"Willkommensklassen"

Wie Berlin Flüchtlingskinder an den Schulen integriert

Flüchtlingskinder aus Syrien in Potsdam
Die Schulpflicht in Deutschland gilt auch für Flüchtlingskinder. © picture alliance / dpa / Foto: Ralf Hirschberger
Von Claudia van Laak · 23.11.2015
Berlin hat für seine "Willkommensklassen" viel Lob bekommen. Tatsächlich sind sie eine gute Möglichkeit, Zuwanderern Deutsch beizubringen und sie gleichzeitig zu integrieren. Doch die Organisation ist nicht einfach und vieles kaum planbar.
"Ich bin Saria, ich bin zehn Jahre alt, ich komme aus Syrien, ich spreche arabisch, englisch, türkisch und ein bisschen deutsch."
"Hallo, ich bin Dionys. Ich bin Albaner."
"Arnel. 11 Jahre alt. Bosnien. Sprechen deutsch, russisch, bosnisch."
"Ich bin Arman. Ich bin 11 Jahre alt. Armenisch, russisch, und ein bisschen Englisch."
Die Willkommensklasse der katholischen St. Franziskus-Schule in Berlin-Schöneberg. Seit drei Wochen lernen sie gemeinsam Deutsch – acht Kinder, fünf Muttersprachen.
"Guten Tag!"
Eine gemeinsame Sprache haben die Kinder nicht. Noch nicht, sagt Lehrerin Aniko Ramshorn-Bircsak, eine gebürtige Ungarin.
"Sie warten auf neue deutsche Wörter, auf neue deutsche Sätze, die sie benutzen können. Also, ich merke da wirklich eine leere Stelle. Das benutzen sie, das Kleine, was sie gelernt haben, und das werden sie künftig intensiver weiterbenutzen."
"Was ist das denn? Ich weiß nicht. Mensch, Ute. Da, schau mal, Ute, schnell, komm mit. Ein UFO."
"Das habt Ihr schön vorgetragen."
Das Land Berlin hat für sein Konzept der Willkommensklassen bereits Lob von der Bundeskanzlerin bekommen. Die Idee: Kinder ohne Deutsch-Kenntnisse werden zwar in einer Extra-Klasse zusammengefasst, der Unterricht findet aber an normalen Schulen statt, damit Kontakte und Freundschaften zwischen Deutschen und Zuwanderern entstehen können. Ein zweiter wichtiger Punkt: Willkommensklassen sind keine reinen Flüchtlingsklassen. So sitzen im Unterricht von Aniko Ramshorn-Bircsak auch zwei Mädchen aus Sizilien.
Niemand weiß genau, wo wie viele schulpflichtige Kinder wohnen
"Ich sehe, dass das eindeutig sehr positiv ist, positiv für die Integration. Die Kinder, die aus geflüchteten Familien stammen, die keine stabilen Verhältnisse im Hintergrund haben, haben so Anknüpfungspunkte, sie haben Beispiele."
Die Organisation der vielen Deutschkurse für Kinder und Erwachsene ist nicht einfach und kaum planbar. Wie viele Flüchtlinge in der Stadt sind, weiß niemand genau – geschätzte 15.000 sind überhaupt nicht registriert. Je nach Status des Asylbewerbers zahlen die Bundesanstalt für Arbeit, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder das Land Berlin den jeweiligen Kurs.
Familien wechseln ihre Unterkünfte und damit die Stadtbezirke – niemand weiß genau, wo wie viele schulpflichtige Kinder wohnen. So hatte die Franziskus-Schule zu Beginn eine Liste mit 15 Kindern. Am ersten Schultag standen zehn vor der Tür, aber nicht unbedingt die, die auf unserer Liste standen, erzählt Claudia Reuber, Konrektorin der Franziskus-Schule.
"Die Arbeit in der Willkommensklasse braucht ganz viel Flexibilität. Das ließe sich im Voraus auch gar nicht richtig planen. Natürlich schon so, dass man sagt, Voraussetzung ist, dass jeden Tag jemand da ist. Ich fand auch wichtig, dass wir am Anfang den Schwerpunkt gesetzt haben zu sagen, den Kindern auch wirklich einen Ort anzubieten, einen Raum und dass sie sehen: Da ist jemand für mich."
