24 Jahre Länderreport

Mit einer Reise nach Dresden fing alles an

28. Oktober 1990: der Landtag von Sachsen in Dresden.
28. Oktober 1990: der Landtag von Sachsen in Dresden. Ein Tag später lief der erste Länderreport. © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Thilo Schmidt · 27.10.2014
Ende Oktober 1990, nur wenige Wochen nach der deutschen Wiedervereinigung, ging der Länderreport erstmals auf Sendung: Wie fing alles an - und wie hat sich die Länderberichterstattung seitdem verändert? Unsere Korrespondenten blicken zurück.
29. Oktober 1990, 19.30 Uhr 30. Im Funkhaus des Rundfunks der DDR, Berlin-Oberschöneweide, Nalepastraße. Länderreport:
"Guten Abend, meine Damen und Herren, am Mikrofon begrüßt sie Annekathrin Leißner. Der Länderreport, die erste Sendung dieser neuen Reihe von Deutschlandsender Kultur führt sie heute in den Freistaat Sachsen, exakt: Nach Dresden."
Vier Wochen nach der deutschen Vereinigung: Die DDR ist abgewickelt, der Rundfunk der DDR noch nicht. Die "Stimme der DDR" war bereits zurückbenannt und erhielt ihren alten Namen "Deutschlandsender" wieder – mit dem Zusatz "Kultur". Doch auch an der Abwicklung des DDR-Rundfunks wird bereits gearbeitet. Der Sendebetrieb von Deutschlandsender Kultur, gängige Verkürzung DS Kultur, geht weiter - unter anderen Vorzeichen.
"Wir waren der Meinung, dass man das föderale System, das in Westdeutschland herrschte, mit den Bundesländern, dem ostdeutschen Publikum bekannt machen sollte. Da war es natürlich ganz klar, dass dafür ein besonderer Sendeplatz auch gefunden werden musste. Und jeden Tag, Montag bis Freitag, lief eine halbstündige Sendung, immer mit Themen aus den Bundesländern, denn eins war ja klar: Auch die Westdeutschen wussten wenig über die Ostdeutschen."

Das frühere DDR-Funkhaus an der Nalepastraße in Berlin-Oberschöneweide.
Das frühere DDR-Funkhaus an der Nalepastraße in Berlin-Oberschöneweide.© picture alliance / dpa / Foto: Bernd Settnik
Claudia Perez, von 1969 bis in die Wirren der Wende Musikredakteurin bei "Stimme der DDR", seit 1989 stellvertretende Chefredakteurin von DS Kultur und bis zu ihrer Pensionierung vor wenigen Jahren Redakteurin für den "Länderreport" im Deutschlandradio. Perez:
"Wir kamen ja in einen journalistischen Betrieb, der abgeschliffen war, ja? Wo alles klar war. Wir hatten selber damit zu tun mit der Technik, mit den Nachrichtenagenturen, alles sowas für uns erst mal zu erschließen, das auch als Material entgegenzunehmen, wo wir dann auch unsere Informationen hergeholt haben."
"Darüber informiert, was wirklich in der Welt passiert"
Länderreport: "Heute aus Ringenwalde. Einem Dorf in Brandenburg, dem Land nördlich von Berlin, mit der schönen Schorfheide und der noch viel schöneren Uckermark. Aber: Auch vielen Gemeinden mit nicht so rosigen Zukunftsaussichten." Mann: '"Ick hab die Schnauze voll, wissen se det? Bin weggeschickt worden mit 58 Jahre, so haut ab, jetzt brauch ma nich mehr. 460 Mark bekomm ich Vorruhestand, und da soll ich jetzt von leben?!?" Reporterin: "Wo haben Sie denn gearbeitet? Na, in der LPG; inne Landwirtschaft."
Degenhardt: "Die alten Verantwortlichen waren weg, die neuen waren noch nicht da – und in der Nalepastraße war mehr oder weniger alles möglich. Und das war eigentlich so mit die spannendste Zeit so auch in meinem Journalistenleben, weil man endlich auch mal das machen konnte, was die Hörer von einem erwartet haben, nämlich dass man das beschreibt, das berichtet, darüber informiert, was wirklich in der Welt passiert, und ihnen nicht irgendwas vormacht."
