70 Jahre Hitler-Attentat

"Wir sehen keine andere Möglichkeit mehr"

Eine Besucherin betrachtet am 01.07.2014 in der neugestalteten Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin eine Wand mit Porträts.
Der Widerstand gegen die NS-Diktatur sei von keiner homogene Gruppe ausgegangen, sagt Anke Silomon. © picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka
Moderation: Kirsten Dietrich · 20.07.2014
Einige der Christen unter den Verschwören des 20. Juli 1944 hätten lange mit sich gerungen, sagt Anke Silomon. Weil ein Attentat auf Adolf Hitler eben Mord sei, und damit ein Verstoß gegen das fünfte Gebot, so die Historikerin.
Kirsten Dietrich: Widerstand gegen Adolf Hitler und sein Regime war spärlich, aber es gab ihn. Getragen von mutigen Einzelnen oder meist kleinen Gruppen, die aus ihren Überzeugungen heraus den Terror des Nationalsozialismus nicht länger ertragen wollten. Dabei ist ganz vielfältig, wie dieser Widerstand konkret aussah: Sabotage, Proteste gegen unmenschliche Verordnungen, Flugblätter, das Verstecken von Juden vor deren Deportation ins KZ. Alles Aktionen, bei denen die Handelnden ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten und das auch wussten. Heute jährt sich die wohl spektakulärste Aktion dieses Widerstands zum 70. Mal, das gescheiterte Attentat auf Hitler durch Claus von Stauffenberg am 20. Juli 1944. Was trieb die Widerständler an, was gab ihnen Rückhalt, welche Bedeutung hatten dabei christliche Werte? Darüber habe ich vor der Sendung mit der Historikerin Anke Silomon geredet, sie hat geforscht zum christlichen Widerstand gegen Hitler. Und ich wollte von ihr wissen, welche Bedeutung dieser 70. Jahrestag für sie hat!
Anke Silomon: Für mich bedeutet das nur eine interessante und wichtige Facette des ganz unterschiedlich motivierten und auch ganz unterschiedlich angegangenen Widerstands gegen das NS-Regime. Was ich eher interessant finde als nur dieses einzelne Ereignis zu sehen, ist vielleicht auch die erinnerungspolitische, kann man schon fast sagen, Geschichte. Kurz nach dem Attentat war es eigentlich eher so, dass die als Vaterlandsverräter dastanden, ganz klar, das hat sich auch bis in die 50er-, 60er-Jahre hineingezogen, dass zum Beispiel die Hinterbliebenen von den Verschwörern durchaus keinen guten Stand hatten und nicht als Opfer des Nationalsozialismus galten. Dann gab es vielleicht eine Zeit, wo man eher von so einem nationalen militärischen Widerstand gesprochen hat, mit dem sich auch nur begrenzt jemand identifizieren konnte. Vielleicht gilt das auch zusammen mit dem Kreisauer Kreis und der Weißen Rose zum Beispiel, das sind eigentlich nur so punktuell Widerstandsgruppen, die wahrgenommen wurden. Also das große Ganze wahrzunehmen oder auch diese kleinen Helden, von denen man spricht, also Leute, die Juden versteckt haben, das ist ja eigentlich erst in den letzten Jahrzehnten wahrgenommen worden. Insofern sehe ich das eben auch nur als einen Teil.
Dietrich: Jetzt aber ist es doch eher in meinem Eindruck, dass es fast was Ikonisches hat, das sind die Widerstandskämpfer immerhin, das ist jetzt ganz umgedreht, das sind Helden?
"Helden, die von verschiedenen Seiten in Anspruch genommen werden"
Silomon: Ja, man könnte das schon sagen, das sind Helden, die von verschiedenen Seiten in Anspruch genommen werden, aber vielleicht für viele Jugendliche auch gar nicht so nachvollziehbar sind. Obwohl, ich glaube eigentlich, dass die meisten Jugendlichen gar nicht genau wissen, was waren das eigentlich für Menschen, wo kamen die her. Die wissen vielleicht noch, dass es Militärs waren überwiegend, dass manche von denen auch Christen waren, das waren ja nicht alles Christen und das war ja auch keine homogene Gruppe, kann man ja auch wirklich sagen. Aber es eignet sich natürlich jetzt, das hochzustilisieren. Ich denke aber, das ist eine relativ neue Entwicklung. Wie gesagt, es wurde ja vorher auch mit einem anderen Blickwinkel auf den Widerstand überhaupt geguckt, dass man die Einzelpersonen, dass man die Frauen hinter diesen Verschwörern zum Beispiel gesehen hat, dass man auch den kommunistischen Widerstand wahrgenommen hat, was ja auch eine Zeit verpönt war.