Saria, Dionys, Arnel und die anderen haben Glück – sie lernen Deutsch in einer liebevollen Umgebung, die Klasse ist klein. Für die Flüchtlingskinder, die in den nächsten Wochen nach Berlin kommen werden, dürfte es härter werden. Entsteht doch momentan auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof ein ganzes Flüchtlingsdorf, der Deutschunterricht dort wird vermutlich in Zelten stattfinden, weil die umliegenden Schulen keinen Platz haben. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW warnt bereits vor einer Aufweichung der Schulpflicht. Bundesvorsitzende Marlis Tepe verlangt außerdem, Deutschlehrer, die bislang als Honorarkräfte zum Beispiel an Volkshochschulen tätig sind, künftig fest anzustellen.
"Die Kolleginnen und Kollegen sind hochqualifizierte Akademiker, die auf Hartz IV-Niveau verdienen. Sie werden als Honorarkräfte beschäftigt. Das ist aus unserer Hinsicht völlig inakzeptabel. Und da wir wissen, dass auf Dauer diese Integrationsaufgabe in den nächsten Jahren auf uns zukommt, gibt es überhaupt keinen Grund, dies weiterhin in befristeten Honorarverhältnissen zu tun."
Festanstellungen der Lehrer sind nicht vorgesehen
Nuray Yagmur ist eine solche Honorarkraft. An diesem Morgen steht sie in der Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg vor ihrer Klasse – sechs Männer aus Syrien und Afghanistan, denen sie nicht nur Deutsch beibringen soll, sondern auch Schreiben und Lesen.
In der letzten Woche haben sie ein Poster gebastelt, das jetzt an der Wand hängt – verschiedene Gerichte und ihre deutschen Bezeichnungen. Nuray Yagmur mag bewegten Unterricht – sie lässt die Männer aufstehen und sich hinsetzen, wirft demjenigen, der etwas sagen soll, einen Ball zu.
"Sie sind Kellner, Sie sind Gast. Bitte lesen Sie. Guten Tag. Was möchten Sie essen? Guten Tag. Ich hätte gerne Pizza mit Salat."
Naqibullah Yaqbi ist aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Seit 17 Monaten lebt er in Berlin, wartet auf eine Entscheidung über seinen Asylantrag. Deutsch hat er bislang kaum gelernt, dieser Kurs ist sein erster.
"Ich keine Schreiben, keine Lesen. Ein bisschen Schreiben und Lesen ist besser. Ist meine Lehrerin sehr schön.
Nuray Yagmur lächelt – das Lob ihres afghanischen Schülers ist eine kleine Belohnung für den anstrengenden Deutschunterricht: Immer sehr laut und sehr deutlich sprechen, die Sätze mit Gestik und Mimik unterstreichen, um halbwegs verstanden zu werden – das kostet Kraft. Eine feste Stelle an der Volkshochschule wäre schön, sagt die Dozentin, die wie alle anderen auf Honorarbasis arbeitet.
"Rentenversicherung und Krankenversicherung müssen wir alles selber bezahlen. Wenn dann die Ferienzeit dazwischen kommt, bleibt dann nicht wirklich viel übrig zum Überleben."
Festanstellungen sind leider nicht vorgesehen – erwidert Bärbel Schürrle, Leiterin der Volkshochschule im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Sie kann allerdings darauf verweisen, dass die Honorare in Berlin höher sind als in anderen Bundesländern. Und dass derzeit ein Kurs nach dem anderen neu aufgelegt wird – diejenigen, die Deutsch als Fremdsprache studiert haben, sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt wie nie. Die Volkshochschule platzt aus allen Nähten – der Deutsch-Unterricht wurde zwischenzeitlich ausgelagert, in die Stadtbücherei und die Musikschule. Ideen hat Bärbel Schürrle genug:
"Ich habe gerade Flyer der Berliner Bibliotheken bekommen, die in sieben Sprachen gedruckt sind, in Arabisch, Mazedonisch, Farsi und weiteren Sprachen. Flüchtlinge in der ganzen Stadt haben die Möglichkeit, kostenfrei einen Bibliotheksausweis zu bekommen."
Außerdem bietet die Volkshochschule Seminare in Arabisch für ehrenamtliche Helfer an sowie Begegnungskurse, in denen Arabisch-Lernende mit Deutsch-Lernenden zusammentreffen. Das Ziel: eine Integration der Flüchtlinge von Anfang an.
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