Jörg Degenhardt, seit 1985 beim DDR-Rundfunk und heute Redakteur beim Deutschlandradio. Die Jahre zwischen dem Ende der DDR und dem Ende des DDR-Rundfunks, das sich in zwei Etappen bis Ende 1993 vollzog, schaffen ein Vakuum, in dem sich die Hörfunkjournalisten der DDR neu erfinden. Eine Spielwiese entsteht, das lockt auch junge Kollegen aus dem Westen nach Berlin-Oberschöneweide.
Degenhardt: "Ja, ja, das war schon schräg. Ich glaub die Süddeutsche hat das mal geschrieben: Wir wurden ja sozusagen 'aus Handlangern der Diktatur wurden Wächter der Demokratie'."
Die Anarchie im DDR-Funkhaus lockt Volker Finthammer, 28 Jahre, gerade mit dem Studium fertig, aus Westberlin nach Oberschöneweide:
" ... ja, das war eigentlich so, wie man es sich nur nach dem Fall der Mauer vorstellen konnte, im April 1991 hab ich mich in die Straßenbahn gesetzt, bin nach Oberschöneweide gefahren, hab geklingelt am Funkhaus, die Pförtner haben mich verbunden mit dem Sekretariat der Chefredaktion, und ich hab schlicht gesagt, ich will hier mitmachen. Und bekam einen Termin, und 14 Tage später hab ich mich vorgestellt, und dann konnte ich kurz darauf auch anfangen. Weil das Interesse auf beiden Seiten groß war, da kamen irgendwelche unbekannten Leute aus dem Westen, die mitmachen wollten Ich hatte zuvor die Entwicklung im Radio schon verfolgt, da fand ja so ne Art interne Palastrevolution statt, bei diesem Sender, und dann fand ich das so spannend, so dass ich mir den Mut genommen habe, und hab gesagt: Da fahr ich jetzt hin und will mitmachen."
"Von den jungen Kollegen aus den alten Bundesländern ne Menge gelernt"
Degenhardt: "Wir haben da von den jungen Kollegen aus den alten Bundesländern ne ganze Menge gelernt, was das Auftreten angeht, und auch, was die Ortskenntnis angeht, also ganz banale Geschichten auch, und die haben von uns gelernt, wie man das Mikrofon richtig hält und bestimmte Fragetechniken auch, also journalistisches Handwerkszeug von uns mitbekommen, das war schon ne ganz spannende Mischung."
Finthammer: "In der klassischen radiojournalistischen Arbeit hatte ich null Kenntnisse, und hab von vorne angefangen. Aber das ging innerhalb kürzester Zeit, weil die Kollegen so hilfreich waren, und die Debatten, die man darüber führte, so spannend waren, so dass ich dann - der auch die DDR nicht kannte - innerhalb kürzester Zeit in ganz Ostdeutschland unterwegs war, zu vielen Geschichten hinfahren konnte ... heute würde man sagen: Es war ein Abenteuerspielplatz, aber es war eine ganz neue Erfahrung. Und das war in dieser Zeit einfach großartig. Und das technische, das hat man schnell gelernt. Die ersten Geschichten hören sich sicherlich stolperig an, da würde man heute sagen: Das würde man heute nicht mehr tun, aber damals war das einfach eine Herausforderung; und man konnte so viel machen und so viel ausprobieren, wie seit dem nicht mehr."

Jörg Degenhardt bildet heute zusammen mit Miriam Rossius eine der neuen Doppelspitzen von "Studio 9".
Jörg Degenhardt bildet heute zusammen mit Miriam Rossius eine der neuen Doppelspitzen von "Studio 9".© Deutschlandradio - Philipp Eins
Volker Finthammer ist heute Chef vom Dienst beim Deutschlandradio Kultur. Finthammer:
"Ja, meine erste Länderreport-Sendung, das war sogar eine aus meiner Heimat, ich komme aus dem Vogelsberg, in Hessen ..."
