Abbas Khider: "Ohrfeige"

Die Wutrede eines abgelehnten Asylbewerbers

Der deutsch-irakische Schriftsteller Abbas Khider
Der deutsch-irakische Schriftsteller Abbas Khider © imago/STAR-MEDIA
Von Ursula März · 30.01.2016
Die Irrwege eines jungen Flüchtlings durch das Labyrinth der deutschen Asyl- und Ausländerbürokratie erzählt Abbas Khider in "Ohrfeige". Als Wutrede angelegt, gelingt dem deutsch-irakischen Autor ein eindringlicher, raffinierter und hochaktueller Roman.
Als der Schriftsteller Abbas Khider mit der Niederschrift dieses Romans begann, konnte er kaum ahnen, wie aktuell dessen Geschichte sein würde. "Ohrfeige" erzählt von der Flucht eines jungen Mannes aus dem Irak nach Mitteleuropa, von seinen Irrwegen durch das Labyrinth der deutschen Asyl- und Ausländerbürokratie, vom Nervenkrieg des Wartens auf Identitätspapiere und behördliche Bescheide, auf Kleidung und Nahrung, von der Existenz im Niemandsland staatlicher Zugehörigkeit, beziehungsweise Nichtzugehörigkeit, vor allem aber vom nicht enden wollenden Ausharren in Asylbewerberunterkünften.
Der Name dieses Ich-Erzählers ist Karim Mensy. Seine Geschichte spielt zu Beginn des Jahrtausends, im historischen Rahmen der Diktatur Saddam Husseins, der New Yorker Anschläge vom 11. September 2001 und des Irakkrieges im Jahr 2003. Aber sie könnte ebenso gut in der unmittelbaren Gegenwart spielen, sie könnte die eines jungen Syrers sein, der sein letztes Geld an eine Bande von Schleusern gezahlt hat, um sein Leben in Sicherheit zu bringen und diese in einer bayrischen Kleinstadt zu finden hofft.
Geknebelte Amtsvertreterin als stumme Zuhörerin
Als Karim Mensy mit seinem Bericht beginnt, endet seine Zeit in Deutschland. Sein zunächst bewilligter Antrag auf Asyl wird plötzlich widerrufen. Ihm droht die Abschiebung in Irak. Er ist entschlossen, sich noch einmal den Schleppern anzuvertrauen. Finnland soll seine nächste Station sein, sein nächster Versuch, in Europa unter zu kommen. Aber bevor er verschwindet, will er sich seine deutschen Erfahrungen von der Seele reden. Er will es sein, dessen Stimme gehört, dessen Bericht einmal nicht ignoriert oder unterbrochen wird. Und deshalb hat Khiders Roman die Form eines Monologs. Er vollzieht sich vor einer stummen Zuhörerin. Sie heißt Frau Schulz und ist die Vertreterin des deutschen Staates, die Karim Mensys Asylantrag abgelehnt hat. Jetzt, zu Beginn der Erzählung, sitzt sie in ihrem Büro, befindet sich in Karim Mensys Gewalt, denn er hat ihr den Mund mit Klebeband verschlossen. Diese Szene ist die Klammer der Binnenerzählung.
Khider kam selbst als irakischer Flüchtling nach Deutschland
Karim Mensys Abrechnung mit Frau Schulz besitzt zwar die Intention der parteilichen Wutrede, aber der Ton, in dem der Ich-Erzähler sie vorträgt, erinnert bisweilen eher ans Groteske. Dass Abbas Khider den politisch verbissenen Ernst ebenso zu vermeiden sucht wie eine prototypische Asylantengeschichte, erweist sich an Karim Mensys Grund, aus dem Irak zu fliehen. Anders als der Autor selbst, der seine Heimatstadt Bagdad im Jahr 1992 verlassen musste, weil er wegen politischer Aktivitäten vom Regime verfolgt wurde, hadert sein Protagonist mit einem Problem intimerer Natur. Ihm wuchsen als Jugendlicher weibliche Brüste. Karim Mensy leidet unter sogenannter Gynäkomastie. Im Irak drohte ihm der Militärdienst und damit ein Martyrium tagtäglicher Zurschaustellung und Diskriminierung. Er hofft nicht nur auf ein Leben im Westen, er erhofft eine Operation. Ohne die Grenzen des Realismus zu überschreiten, schildert Abbas Khider in diesem ebenso eindringlichen wie raffinierten Roman einen Fall, der hochaktuell ist, wenn auch nicht alltäglich.

Abbas Khider: Ohrfeige
Hanser Verlag, München 2016
219 Seiten, 19,90 Euro

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