Yann Tiersen: "EUSA"

Ein Album voller bretonischer Heimatliebe

Der französische Komponist und Multiinstrumentalist. Yann Tiersen beim Festival Kulturarena in Jena 2015
Der französische Komponist und Multiinstrumentalist. Yann Tiersen beim Festival Kulturarena in Jena 2015 © imago/VIADATA
Von Carsten Beyer · 30.09.2016
Mit dem Soundtrack für den Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" wurde Yann Tiersen über Nacht weltberühmt. Sein neues Album "EUSA" hat der bretonische Komponist einem Ort gewidmet, an dem er seit vielen Jahren lebt: der französischen Ile d’Ouessant.
Die Ile d‘Ouessant ist der westlichste Ort Frankreichs. Die "Insel des Weltendes" wird Ouessant auch genannt, 15 Quadratkilometer Fels in der Keltischen See, etwa 20 Kilometer vor der bretonischen Küste. Knapp 900 Menschen leben hier – die meisten von ihnen sind Fischer, Bauern oder Zivilisationsflüchtlinge. So wie Yann Tiersen, der auf Ouessant einen Platz gefunden hat, an dem er in aller Ruhe und Abgeschiedenheit über seinen Kompositionen brüten kann. Ein vergessener Ort in einer Welt, auf der es ansonsten immer hektischer und unruhiger zugeht, darum geht es auch in den zehn Kompositionen von Yann Tiersen auf "EUSA".
"Die Grundidee war die einer musikalischen Landkarte: Ich habe zunächst ein paar Field Recordings gemacht auf der Insel – an zehn verschiedenen Orten, und dann habe ich für jeden dieser Orte eine Musik geschrieben. Das sollte keine romantische Ortsbeschreibung sein. Das würde auch gar nicht funktionieren, denn diese Musik ist nicht illustrativ.
Natürlich, der Ozean ist allgegenwärtig – und das hört man auch, aber ansonsten ist an Ouessant nichts romantisch. Es ist karg hier, es gibt keine Bäume und die See ist sehr rau, deswegen gibt es eine Menge Erosion an den Klippen. Es ist eher dramatisch, würde ich sagen."
Die Musik von Yann Tiersen ist geprägt von Melancholie und sehnsuchtsvoller Schönheit. Mit der Geduld des Minimalisten verschleppt er seine Songs, zerlegt sie am Klavier in ihre Einzelteile, um dann am Ende doch den roten Faden wieder aufzugreifen. Sehr repetitiv klingt das, bisweilen sogar hypnotisierend. An manchen Stellen glaubt man Einflüsse von Komponisten wie Michel Nyman, Pascal Comelade oder Eric Satie zu hören. Davon aber will Tiersen nichts wissen. Er verweist stattdessen lieber auf die musikalischen Traditionen der Bretagne.
"Zuviel Bewegung in der Musik mag ich nicht. Das hat vermutlich auch etwas mit der musikalischen Tradition meiner Heimat zu tun. Obwohl ich nie viel traditionelle Musik gehört habe, ist sie doch immer präsent – in meinem Unterbewusstsein. Es gibt in der bretonischen Musik viele Dudelsäcke – wie in den meisten keltischen Ländern – und es wird sehr schön gesungen. All das, die ständige Wiederholung, das Leiern der Dudelsäcke – war immer in meinem Hinterkopf, selbst als ich mal in einer Punkband gespielt habe. Und es hat dazu geführt, dass ich mich später für den Minimalismus interessiert habe."

"Ich spiele die Amélie-Musik auch nie auf meinen Konzerten"

Die bekannteste Komposition von Yann Tiersen ist bis heute der Soundtrack zur "Fabelhaften Welt der Amélie". Dabei hat er diese Musik gar nicht für den Film von Jean-Pierre Jeunet geschrieben, sondern eigentlich für ein Solo-Album, in dem er einen Schiffbruch vor der bretonischen Küste thematisiert – und das Schicksal eines kleinen Mädchens, das dabei ums Leben kam. Nur durch einen Zufall kam die Musik in den Film und wurde so zum musikalischen Sinnbild der französischen Hauptstadt. Ein Umstand, den Tiersen bis heute bedauert.
"Amélie war ein großer Erfolg, aber trotzdem: Paris mag ich überhaupt nicht! Es ist vielleicht der Ort, den ich am meisten verabscheue auf der ganzen Welt! Die Vorstellung, dass die Leute meine Musik mit dieser Stadt verbinden, ist echt schmerzhaft! Ich spiele die Amélie-Musik auch nie auf meinen Konzerten, obwohl ich immer wieder danach gefragt werde. Es ist ein bisschen so, als hätte ich die Musik für einen erfolgreichen Zahnpasta-Werbespot geschrieben: Ah, du bist also der Typ, der die Musik für Colgate geschrieben hat. Na Herzlichen Glückwunsch!"

Yann Tiersen schwärmt über die Bretagne

In den Zeiten der Globalisierung sei es wichtig, sich nicht immer nur mit den großen Themen zu beschäftigen, sagt Yann Tiersen: Stattdessen will er lieber die kleinen Dinge verstehen – die Bretagne zum Beispiel, die Region, in der er aufgewachsen ist und in die es ihn trotz seiner vielen Reisen immer wieder zurückzieht.
Wenn Tiersen von der Bretagne redet, bekommt er einen schwärmerischen, fast schon nationalistischen Unterton: Ich muss an die Katalanen denken, an die Basken – und an all die anderen Völker Europas, die ihr Heil in der Unabhängigkeit suchen, in der Loslösung vom vermeintlich zentralistischen Mutterstaat. Und wie ist das bei Yann Tiersen? Träumt er etwa auch von einer unabhängigen Bretagne?
"Um ehrlich zu sein: Ja! Aber das ist ein Traum, das wird vielleicht nie passieren. Ich glaube an ein starkes, föderales Europa. Das heißt: Ich bin an erster Stelle Europäer. An zweiter Stelle bin ich Bretone – und dann lebe ich in der Nähe von Frankreich. Das Problem mit Frankreich ist, dass die Franzosen einfach noch nicht bereit sind für den Föderalismus."
Yann Tiersen ist in Kürze auch live zu erleben: Am 11. Oktober spielt er im Gewandhaus in Leipzig, zwei Tage später, am 13. Oktober dann in Hamburg in der Laeisz-Halle.
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