Länderreport: "Zu der heutigen Ausgabe begrüßt Sie Volker Finthammer. In jüngster Zeit wurden und werden sie häufig geschlossen: Partnerschaftsabkommen zwischen ost- und westdeutschen Landkreisen, die ihrem Selbstverständnis nach den Einigungsprozess von unten her befördern sollen, durch vielfältige Kontakte und Kooperationen auf kommunaler Ebene. Solch eine Vereinbarung unterzeichneten in der letzten Oktoberwoche Vertreter des Landkreises Oranienburg und des hessischen Vogelsbergkreises, die sich vor zwei Tagen in Oranienburg einfanden."
Finthammer: "Es war ja sicherlich so, dass solche kleinen Geschichten, aus den Regionen, wenn ich mal wieder zum Vogelsberg zurückkomme – das war ja damals für meine Kollegen im Osten genauso ein unbekanntes Land wie für mich jetzt, wenn ich nach Frankfurt/Oder oder so gefahren bin, ich kannte das ja auch alles nicht."
"Es war wirklich ne kurze Zeit des Aufbruchs"
Länderreport: "Diese Heimatsgeschichte is ja net irgendwie, was weiß ich, so wie die Dichter des 19. Jahrhunderts es gedacht haben, jetzt von den sanften Hügeln und den Bäumen und so weiter abhängig, sondern das ist in allererster Linie wird Identität, und zwar regionale Identität, durch Sprache vermittelt."
"Reden, wie dir der Schnabel gewachsen ist, das heißt du bist nicht gewillt, den Vogelsberg zu verlassen, weil du in anderen Gegenden, in anderen Städten meinst, nicht so reden zu können, wie du das im Kopf hast? Also biste dafür auf den Dialekt angewiesen?"
"Ja, was heißt auf den Dialekt angewiesen? In gewisser Weise schon. Also das heißt, was Berufssache sin, kann ich mich natürlich im Hochdeutsche formulieren und ich kann irgendwelche abstrakte Zusammenhänge natürlich im Hochdeutsche darstelle. Aber wenn ich über mich persönlich, meine Person, meine Empfindungen reden will, soll, muss, oder will, hauptsächlich, dann ist das Hochdeutsche für mich da einfach nicht ausreichend, weil, ja weil ich ja auch net im Hochdeutschen denke. Weil man muss sich ja auch immer vor Augen halten, auch das Denken is ja eine Funktion von Sprache, weil ich denke nu mal auf Platt, und wenn ich mich im Hochdeutsche verständiche muss, übersetz ich nach oben, sozusache."
Perez: "Also es war wirklich ne kurze Zeit des Aufbruchs, auch, finde ich jedenfalls, die journalistische Farbe zu finden. Irgendwie. Ja? Also mit allen Dingen spielen zu dürfen, zu können, oder so. Das war ja aber auch das, was die jungen Leute, die jungen Journalisten, zu uns gezogen hat."
Finthammer: "Es gab dann auch Redaktionssitzungen, die Stunden dauerten, tatsächlich Stunden dauerten, weil man sich über diese Ost- und West-Gegensätze heftig ausgetauscht hat, oder auch manchmal gestritten hat. Aber das war absolut spannend."
Das vorzeitige Aus droht DS Kultur zum 31. Dezember 1991 - der Einigungsvertrag sieht vor, dass die DDR-Rundfunkanstalten zu diesem Zeitpunkt abzuwickeln sind. Ein runder Tisch wird einberufen, und DS Kultur kann weitermachen, auch wenn dem Programm die Anstalt abhanden kommt: Ab 1992 heißt es für DS Kultur: "Im Auftrag von ARD und ZDF".
"Die Leute in Mölln waren nicht bereitwillig, darüber zu reden"
Länderreport: "Mölln, im November 1993. Ein Jahr nach den Brandanschlägen in der Mühlen- und der Ratzeburger Straße wollten wir wissen, wie die Stadt Till Eulenspiegels mit den international Schlagzeilen machenden, grausamen Morden des Jahres 92 lebt und umgeht. Wie sie den Opfern beigestanden, sie unterstützt hat."
