100. Geburtstag

Routinierter Rummel um Julio Cortázar

Undatierte Aufnahme des argentinischen Schriftstellers Julio Cortázar.
Undatierte Aufnahme des argentinischen Schriftstellers Julio Cortázar (1914-1984). © dpa/ picture alliance / Sara Facio
Von Peter B. Schumann · 25.08.2014
Eher bescheiden feiert Argentinien den 100. Geburtstag eines seiner bedeutendsten Schriftsteller. Das hat vor allem politische Gründe, denn der erklärte Anti-Peronist Julio Cortazár passt den momentan Regierenden nicht ins Konzept.
Argentinien steht nicht gerade Kopf, um einen der größten Schriftsteller des Landes und einen der wichtigsten Erneuer der lateinamerikanischen Literatur zu feiern. Das war vor 15 Jahren ganz anders, als man des 100. Geburtstages von Jorge Luis Borges gedachte, der poetischen Lichtgestalt, und eine monatelange literarische Euphorie ausbrach. Aber damals herrschten andere politische Verhältnisse. Ein peronistischer Präsident, Carlos Menem, hatte das Land heruntergewirtschaftet, und die bürgerliche Mitte schickte sich an, die Regierung zu übernehmen.
Erklärter Feind des Peronismus
Borges war ein erklärter Feind des Peronismus genauso wie Cortázar, der Buenos Aires 1951 verließ und nach Paris ins Exil ging, weil Perón an die Macht gekommen war und die Meinungsfreiheit bedrohte. Mit Cristina Fernández de Kirchner beherrscht seit Jahren eine erneuerte peronistische Richtung, der "Kirchnerismo", das Land. Bei der ersten Gelegenheit, des Hundertjährigen zu gedenken, erwähnte die Präsidentin den großen Romancier nur als einen unter vielen.
Das war im Frühjahr auf Frankreichs wichtigster Buchmesse, dem Pariser Salon du Livre, als Argentinien dort Ehrengast und Julio Cortázar eine Sonderausstellung gewidmet war:
"Hier sehen wir einen unserer wichtigsten Karikaturisten Rep, der eine wunderbare Zeichnung über das Leben von Cortázar angefertigt hat. Dieses Jahr ist nämlich der 100. Geburtstag eines unserer größten Schriftsteller Julio Cortázar. Außer dem großartigen Roman 'Rayuela', seinem bekanntesten Werk, gefällt mir besonders 'Die Autobahn des Südens'. Heute erinnern wir aber auch an Joaquín Lavado, Quino, den Vater der Comicfigur Mafalda."
Beim Hundertsten von Borges stand das Land Kopf
Von einer Art Fieber, wie es 1999 wegen Borges ausbrach, ist in Buenos Aires nichts zu spüren. Die wichtigsten offiziellen Institutionen bieten eine eher routinierte Vielfalt, wie die Ankündigung des Kulturministeriums zeigt:
"Das Nationale Sekretariat für Kultur, das öffentliche Fernsehen, das Nationalmuseum der Schönen Künste, die Nationalbibliothek, das Museum für Literatur und Sprache und die Gemeinde Chivilcoy organisieren das Cortázar-Jahr 2014. Es wird Ausstellungen geben, Tage der Literatur, Wettbewerbe, ein neues Kulturzentrum und vieles mehr."
Das Jubiläumsjahr - Untertitel "Hundert Jahre mit Julio" - konzentriert sich jedoch hauptsächlich auf den Monat August. Zwölf Diskussionsrunden untersuchen die Aktualität des Meisters sowie seine Übersetzer-Tätigkeit und beleuchten verschiedene seiner Vorlieben, unter anderem das Boxen. Nur das politische Engagement bleibt ausgespart und vor allem die Frage, weshalb es in seinem Werk so wenig Niederschlag fand. In Buch- und Foto-Ausstellungen werden zahllose Aspekte seines Lebens und Wirkens beleuchtet. Und allerorten ist Julio Cortázar in Interviewausschnitten zu sehen und seine markante Stimme bei einer Lesung aus "Rayuela" zu hören.
Fotos des argentinischen Schriftstellers Julio Cortázar.
Fotos des argentinischen Schriftstellers Julio Cortázar.© AFP / Daniel Garcia
Das Museum der Schönen Künste hat bisher unbekannte Filme in Super 8 ausgegraben, die der Kinofan Cortázar einst zu seinem Vergnügen aufgenommen hat. Und eine Retrospektive erinnert daran, dass einige seiner Erzählungen prominent verfilmt worden sind, u.a. von Michelangelo Antonioni in"Blow Up", dessen erstem, auf Englisch gedrehten Spielfilm.
Comic-Ausstellung über Cortazar
Die surrealistische Welt des Erzählers Cortázar hat schon früher die Fantasie von Comic-Zeichnern beflügelt. Jetzt sind acht neue Comics hinzugekommen, die im Palais de Glace großflächig ausgestellt sind. Die Verlage üben sich dagegen in Zurückhaltung. Natürlich ist der Autor in allen Buchhandlungen stets präsent. Doch das galt auch für Borges vor 15 Jahren, und dennoch wurden damals üppig aufgemachte Jubiläumsausgaben herausgebracht. In Mexiko, das im Frühjahr seinem Octavio Paz, dem anderen großen Hundertjährigen Lateinamerikas, gedachte, ließ die Regierung sogar eine Anthologie in fast zwei Millionen Exemplaren auflegen und an die Mittelschüler im ganzen Land verteilen.
In Argentinien erinnert immerhin Televisión Pública, der offizielle Fernsehkanal, einen Monat lang jeden Samstag in Konzerten daran, dass der Argentinier Julio Cortázar zuerst ein Liebhaber des Jazz war und sogar Trompete lernte, bevor er sich dem Tango hingab und dafür Texte schrieb.
Verglichen mit dem Zauber, den einst eine bürgerliche Regierung für Borges entfachte, fällt der Rummel, den das kirchneristische Kulturministerium für Cortázar betreibt, eher bescheiden aus.
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