz ist erfüllt von Rubab, Sitar und Tabla, traditionellen afghanischen Instrumenten. Das Zohra Orchester aus Afghanistan probt konzentriert für seinen ersten Auftritt in Deutschland. Zohra steht für Schönheit, war aber auch eine der ersten weiblichen Musikerinnen aus Afghanistan und symbolisiert die Göttin der Musik in persischen Mythen. Zohra sind über dreißig junge Frauen und Mädchen und bilden das erste, rein weibliche Orchester aus Afghanistan.

Mit Musik die Angst besiegen

Der Name bedeutet den Mädchen viel, denn dass sie auch Musik machen, ist alles andere als selbstverständlich. Frauen werden durch den Einfluss der Taliban in Afghanistan unterdrückt, die Mädchen haben Angst vor extremistischen Anschlägen und werden eingeschüchtert und bedroht. Kraft schöpfen sie aus der Musik und der großen Unterstützung durch Dr. Ahmad Sarmast. Sarmast ist Gründer des Afghanistan National Institute of Music und sieht in der Musik eine Chance für Afghanistan.
"Es ist sehr wichtig, nicht nur Nein zu Angst und Terror zu sagen. Es ist auch wichtig, die Führung zu übernehmen und sie dann ans afghanische Volk weiterzugeben. Gleichzeitig müssen wir die Kraft der Musik nutzen, um Veränderungen herbeizuführen. Ich glaube nicht an wirtschaftliche Entwicklung in Afghanistan, an Frieden und Stabilität, an Gleichberechtigung, wenn wir uns Angst und Terror ergeben. Wir glauben, dass wir mit Kunst und Kultur, mit der großen Kraft von Kunst und Kultur Veränderungen bringen können und die Angst besiegen."
Die Mädchen lachen, sie sind froh, obwohl ihre Lebensumstände alles andere als leicht sind. Manche von ihnen leben in einem Waisenhaus, weil sie von ihren Familien verstoßen wurden. Vielen Menschen in Afghanistan gilt Musik als Ausdruck von Lust und Leidenschaft, Aspekte, die keinen Platz in der repressiven afghanischen Gesellschaft haben. Erst Recht nicht für Mädchen. Zarifa Adiba ist neben Negin Khpolwak Dirigentin des Orchesters, die ersten weiblichen Dirigentinnen in der Geschichte Afghanistans. Teile ihrer Familie wussten nicht, dass sie Musik macht und hätten dies auch abgelehnt. Doch durch die starke Medienpräsenz der letzten Wochen, hat nun auch ihr strenger Onkel davon erfahren. Die Sorge, wie er darauf reagiert, begleitete sie tagtäglich.
"Heute Morgen habe ich mit meiner Mutter telefoniert. Die erste Frage war: Ist mein Onkel wütend, wie war seine Reaktion? Sie wissen es jetzt, überall auf Facebook heißt es Zohra, Zohra, Zohra. Meine Mutter hat gelacht und gesagt: Dein Onkel kam zu mir und hat gesagt, dass er stolz auf dich ist. Ich kann es noch nicht glauben, dass er das gesagt hat. Aber jetzt bin ich etwas entspannter und muss mir nicht mehr ganz so viele Sorgen machen, was passiert, wenn ich zurück bin. Jetzt habe ich die Energie, wenn ich meine Familie verändern kann, kann ich auch die Gesellschaft um mich herum verändern."

Viel Aufmerksamkeit für Zohra in Afghanistan

Es sind also kleine Lichtblicke, erste Durchbrüche. Das Zohra Orchester beschäftigt die Gesellschaft in Afghanistan, die größten Fernsehsender berichten und es gibt eine Menge Zuspruch in den sozialen Medien. Sie wollen mit ihrer Musik verschiedene Kulturen vereinen. Deswegen spielen sie sowohl afghanische Stücke als auch westliche Kompositionen von Beethoven oder Bach – und das mit Instrumenten aus beiden Welten: Geige und Cello erklingen zusammen mit Tabla und Rubab.
"Wenn eine afghanische Rubab die Ode an die Freude spielt, sagen wir deutlich, dass wir diese Werte teilen. Wir teilen die Idee hinter diesem wunderbaren Meisterwerk, dass der Menschheit gehört. Es gehört nicht Europa oder den USA. Beethoven, Mozart, Bach, Strawinsky, Tchaikowski: Das sind die kulturellen Figuren, die der Menschheit gehören. Sie deutsch oder französisch oder afghanisch zu nennen, reduziert ihre Bedeutung."
Dr. Sarmast sieht die Musik als globale Sprache. Zohra zeigen Afghanistan von seiner positiven Seite, offen und herzlich, aber auch engagiert und professionell.
Negin Khpolwak und Kevin Bishop beim Auftritt in der Gedächtniskirche
Negin Khpolwak und Kevin Bishop beim Auftritt in der Gedächtniskirche© Deutschlandradio / Till Lorenzen
Kevin Bishop aus den USA ist musikalischer Leiter des Orchesters. Seit einiger Zeit lebt er in Kabul mit den Mädchen zusammen und erarbeitet mit ihnen das Programm für die Europakonzerte. Bei den Proben macht er klare Ansagen, hört aber auch auf Vorschläge von Negin und Zarifa. Für ihn haben die Mädchen, wenn sie ihren Weg beibehalten, eine große Zukunft vor sich:
"Diese Tour hat viele neue Möglichkeiten für sie eröffnet. Als wir beim Weltwirtschaftsforum in der Schweiz gespielt haben, haben wir für die Anführer der Welt gespielt und viele andere wichtige Personen aus der ganzen Welt. Wir haben schon eine Menge neue Einladungen erhalten. Die Zukunft der Mädchen ist hoffungsvoll. Manche werden vielleicht im Ausland studieren, andere werden die neuen Musiklehrer in Afghanistan. An ihrer Schule, aber auch an neuen in der Zukunft. Es ist eine strahlende Zukunft für sie alle."

"Jedes Zohra-Mitglied ist in Afghanistan ein Vorbild"

Sonntagabend. Es ist brechend voll beim Konzert in der Gedächtniskirche und eine knisternde Erwartung hängt in der Luft. Zohra haben Jeans und Pullover gegen die traditionelle Kleidung Salwar Kamiz getauscht, dazu eine Dupatta, ein langer bunter Schal, der über Schultern und Hinterkopf getragen wird. Nach jedem Stück gibt es großen Applaus fürs Orchester und Lächeln und Erleichterung huschen über die Gesichter der Mädchen. Zarifa ist sich sicher, dass das, was sie tun, eine Vorbildfunktion für andere Mädchen haben wird.
"Jedes Mitglied von Zohra ist ein Vorbild in Afghanistan. Wir sind die ersten, machen die ersten Schritte in Richtung dessen, was wir wollen und was wir lieben. Ich bin mir sicher, dass wir nach Davos und den Konzerten in Deutschland eine positive Wirkung auf afghanische Mädchen haben. Ich hoffe, dass nach dieser Tour vielleicht zehn Prozent der Mädchen machen werden, was sie wollen."
Am Ende des Konzerts spielen Zohra drei Zugaben, es gibt Standing Ovations und viele wollen ein Foto mit den Mädchen machen. An diesem Abend hat Zohras musikalische Botschaft Berlin erreicht: Musik als internationale Sprache, die alle verstehen können. Unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Aussehen.
Mehr zum Thema