Zur Erinnerung. Die Türken Bahide Arslan, ihre Enkeltochter Yeliz und ihre Nichte Ayse mussten nach dem rassistisch motivierten Brandanschlag sterben.
Degenhardt: "Nach dem Brandanschlag in Mölln, ein Jahr danach, haben wir eine Sendung gemacht, ne halbe Stunde, und wir haben recherchiert, was hat sich getan in Mölln, und da musste man einigen Leuten schon ein bisschen auf die Füße treten. Und das hatte ich ja vorher nicht gelernt. Das war für mich Neuland, und insofern war diese Zusammenarbeit mit den jungen Kollegen aus dem Westen, die zu uns gekommen sind, zu DS Kultur, das war da wirklich sehr hilfreich und das war eigentlich auch das Schöne an dieser Wendezeit, dass man sich so bei der Arbeit kennengelernt hat."
Die 17.000 Einwohner zählende Stadt im Herzogtum Lauenburg empfing uns an einem grauen Nachmittag mit vorweihnachtlicher Jahrmarktstimmung. Erster zugegebenermaßen flüchtiger Eindruck: Die Bürger von Mölln sind ein Jahr nach den Morden längst wieder zur Tagesordnung übergegangen.
Degenhardt: "Ich hab Mölln als ne angenehme, sehr hübsche Kleinstadt in Erinnerung, und es war schwer, Spuren dieses Anschlags zu finden, und die Leute waren auch nicht unbedingt bereitwillig, darüber zu reden. Es bedurfte schon einer gewissen Hartnäckigkeit, da mal nachzufragen, und daran zu erinnern, was passiert ist und welche Lehren man daraus gezogen hat ..."
Länderreport: "Was wird nun aus dem Brandhaus? Eine Begegnungsstätte? Erhalten die Opfer endlich eine wirksame und unbürokratische Hilfe? Co-Autorin: Verstecken sich die meisten Möllner auch in Zukunft hinter der zweifelhaften Rechtfertigung, was in der Stadt passiert sei, wäre auch anderswo in Deutschland möglich gewesen. Schlimm genug, dass dies so ist. Solingen, Hünxe, Eberswalde, Rostock, die Liste ließe sich fortsetzen. Auch, wenn die Mörder von Mölln mittlerweile verurteilt sind: Die Stadt bleibt nicht von ihrer Pflicht freigesprochen, ein Vergessen jener Brandnacht und ihrer Opfer zu verhindern. Bei Strafe einer Wiederholung."
"Man konnte viel mehr ausprobieren"
Finthammer: "Also natürlich gab's auch da Routinen, aber es gab insgesamt viel weniger Routinen. Man konnte viel mehr ausprobieren. Das besondere war, dieses Funkhaus in der Nalepastraße hatte ja so einen irrsinnig langen Flur. Und wenn man von der Politikredaktion beispielsweise nur in die Kantine wollte, kam man bei allen anderen Redaktionen vorbei. Und was allein schon auf diesem Flur schon für Ideen für Sendungen geboren wurden, das ist heute nicht mehr so in dem Maße vorstellbar. Weil so die Neugierde überall da war. Und man gegenseitig immer wieder das Gespräch suchte, und wie gesagt: Auf diesem Flur immer wieder neue Ideen für Sendungen geboren wurden, auch für den Länderreport, wo dann ganz viele Geschichten zusammenkamen, die man heute in dem Umfang natürlich nicht mehr machen würde. Weil man heute natürlich wieder einen ganz anderen professionalisierten Blick auf das Leben hat im neuen Deutschland."
RIAS-Schild auf dem Deutschlandradio-Funkhaus in Berlin
Das RIAS-Schild auf dem Deutschlandradio-Funkhaus in Berlin.© Deutschlandradio - Markus Bollen
Der Länderreport über die Ereignisse in Mölln ist einer der letzten von DS Kultur, aus der Nalepastraße in Oberschöneweide. Durch einen Staatsvertrag aller 16 Bundesländer entsteht das Deutschlandradio. In die neue Sendeanstalt wird der Deutschlandfunk zum einen und zum anderen das aus der Fusion von DS Kultur und dem Westberliner Rias entstandene Deutschlandradio Berlin integriert, das später in Deutschlandradio Kultur umbenannt werden wird. Gesendet wird fortan aus dem Rias-Funkhaus in Berlin-Schöneberg.
