Zwischen Bruder und Schwester

20.08.2007
Wer sich für ein Künstlerleben entscheidet, beansprucht den Ausnahmezustand, der will sich der Kontrolle entziehen - durch Gesellschaft, Familie, Geschwister. Linde Salber erzählt in ihrem Buch von vier berühmten Geschwisterpaaren: Elisabeth und Friedrich Nietzsche, Gertrude und Leo Stein, Ana Maria und Salvador Dali, Erika und Klaus Mann.
"Es liege kein höherer Sinn im Leben, nicht danach, nicht darüber oder dahinter. Dass das Leben ist, darin liege sein Sinn. Das ist Nietzsche." Derlei unerhörte Gedanken konnte seine Schwester Elisabeth kaum verstehen und schon gar nicht billigen. Für sie war die Welt gut oder böse, richtig und falsch. Richtig war es, wenn ihr Ehemann Bernhard Förster in Paraguay eine deutsche Kolonie gründen wollte, reinrassig, ein "Nueva Germania".

Falsch war, was ihr Bruder dachte, tat und schrieb. Solange er lebte, konnte sie sich seiner Arbeit nicht bemächtigen. Dann aber wurde er krank, ein Pflegefall und war ihr ausgeliefert wie ein Kind. Da reißt Elisabeth dessen Werk an sich, beginnt es in ihrem schlichten Sinn umzudeuten, zu verfälschen, den Nazis anzudienen. Jahrzehntelang wird die Nietzsche-Forschung damit zu kämpfen haben. Als sie über dreißig Jahre nach dem Bruder stirbt, bekommt sie ein Staatsbegräbnis, in Anwesenheit von Hitler.

Um den eigenen Weg, auch um den Preis der Trennung geht es bei Ana Maria und Salvatore Dali. Sie wird seine nächste Vertraute, er begehrt sie als Modell. Ein inzestiös-inniges Verhältnis zwischen Bruder und Schwester an der Schwelle zum Erwachsensein.

Doch dann tritt eine andere Frau in sein Leben: Gala Eluard, das ganze Gegenteil von Ana, stark, kraftvoll, eine erotische Herausforderung. Die Ablösung Salvadors von Ana ist brutal. Er schreibt sogar ein Gedicht, in dem er die Schwester als Unding darstellt, die Geliebte als vollkommen. Bis zu seinem Tod werden beide kein Wort mehr miteinander sprechen.

Auch bei Gertrude und Leo Stein gibt es ein Ende. Nur kommt es auf leisen Sohlen und erst im vierten Lebensjahrzehnt, nachdem sie jahrelang um ihr besonderes Verhältnis von Nähe gerungen hatten, gemeinsam studiert, gemeinsam Künstler und Kunst entdeckt und gesammelt hatten. Irgendwann entdeckt Gertrude, die Leo jahrelang angehimmelt hatte, dass sie das Genie von beiden ist: "Es gibt keinen Grund dafür, aber ich war es und er war es nicht." Die Bildersammlung wird aufgeteilt, die Picassos bleiben bei ihr, und obwohl beider Freunde verwundert sind, ist die Trennung total. Gertrude wird als Avantgardistin berühmt: "a rose is a rose is a rose ..."

Erika und Klaus Mann waren wie Zwillinge, obwohl nicht gleich alt, hingen sie zusammen, dass man glaubte, sie könnte es nicht ohne einander ertragen, nicht in dem großen Schreiber-Clan, nicht in der Welt. Während der berühmte Vater seine homoerotischen Neigungen diszipliniert, teilen sich die beiden manchmal sogar die Geliebten. Um die Liebe des Vaters jedoch konkurrieren sie ihr Leben lang. Erika und Klaus Mann hetzen durch die Welt, auch durch die Welt der Gefühle: Rausch und Ekstase, gegen die bürgerliche Mäßigung.

Erika, die Stärkere, verzichtet immer wieder auf die eigene Karriere, um ihm nahe zu sein. Klaus wird durch die rastlosen Jahre ein Getriebener. Exil, Schulden, Drogen, Überlast, irgendwann hält die dünne Schutzschicht nicht mehr, er nimmt sich das Leben. Erika widmet sich in ihren späten Lebensjahren dem Werk von Vater und Bruder, deren Genieanspruch sie "um den Genuß des eigenen Könnens" gebracht hat.

"Geniale Geschwister" ist ein Buch wie eine gute Vorspeise: Man spürt die einzelnen Zutaten und Gewürze auf der Zunge, einige hat man vielleicht schon gekostet und freut sich über deren wiederholten Genuss, andere machen neugierig auf ein Hauptgericht: auf die Bücher, Bilder, Werke der genialen Geschwister.

Rezensiert von Liane von Billerbeck

Linde Salber: Geniale Geschwister. Elisabeth und Friedrich Nietzsche, Gertrude und Leo Stein, Ana Maria und Salvador Dali, Erika und Klaus Mann
Piper Verlag, 2007
364 Seiten , 19,90 Euro