Dietrich: Kann man überhaupt davon sprechen, von dem Widerstand? Oder waren das lauter einzelne Widerstandsgruppen? Also, wie eng waren die miteinander vernetzt, wie viel wussten diese verschiedenen Widerstandsgruppen und -kämpfer und -kämpferinnen voneinander?
Silomon: Das ist ganz unterschiedlich. Es gab einige Gruppen, die durchaus – zum Beispiel Kreisauer Kreis und die Verschwörer des 20. Juli –, die hatten durchaus Überschneidungen auch und haben auch voneinander gewusst. Aber viele Widerstandsgruppen, also das Umfeld, wenn man sich das vorstellt wie so konzentrische Kreise, sozusagen gab es außen ganz viele, die waren natürlich überhaupt nicht eingeweiht und ... Also, um das Attentat überhaupt durchzuziehen und es nicht vorher schon scheitern zu lassen an Dekonspiration, sollten natürlich auch gar nicht so viele davon wissen. Und es gab viele Widerständler, die sozusagen räumlich sehr eng gearbeitet haben nebeneinander, ohne voneinander zu wissen. Man hat ja auch jedem misstraut in dieser Zeit und das war ja auch gut so.
Dietrich: Sie haben sich ganz speziell mit dem christlich motivierten Widerstand beschäftigt. Gibt es da was Gemeinsames, was diese ganzen, die verschiedenen Gruppen – das waren Gruppen, das waren Einzelpersonen –, gibt es was, was die zusammen verbunden hat, dass man da von christlichem Widerstand sprechen kann?
"Ein Attentat ist eben Mord"
Silomon: Na ja, wenn man da von christlichem Widerstand spricht, das ist natürlich auch was sehr Persönliches. Es gibt ja keinen Kanon, dass man sagt, es gibt bestimmte christliche Werte, auf die man sich berufen muss, und dann muss man Widerstand leisten, sondern das ist ja auch eine sehr persönliche Sache, wie man viele Dinge auslegt. Also, als Beispiel: Gerade bei den Verschwörern des 20. Juli, die ja durchaus eben nicht alle Christen waren, war es eben auch so, dass einige von den Christen gesagt haben, wir können kein Attentat durchführen, weil, ein Attentat ist eben Mord. Das verstößt gegen das fünfte Gebot. Und es gibt einige von denen, die lange mit sich gerungen haben, wo dann irgendwann ein Prozess eingesetzt ist, wo sie gesagt haben, okay, jetzt sind wir auch dabei, wir sind auch dafür, wir sehen keine andere Möglichkeit mehr. Und das ist sozusagen ein Abwägen der Möglichkeit, wie kann man das Ziel erreichen und kann eben nicht alle christlichen Werte einhalten.
Dietrich: Schwächt das diesen christlichen Widerstand, wenn klar ist, dass man noch mal ganz elementar sich selber auch als schuldig Werdenden bei dem Widerstand erlebt, wenn es eben so weit geht, dass man jemanden umbringen will, dass man den Tyrannenmord begehen will?
Silomon: Nein, ich glaube nicht, dass es die Durchschlagskraft wirklich behindert hat. Das Schwierige war eher, dass man sich nicht dekonspirieren durfte. Also das geheim zu halten, die richtigen Leute anzusprechen, nicht jemanden anzusprechen ... Es wurde ja sehr viel diskutiert, es war in der "Zeit" jetzt gerade ein sehr interessanter Artikel darüber, wie viele Leute angefragt wurden, die das Attentat jetzt übernehmen sollten, also die das durchführen sollten. Und da sind viele Dinge mitgeschwungen. Also erst mal eben zu sagen, kann ich wirklich jemanden töten, dann die Frage, wenn ich dann Adolf Hitler gegenüberstehe, wie ist das dann, was ist das sozusagen für eine emotionale Lage, in der ich mich befinde, wenn was schiefgeht, kriege ich kalte Füße und alles scheitert? Das waren so viele Charaktereigenschaften auch, die eine Person aufbringen muss, so ein Attentat auszuführen, dass es sehr schwierig war, überhaupt jemanden zu finden.