Perez: "Ernst Elitz war unser erster Intendant, und der hat auf der Suche nach Frequenzen oft die Staatskanzleien der Bundesländer besucht. Und dann hat er mich immer angerufen, ja, Frau Perez, haben wir denn was über Rheinland-Pfalz. Ich fahre jetzt nach Rheinland-Pfalz, wir brauchen ja neue Frequenzen, haben wir denn irgendwie ... und denn konnt ich natürlich ne Liste ihm mitgeben, und sagen, wir haben über Rheinland-Pfalz gesendet. Denn nur dann hat natürlich Rheinland-Pfalz, wenn sie vorkommen, in unserem Radio, vielleicht mal ne Frequenz zur Verfügung zu stellen. Ne, also das war der Hintergrund, und da war der Länderreport im Prinzip die Legitimation, ja?"
Länderreport-Redakteur und Autor der ersten Stunde ist auch Claus-Stephan Rehfeld: Im Jahr der Wende DS-Kultur-Korrespondent in Bonn, danach Kulturkorrespondent in Stuttgart. Bis zum heutigen Tage Redakteur des Länderreport. Besondere Höhepunkte? Rehfeld:
"Oooah, also da gibt's ne ganze Menge, also so viel Sendezeit haste nicht. Ne schöne Geschichte beispielsweise war mein erster Länderreport. Obwohl, es war nicht der erste. Es war der erste, der gesendet wurde, als ich hier in dem Haus war ... 'Typisch schwäbisch', da hab ich einfach mal versucht, den Stamm der Schwaben zu erkunden, noch aus der Stuttgarter Zeit ..."
"Nur ein Schwabe konnte den Büstenhalter schaffen"
Länderreport: "Nur ein Schwabe konnte den Büstenhalter schaffen. Erst am Busen dran rum grapschen, dann Maß nehmen, drüber tüfteln, schließlich Märker mit machen: Schwä-bi-scher Sex! Wollluschd! Schwabe: Wolluschd ...Sinn-Luschd ... Des klingt so komisch. Des erotische Thema isch weithin tabu. Ja? Des isch ... Da muss mer sich äußert vorsichdich bewegen. Fast so wie bei denne Puritanern. Den Puritanern sind alle groben Ausdrücke verpönt. Naja, aber Liebe ist ja kein grober Ausdruck, und der wird ja im schwäbischen kaum gebraucht. Jo, weiß net, wahrscheinlich werden ihn scho manche sagen, ned? Also man äußert ja auch die Gefühle nicht näher umschrieben. So, das geht einem nicht leicht von der Zunge. Ja, also der Umstand, dass es immer noch Würddeberger gibt, beweist, dass se sich fortzupflanze vermöge."
Rehfeld: "... und daraus wurde dann gleich ne Reihe. Typisch ... schwäbisch, bayrisch, berlinisch, brandenburgisch ..."
Finthammer: "Wenn wir uns als Anstalt der Länder begreifen, dann ist es natürlich auch ein bisschen unsere Aufgabe, in den Ländern sehr präsent zu sein, wir tun das ja heute auch über die Landeskorrespondenten, wir haben in jedem Bundesland ja einen Landeskorrespondenten, und dieser perspektivische Blick aus den Ländern auf bestimmte Geschichten, das macht ja gerade ein Radio der Länder aus."
Axel Flemming ist Landeskorrespondent in Brandenburg. Sein Einraumbüro im Dachgeschoss einer kleinen Villa in Potsdam-Babelsberg ist gleichzeitig Studio.
Flemming: "Ich sag manchmal aus Spaß, man ist als Korrespondent erstens bis zehntens Techniker und organisiert sein Leben und so, und elftens ist man dann auch Journalist und kann darüber arbeiten, das ist vielleicht grob übertrieben, aber ein bisschen ist es schon so. So, jetzt ist hier mein Medium verschwunden, was ja auch nicht gut ist."
