Abschied von Deutschland

Der Choreograf William Forsythe verlässt Frankfurt

William Forsythes "Herman Schmerman" am Staatsballett Berlin.
William Forsythes "Herman Schmerman" im Nadja Saidakova and Federico Spallitta, Aufführung am Staatsballett Berlin im September 2013 © picture alliance / dpa / Claudia Esch-Kenkel
Von Wiebke Hüster · 11.04.2015
Der Choreograph William Forsythe hat das moderne Ballett in seine Einzelteile zerlegt und neu zusammengesetzt. Seine Tänzer schlidderten und grunzten. Immer wieder schien sie ihr Unbewusstes seltsame Ausdrucksmöglichkeiten wählen zu lassen. Jetzt verlässt William Forsythe Deutschland. Seine Company bekommt einen neuen Leiter.
"We know what we do", versicherte William Forsythes Ballerina und Schauspielerin Dana Caspersen dem Publikum vor nicht langer Zeit, "Wir wissen, was wir tun", raunte sie, und vergaß nicht, im selben Atemzug daran zu erinnern, dass sie bei all dem, was sie wissentlich getan hatten, auch stets die Ersten gewesen seien, die solches taten.
Es ging witzig zu wie lange nicht, im Winter vor zwei Jahren in Forsythes Stück "Study '3". Selbstreflexive Bemerkungen der Tänzer flogen über die Bühne wie Scherzworte in einer leichten französischen Komödie. Wie so oft in den besseren und besten Abenden des amerikanischen Choreographen, der vor dreißig Jahren nach Frankfurt kam um zu bleiben, brachte das Stück sich selbst in Gang, nahm Fahrt auf, spielte virtuos auf der ganzen großen geheimnisvollen Theatermaschinerie des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Jähe Lichtwechsel, harsche Klanglandschaften, rätselhafte literarische Anspielungen, Socken an den Tänzerfüßen sorgten für jene energiegeladene Atmosphäre, für die das Ensemble berühmt ist. Choreographische Ballungen, Verknotungen, Absplitterungen, Auseinandersprengungen, Gänge, Grimassen, Genuschel, alles sollte davon ablenken, dass hier eine ganze Truppe um ein Mastermind geschart war, angetreten, das geliebte Ballett den Zuckerbäckern und auch der Neoklassik Balanchines zu entreißen und in eine kühne Zukunft zu führen. Coole Idee.
Tänzer als Co-Autoren
Jetzt geht der Mann, der selbst eine charismatische Bühnenerscheinung war und blieb, der Mann, der seinem Gegenüber, dem gegenwärtigen Augenblick stets volle schmeichelhafte Aufmerksamkeit schenkt. Jetzt kehrt er Deutschland den Rücken zu. 1984 hatte er das Ballett Frankfurt übernommen und es zwanzig Jahre lang zum Mittelpunkt des zeitgenössischen Tanzgeschehens gemacht. Er enthierarchisierte das Geschehen auf der Bühne, bildete seine Tänzer zu Co-Autoren aus und entwickelte eine vollkommen neue Semantik.
Er reizte die Möglichkeiten, das klassische Bewegungsvokabular zu verändern und mit modernen Impulsen neu erscheinen zu lassen, sehr weit aus. Seine Tänzer schlidderten und grunzten, sie waren Virtuosen und doch waren sie durchsichtig wie Geister und schienen immer wieder ihr Unbewusstes seltsame Ausdrucksmöglichkeiten wählen zu lassen.
Das Unwillkürliche darzustellen und mit ihm dem klassischen Ballett auf sublime Weise die Vorhersehbarkeit zu nehmen, ging als Projekt eine ganze Weile gut. Als ihn die große Opernbühne als Spielfläche zu langweilen begann und er sich nach spontaneren Formaten sehnte, löste er das Ballett Frankfurt in einem großen Eklat auf und begann 2005 mit "The Forsythe Company" wie mit einem freien Ensemble zu arbeiten. Nun wird die Gruppe im Sommer von Forsythes ehemaligem Tänzer übernommen, dem Choreographen Jacopo Godani. Der fünfundsechzigjährige Forsythe wird dann den Verpflichtungen seiner kalifornischen Tanzprofessur nachkommen und herausfinden, wie er seinen neuen Status als Künstlerischer Berater des Balletts der Pariser Oper ausfüllen will. "The Forsythe Company" wird dann die Gruppe sein, die einmal von ihm gegründet und zehn Jahre später verlassen wurde.
Der US-amerikanische Tänzer, Choreograf und Künstler William Forsythe, steht am 25.11.2014 in der Ausstellung "William Forsythe Black Flags" im White Cube der Kunsthalle im Lipsiusbau in Dresden (Sachsen).Arno Burgi/dpa
Der US-amerikanische Tänzer, Choreograf und Künstler William Forsythe© picture alliance / dpa / Arno Burgi
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