100 Jahre Dauerwald-Vertrag Berlin

Verrückt nach Grün

Ein Radfahrer fährt am 17.10.2011 durch den Grunewald in Berlin.
Mit dem Dauerwald-Vertrag gesichert: der Berliner Grunewald © dpa / picture alliance / Özlem Yilmazer
Von Gerd Brendel · 30.03.2015
Vor 100 Jahren kämpften die Berliner für den Erhalt ihrer Wälder und Waldseen – mit Erfolg. Die Hauptstadt bekam einen "Dauerwald-Vertrag". Und das, obwohl Bauland auch damals schon begehrt war. Heutige Umwelt-Aktivisten ziehen Parallelen zum Tempelhofer Feld.
"Im engeren Ring um Berlin wird die Frage der völligen Zerstörung des Waldes und der kleinen Waldseen überhaupt schon aktuell. Rapide sinkt die Tierwelt…"
Kein Zitat aus einem aktuellen Flugblatt der Berliner Grünen, sondern aus dem Jahre 1904 als 30.000 Berliner mit ihrer Unterschrift für den Erhalt der Wälder rings um ihre Stadt protestierten. Die erste Massennaturschutzbewegung führte vor genau 100 Jahren zum Erfolg. Im zweiten Kriegsjahr gruben sich die Soldaten in Schützengräben ein und kämpften um jeden Zentimeter. Auf den fernen Dardanellen begann der Stellungskrieg um Galipoli aber in Berlin wurde Hektarweise Terrain gewonnen:
"Um der wachsenden Bevölkerung der Reichshauptstadt für die fernere Zukunft die Gelegenheit der Erholung und Erfrischung im Freien und im Walde zu sichern."
So steht es im sogenannten "Dauerwald"- Kaufvertrag zwischen dem "Zweckverband Groß-Berlin" und dem preußischen Staat über 10.000 Hektar Wald zum Preis von 50 Millionen Goldmark.
Grund zum gedenkenden Feiern beziehungsweise "wandern" findet eine Schar aufrechter Umweltaktivisten auf dem Flugfeld Tempelhof: Genauso wie damals der Grunewald kurz davor stand, für Neubau-Viertel abgeholzt zu werden, sehen sie die Existenz der Dauerwiese "Tempelhof" durch ehrgeizige Bauprojekte bedroht.
"Auf das Jubiläum bin ich gestoßen. Es läuft was schief in Berlin - und ist es schon mal besser gewesen."
Allen voran der Ingenieur Niels Rickert.
"Arbeitsmäßig schweig' ich den ganzen Tag."
Aber nicht in seiner Freizeit: Seit Jahren setzt sich Rickert für den Erhalt des ehemaligen Flughafens Tempelhof als Freifläche ein. Die Parallelen zu damals liegen auf der Hand:
"Eigentlich geht es zwischen Dauerwiese und Dauerwald genau um die Erinnerung an Kommunalität und Subsidiarität und das Einfordern von Verlässlichkeit in der Politik."
Subsidarität: Bürger regeln ihre eigenen Belange , wie zum Beispiel den Kampf um das Tempelhofer Flugfeld als "Dauerwiese", und werden darin nur, wenn nötig, von der nächst höheren Politikebene unterstützt. Dafür lebt Rickert
"Bin auch Vereinsvorsitzender in anderen Vereinen, für regionales Wirtschaften in Mecklenburg."
Mit einem anderen Verein kämpft Rickert für lokale Energiegewinnung. Auf dem Flugfeld Tempelhof beackert er mit seinen Mitstreitern ein paar Hundert kleine Beete. Hier am "Almende-Kontur" beginnt die Gedenk-Route auf dem offiziellen Wanderweg Nr. 18 quer durch Berlin in den Grunewald.
Iris von der Gartengruppe verabschiedet sich nach einer Stunde Wandern. Ihre bunte Seidenkappe ist vom Regen durchweicht. Hermann von tempelhoferfeld.info steigt auf sein Wasserstoff-betriebenes Öko-Auto um. Nur ein paar betagte Vertreter der Berliner Wanderszene bleiben dabei und freuen sich über jede offizielle Wegmarkierung. Nicht gerade viel für eine Bürgerbewegung.
"Dann isses so. Quantitatives Arbeiten überlasse ich den Parteien, die haben ja auch Probleme mit ihrer Mobilitätsdarstellung und kriegen Millionen. Ich hab null Euro bekommen. Das zahl' ich sozusagen aus meiner Tasche."
Den Kranz zum Beispiel, den die Wandergruppe unterwegs am Schöneberger Rathaus vor der Gedenktafel für Freiherr von Stein niederlegen will.
"Der die Gemeindereform in Preußen auf den Weg gebracht hat."
Vor der Gedenktafel kramt Rickert in seinem Rucksack.
"Hab jetzt hier 'ne Rede. Ich halte die jetzt einfach, oder?"
"Ja, wenn se nicht zu lang ist."
"Viertelstunde?"
"Nein. Wir wollen nicht anfrieren! Es fängt an zu regnen… Wir müssen…"
Rickert packt sein Manuskript wieder ein.
"Es hat Phasen gegeben, wo man auf den Wecker gegangen ist."
Aber…
"Wenn man mal was bewegt, wenn die Dinge, die man vor zehn Jahren schon erkannt hat, mit einem Mal Allgemeinerkenntnis geworden sind, da sagen die: Ja der spinnt irgendwie, hört das Gras wachsen, aber manchmal hat er recht. Und mehr ist nicht zu erwarten in der Konstellation."
Niels Rickert lässt sich nicht beirren. Wurden nicht auch vor 100 Jahren die Kämpfer für den Grunewald belächelt? Visionäre müssen vermutlich ein bisschen verrückt sein, damit sie Erfolg haben.
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