Die Landeskorrespondenten sind die ersten Ansprechpartner im Deutschlandradio, wenn es um aktuelle Landespolitik geht. Verwaltungsreformen, Landtagswahlen, Koalitionsverhandlungen.
"Dahin zu gehen, wo Politik weh tut"
Flemming: "Also es muss ja nicht die harte Politik immer sein, die Partei A sagt das, und die Regierung sagt das und die Opposition ist dagegen. Das ist ja auch ne Form von Politikabbildung, von der die Leute eher genervt sind. Aber spannend wird es immer dann: Politik hat Auswirkungen, die trifft Bauern, die trifft Schüler, die trifft Lehrer, die trifft Leute auf der Straße – dahin zu gehen, wo Politik weh tut, wo sie vielleicht gutes macht, wo sie irgendwas bewirkt, das ist spannend, da nachzufragen, wie läuft denn das eigentlich. Und sehr genau hinzugucken."
Rehfeld: "Was aktuelle politische Berichterstattung betrifft, da haben wir im Hinterkopf: Den zweiten Gedanken, zum Thema, zum Stichwort des Tages aufzugreifen, also die Geschichte weiterzuentwickeln, oder die Meldung, den Sachverhalt, wir begreifen uns weniger als verlängerte Werkbank der tagespolitische Berichterstattung. Sondern hier geht es wirklich um den zweiten Gedanken, das heißt, eine Geschichte weiterzuentwickeln."
Und wenn es mal wenig aus der Politik zu berichten gibt, dann kann auch ein Landeskorrespondent ausgedehnte Reisen unternehmen, zum Beispiel entlang der Grenze zwischen Mecklenburg und Vorpommern. Das hat Axel Flemming getan - in Mecklenburg-Vorpommern war er von 2000 bis 2005 Landeskorrespondent.
Flemming: "Das ist so ein Bindestrichland, und die Pommern fühlen sich ein bisschen zurückgesetzt. Dem Meer ist die Grenze egal. Den Möwen, die da rüber fliegen auch, und die meisten Urlauber am Strand laufen achtlos über die Stelle zwischen Fischland und dem Darß, an der Ostsee. Selbst die Einheimischen kommen leicht durcheinander."
Länderreport: "Das ist die Grenze, ja. Zwischen? Zwischen Pommern und Vorpommern eben. Ne? Oder zwischen Mecklenburg und Pommern, ja. // Wir haben hier auf der anderen Seite Ahrenshoop, Mecklenburg. Äh, Vorpommern, ne? Und Niehagen, nachher, dingsbums, das ist denn Vorpo ... äh Mecklenburg. Vorpommern. Ne? Ja, wie nun?"
Flemming: "Und da bin ich einfach entlanggereist, ist auch sehr vorteilhaft, weil sich das auch quer durch den Darß zieht, die Grenze, und das war ein journalistisches und unjournalistisches, literarisches Thema, ich hatte gelesen, dass Uwe Johnson was da drüber geschrieben hat, bin dann mit dem dicken Ziegelsteinbuch von ihm, den Jahrestagen, da einfach hingefahren, und hab Leuten auf dem Parkplatz einfach das Buch gegeben, mit so ner Passage, und gesagt: Lesen Sie mir das mal vor."
Länderreport: "Eindeutig ist allerdings noch immer die Antwort auf die Frage, als was sich die Leute denn empfinden. Eine Identität als Mecklenburg-Vorpommer, als Bindestrich-Bürger, quasi, gibt es nicht. 'Ick bin Meckelnbörger.' 'Wir sind Vorpommern.' 'Ich bin Mecklenburgerin.' Und wo ist da der Unterschied? 'Nee, wieso? Die sün ahl glich. Die sün aal glich. Die sprechen genausou platt wie wir. Dat is vielleicht nachher bi de Jugend bi uns oldn is dat nich.'"
"... dass die Mecklenburger anders sind als die Pommern"
Flemming: "Und das war einfach schön, weil da die Sprachfärbung durchkam, und so, und ich hab viel erfahren, und man kann natürlich sagen, hm, ja, was ist der Erkenntnisgewinn? Aber man ist so plötzlich in dem drin, was sich als Mentalität eines Landes beschreiben lässt, und das ist ja auch eine Stärke des Länderreports, dass man erfährt, dass natürlich die Baden-Württemberger anders sind als die Bayern, dass die Mecklenburger anders sind als die Pommern, dass die Schleswig-Holsteiner vielleicht noch mal anders sind und die Berliner und die Brandenburger auch nicht identisch."