Und wenn man jetzt mal auf den christlichen Widerstand überhaupt blickt, es ist natürlich immer die Frage, was ist eigentlich Widerstand. Da haben sich ja Historiker aller Generationen darüber gestritten, dass es im Grunde immer noch keinen genauen Kanon gibt oder keine Aufstellung, dass man sagt, das ist der Widerstand, das ist Widerspruch. Es gibt verschiedene Kategorien natürlich, es ist ja immer die Frage, was hat der Einzelne – also, das ist für mich zumindest eine interessante Frage –, was hat das für ihn bedeutet, hat das für ihn etwas bedeutet, war es leicht für ihn, Menschen zu verstecken zum Beispiel, oder war er sehr beobachtet, war er selber unter Beschuss, hatte vielleicht eine Jüdin als Frau oder familiäre Verbindungen. Also, es ist ja immer die Frage, was muss man eigentlich von sich selber geben. Und das, was dann am Ende dabei herauskommt, da ist es natürlich viel spektakulärer, wenn man jetzt die Verschwörer des 20. Juli ansieht und sagt, ja, die hätten den Tyrannenmord begangen und da wäre Hitler tot gewesen. Die große Frage ist ja, was wäre eigentlich passiert, wenn es gelungen wäre, das frage ich mich oft.
Dietrich: Und die spannende Frage ist dann eben auch, das stimmt, man verliert dabei leicht aus dem Blick, dass es eben auch die Leute gab, die zum Beispiel einfach nur – nur in Anführungszeichen – von ihrer Kirche gefordert haben, dass sie sich für Juden einsetzen soll, dass sie da einfach mal sagen soll, was hier mit Juden passiert, die Gesetzgebung, der Arier-Paragraf, das ist nicht in Ordnung. Schon das ist ja Widerstand auf einer ganz kleinen Ebene.
Silomon: Und das ist schon ein größerer Widerstand zum Beispiel als diejenigen – und das waren leider auch die Mehrheit –, die eben gesagt haben, die Judenchristen, die müssen geschützt werden, nicht die Juden, sondern sozusagen die Juden, die sich haben taufen lassen, die übergetreten sind. Für die hat sich ja auch die bekennende Kirche relativ zügig eingesetzt, während sozusagen die Judenfrage – sage ich mal in Anführungszeichen – ja eigentlich lange, lange überhaupt nicht behandelt wurde, wenn, nur von Einzelpersonen.
Dietrich: Wenn es um Widerstand geht, dann hat man ganz viele Einzelpersonen vor Augen mit teilweise ganz bewegenden Glaubenszeugnissen auch in ganz schwierigen Situationen. Welche Rolle spielt dabei die Institution Kirche? Ist sie das Gegenüber, ist sie ein Rückhalt?
Silomon: Ich glaube, auch das ist individuell sehr unterschiedlich, weil es immer ... Nehmen wir mal als Beispiel Alfred Delp, einen Katholiken, der eben Widerstand geleistet hat und dafür dann auch eingesperrt wurde und hingerichtet werden sollte, und kurz vor seiner Hinrichtung hat man ihm die Möglichkeit gegeben, sozusagen das noch mal zu widerrufen, indem man gesagt hat, er soll aus seinem Orden austreten. Das hat er aber nicht gemacht. Also, das ist sozusagen deswegen ... Ich sage immer wieder, das ist auch eine sehr individuelle Sache. Dass die Kirche als ganze Institution dahintersteht, man kann ja eigentlich auch froh sein, die Kirche ist ja kein Verein, es gibt ja keine Spielregeln, dass man sagt, wenn man in den Verein Kirche eintritt, dann ist man Christ und dann muss man sich an bestimmte Spielregeln halten. Das ist ja auch sehr aufgeweicht und das muss man ja auch immer kontextualisieren oder in der Zeit sehen, so was.
Dietrich: Die Kirche heute ist eine ganz andere als die Kirche damals.
Silomon: Ja.
Dietrich: Was kann dann gerade der christlich motivierte Widerstand heute noch bedeuten? Also, in welchen Punkten ist er anspruchsfähig oder taugt er als Vorbild oder sollte er gerade vielleicht in den Kirchen eine größere Rolle spielen?