Petermann: "Dieses stark spielerische und stark ins Detail gehende und gerade dabei manchmal so unvorhergesehene Dinge hervorbringende, ich glaube, das findet man tatsächlich bei uns nur im Länderreport."
Mehr Erfahrung als Anke Petermann hat wohl niemand als Landeskorrespondent gesammelt: Von 1992 bis 2000 in Sachsen-Anhalt, von 2001 bis 2006 in Rheinland-Pfalz, von 2007 bis 2014 in Hessen und seit kurzer Zeit das zweite Mal in Rheinland-Pfalz. Über 20 Jahre Länderberichterstattung, auch und immer wieder gerne im Länderreport.
Petermann: "Und das genieß ich am Länderreport, dass er tatsächlich eine thematische Spielwiese ist, aber auch eben von der formalen Seite her, also dass man Satire bringen kann. Dass man ironisieren kann, dass man Collagen bringen kann, die verrücktesten O-Töne und Mischungen bieten kann. Also da kann man richtig kreativ werden, wenn man Lust hat."
Ironisieren zum Beispiel über den Regionalflughafen in Kassel-Calden, der aber nicht so recht ein Flughafen ist. Mangels Flugzeugen.
Länderreport: "Nordhessen wissen das. Und suchen bei seltenen Ausflügen zum Airport vor allem eines: Ruhe. Und die finden sie hier. Sommers an manchen Tagen unterbrochen von Ferienfliegern, winters bis aufs zarte Säuseln einiger Propellermaschinchen nahezu komplett. Total. Rundum. 'Und es ist wunderbar hier, ich empfinde es als sehr schön. Auch zum Kaffeetrinken.' 'Zum Gucken, zum Kaffeetrinken, wir gehen hier mal spazieren." 'Glücklich, dass der Flughafen hier ist. Tut unsere Region ein bisschen aufwerten.' Von November bis März steht das bis auf wenige Kaffeetrinker leere Terminalgebäude am Rande des weitgehend leeren Vorfeldes."
Petermann: "Genau, der will gerne ein Flughafen sein. Und die Frage ist, wie stellt man dann diese große Leere eigentlich dar, und dann ist man als Korrespondentin auch so ein bisschen angewiesen auf Glücksfälle. Und dann bot sich einfach diese kleine Veranstaltung 'Winterdienst in Kassel-Calden' an, um zu zeigen, da fahren große beeindruckende Räummaschinen über das abgesperrte Vorfeld eines Flughafens, also rein zu Schauzwecken, und es kommen auch viele Kasseler, um sich das anzuschauen, aber es fällt eben kein Schnee, und die Räummaschinen dürfen auch nicht richtig fahren, aus Sicherheitsgründen, und geflogen wird eben auch nicht ..."
"Satire darf man im Länderreport"
Länderreport: "'Haste gehört, Jannik, es geht bald los, ja?' Die Spannung steigt ins unermessliche. 'Und welcher Hubschrauber startet als erstes?' Jannik! Falsche Frage. Hubschrauber starten nur auf dem alten Gelände nebenan. Hat Opa dir vorher nicht erklärt, dass du das mit dem Flughafen nicht wörtlich nehmen darfst? Was erzählt der Mann da eigentlich? 'Als Kasseler ist das besonders angenehm, zu erfahren, dass wir einen neuen Flughafen haben, und keiner geht hin.' So'n Quatsch. Er ist doch da. Und Enkel Jannik auch. 'Möchtest du ein paar Gummibärchen?' Dem hat die nette Frau vom Empfang erstmal den Mund gestopft. Mit Süßkram. Damit der kleine nicht weiter mit der Frage nervt, wo denn das Fluggerät bleibt. Dein Opa Jürgen hat's doch gar nicht ernst gemeint, also, dass keiner kommt zum neuen Flughafen. Es kommen ja Leute. Zum Weihnachtsmarkt, und zum Winderdiensterlebnistag. Es fliegen eben nur nicht so viele ab. Zahlen muss Opa Jürgen aber trotzdem. Nicht fürs Ticket, denn er fliegt ja auch nicht von hier. Sondern Steuergeld. Unter anderem, damit die 750 leeren Parkplätze vorm Flughafen ohne Flug nachts auch schön beleuchtet werden können.
Petermann: "... und dann ergibt sich eben einfach so eine absurde Szenerie, die geradezu nach Satire schreit, und das Glück ist dann: Satire darf man im Länderreport, und die hab ich dann einfach gemacht."
Bleiben zum Schluss noch ein paar offene Fragen. Warum brauchen wir den Länderreport überhaupt, Anke Petermann?
"Der Länderreport gehört für mich in dieses Programm, ja, weil man einfach sozusagen in der Fläche in die Tiefe gehen kann. Und wir sind ja ein Länderradio, und da wollen wir in den Ländern präsent sein, und deswegen ist der Länderreport da für mich ein ganz wichtiger Bestandteil"
Und wozu soll der Länderreport gut sein, Claus-Stephan Rehfeld?
"Wir wollen einfach das Loch des Nichtwissens stopfen. Mit Wissen. Und wir wissen verdammt viel nicht, das wissen wir, und das ist ja die Aufgabe des Journalisten, sich damit zu beschäftigen."
Reportermikro im Frischhaltebeutel
Und vor allem: Warum transportiert der Kollege Axel Flemming sein Reportermikro in einem Frischhaltebeutel?
Flemming: "Also, diese Tüte hier ist ein ganz normaler Brotbeutel, aber hat mir schon gute Dienste geleistet. Denn ich habe ein Mikrofon mit einem Mikrofonschutz. Das ist, weil's Radio ist muss ich's sagen: In Blau, da steht Deutschlandfunk drauf, und in Orange, da steht Deutschlandradio Kultur drauf, und diese Buchstaben sind aufgeklebt. Und diese Buchstaben kommen einfach, wenn sie reiben, manchmal abhanden. Das führte dazu, dass aus dem Deutschlandfunk plötzlich 'Deutschlandfun"' wurde. Und Matthias Platzeck sah das bei einer Pressekonferenz und sagte: Aaah, da kommt ja der Herr vom Deutschlandfun, und schüttete sich aus. Ich fand's so mittelkomisch, weil das natürlich so ein bisschen an die Ehre geht, und ich hab dann erst mal wieder ein 'k' von einem anderen Mikrofon aufgeklebt, aber es sah erstmal noch so ein bisschen schräg ins Leben gestellt aus."
Und wie schafft es der Länderreport, Bilder im Kopf zu erzeugen, Anke Petermann?
"Tja, ich denke, weil er so ein einzigartiges Kaleidoskop vielleicht bietet. Und weil wir vielleicht auch noch Zutrauen darin haben, dass unsere Deutschland-Hörer wirklich interessiert daran sind, auch mal 20 Minuten lang zuzuhören, wie sich da so ein Landes- und Länderkaleidoskop vor ihren Augen entfaltet. Das war jetzt übrigens ein Scheiß-Bild. Also zuhören, wie sich was vor den Augen entfaltet (lacht...), das ist einfach Mist, Uff. Da muss ich einfach erstmal tief durchschnaufen."
Finthammer: "Dieses Übergreifende, dass ich dem Flensburger berichte, was in meinem Heimatkreis passiert, dem Vogelsberg, um das nochmal zuzuspitzen, oder dass der erfährt, was in München passiert, das ist ja diese besondere nationale Perspektive, die wir entwickeln, und die wir übergreifend entwickelt haben, und das macht glaub ich auch den Länderreport aus. Dass man wirklich so quer über die Republik Geschichten erfährt, und sich vielleicht dadurch doch näher kommt in der Vorstellung davon, was dieses gemeinsame Deutschland ausmacht."
Petermann: "Deutschlandradio, seine Macher und seine Hörer, haben weiterhin Lust auf viel Länderreport!"