"Bestimmte christliche Werte sind ja immer noch Konsens"
Silomon: Ich denke, man sollte das vielleicht ein bisschen von dem Christlichen sogar lösen. Es gibt ja viele Menschen, die sich gegen den Krieg wenden, die sich für Notleidende einsetzen, die sich um Kinder sorgen, meinetwegen, man kann auch sagen, die Tierschutz machen. Das sind ja alles verschiedene Facetten, über die man sprechen kann. Und diese Menschen sind ja nicht immer Christen. Man kann ja auch christliche Werte vertreten, wenn wir das jetzt mal ... Sagen wir mal, die zehn Gebote sind christliche Werte, vielleicht noch die Bergpredigt oder ... Ich glaube, das sind vielleicht so die wichtigsten Dinge, auf die man sich einigen könnte, gerade wenn man von außen auf Christen blickt. Das ist auch eine Frage der Empathie, also sozusagen des menschlichen Empfindens. Man kann ja auch trotzdem ... Ich meine, auch jemand, der sagt, er ist erklärter Atheist, würde doch nicht sagen, es ist kein Problem für mich, das fünfte Gebot zu überschreiten. Bestimmte christliche Werte sind ja immer noch Konsens. Und da muss man nicht unbedingt Christ sein, um sich nach dem zu richten.
Dietrich: Man kennt so die großen Namen des Widerstands, Claus Graf von Stauffenberg oder Dietrich Bonhoeffer. Sie haben eben über ganz viele verschiedene Biografien von Widerständlern zu ganz verschiedenen Zeitpunkten innerhalb des Nationalsozialismus gearbeitet. Gibt es da so eine Biografie, eine Person, die Ihnen da besonders ans Herz gewachsen ist?
Silomon: Eine auf keinen Fall, es sind mehrere. Ich könnte vielleicht ein paar Beispiele nennen, ich finde, dass die Frauen von den Widerständlern, zum Beispiel Hans-Bernd von Haeften, seine Frau Barbara von Haeften, diese Frauen waren ja alle im Hintergrund und haben alle Entscheidungen mitgetragen, mit ihren Familien, die hatten ja teilweise vier, fünf Kinder, teilweise auch noch sehr kleine, und sind ja dann auch in Sippenhaft genommen worden, als ihre Männer eingesperrt wurden. Also, was diese Frauen geleistet haben, das hat mich zum Teil extrem beeindruckt. Auch die beiden Franzosen, die in unserem Buch auch drin sind, André und Magda Trocmé, die eben Widerstand auf eine ganz andere Art geleistet haben, die in einem französischen Bergdorf einen richtigen Hort, ein Widerstandshotel quasi errichtet haben, auch noch eine Schule errichtet haben für die Kinder, für die ganzen Juden, die dort eingetroffen sind, haben Familien gesucht, um die unterzubringen, und das war sicher auch keine einfache Sache.
Und eine Person, die mich auch sehr fasziniert, ist der Gefängnispfarrer Harald Poelchau, da habe ich mich immer gefragt, wie das möglich ist, dass dieser Gefängnispfarrer, der eben nicht nur die Gefangenen bis zur Hinrichtung begleitet hat, sondern auch ein Zimmer in seiner Wohnung, in seinem Haus, in seinem Wohnhaus zur Verfügung gestellt hat, wo die Frauen von den Inhaftierten und dann eben auch zum Teil Ermordeten hingehen konnten, und er hat sozusagen die Kassiber rein- und rausgeschmuggelt und die durften sich dann in sein Schreibzimmer setzen und Briefe an ihre Männer schreiben. Oder eben umgekehrt die Attentäter oder auch andere, zum Beispiel, da gibt es sehr, sehr berührende Briefe auch von Helmuth James von Moltke, der an seine Kinder auch geschrieben hat, sozusagen Abschiedsbriefe, was möchte ich euch mitgeben für das Leben. Und das wäre ja nie zustande gekommen ohne diesen Mann Harald Poelcher, der zum Teil auch Essen geschmuggelt hat.
Und da frage ich mich eben, das ist so eine interessante Persönlichkeit, wie ist das möglich gewesen, dass den niemand verpfiffen hat? Weil, er hat sich auch zum Teil um, in Anführungszeichen, normale Kriminelle gekümmert und da hätte ja auch Neid aufkommen können, dass sozusagen die Widerständler in einer privilegierteren Situation waren und er sich mehr um die gekümmert hat. Aber er ist nicht aufgeflogen und er ist eines natürlichen Todes lange nach Ende des Krieges gestorben.
Dietrich: Vor 70 Jahren, am 20. Juli 1944, scheiterte Stauffenbergs Attentat auf Hitler. Ich sprach mit der Historikerin Anke Silomon.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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