Weltmusik

Die älteste Jazzband der Welt

Lebensfreude und unbändige Energie: Die rüstigen Musiker gewinnen mit ihren Jazzinterpretationen die Herzen von jung und alt. © Neue Visionen Filmverleih
Filmstill aus "As time goes by in Shanghai", Dokumentarfilm von Uli Gauke © © Neue Visionen Filmverleih
Von Christian Berndt · 26.11.2013
Die "Peace Old Jazz Band" tritt noch immer jeden Abend in Shanghai auf. Ein Stück Beständigkeit im dauernden Umbruch Chinas. "As time goes by in Shanghai" des Berliner Dokumentarfilmers Uli Gauke porträtiert die Musiker mit einem überraschenden Blick auf einen höchst lebendigen Anachronismus.
Eigentlich ist es ein Paradox: Die älteste Jazzband der Welt – der Schlagzeuger ist 93 Jahre alt – tritt immer noch jeden Abend in Shanghai auf. Ausgerechnet in jener Stadt, in der nichts so schnell vergeht wie die Vergangenheit und ganze Stadtviertel innerhalb kürzester Zeit verschwinden. Aber die Musiker der "Peace Old Jazz Band" haben ganz andere Zeiten überstanden: Die japanische Besatzung, die Befreiung durch die Amerikaner und die Kulturrevolution, mit der Jazzmusiker zu Staatsfeinden wurden.
Der Berliner Filmemacher Uli Gaulke hat nun einen Dokumentarfilm über die Band gedreht, der diese Woche ins Kino kommt: "As time goes by in Shanghai" heißt der Film und begleitet die Musiker im Alltag, lässt sie von der wechselhaften Vergangenheit erzählen und davon, was es heute bedeutet, Jazzmusiker in China zu sein. Gaulke, der in seinen Dokumentarfilmen gerne Menschen in ungewöhnlichen Lebenslagen und entlegenen Orten - von Kuba über Indien bis Nordkorea – porträtiert, gelingt ein überraschender Blick auf einen höchst lebendigen Anachronismus. Christian Berndt über "As time goes by in Shanghai."
Auch nach über 30 Jahren können sich die alten Herren beim Proben noch streiten. Seit 1980 spielt die "Peace Old Jazz Band" jeden Abend im "Peace Hotel", dem ersten Haus in Shanghai. Eigentlich haben die sechs" Musiker, von denen fünf über 70 sind, genug Routine. Aber die Band wurde nun zum bedeutendsten Jazzfestival der Welt in Rotterdam eingeladen – und das bedeutet Arbeit, denn der Jazz in China kann noch nicht mit westlichen Maßstäben konkurrieren.Zwar gab es schon vor dem Krieg Jazzclubs in Shanghai, aber mit Beginn der kommunistischen Herrschaft wurde westliche Unterhaltungsmusik verboten, wie der 80jährige Sun im Film erzählt:
"Als China am Ende des 2. Weltkrieges von der japanischen Besatzung befreit war, begann die Blütezeit Shanghais. Eine tolle Zeit, es gab massenhaft amerikanische Filme, Schallplatten und amerikanische Bands. So haben wir den Jazz gelernt. 1953 wurden dann plötzlich alle Ballrooms geschlossen und ich habe meinen Job verloren. Da habe ich heimlich geübt, ich stopfte Stofflappen ins Saxophon, damit der Ton ganz leise war."
Noch schlimmer kam es mit Maos Kulturrevolution, nun wurden Jazzer wie Sun ins Arbeitslager gesteckt. Erst mit der Öffnung nach Maos Tod 1976 durfte wieder westliche Musik gespielt werden und plötzlich waren die Jazzmusiker als Aushängeschilder gefragt. Von diesem wechselhaften Leben berichten die betagten Musiker in "As Time Goes By In Shanghai".
Shanghai: Metropole im Dauerumbruch
Regisseur Uli Gaulke erzählt den Film ganz aus der Perspektive seiner Protagonisten und lässt den Zuschauer sehr nah den Alltag dieser Band erleben, die in dieser modernen Riesen-Metropole im Dauerumbruch seltsam anachronistisch wirkt. Aber genau dieser Kontrast hat Gaulke interessiert, wie er in einem Café in Berlin erzählt:
Uli Gaulke: "Ich bin selber aus der DDR, ich setze mich oft mit Gesellschaften auseinander, wo Dinge gerade im Umbruch sind. Und mit den alten Leuten habe ich so ein bisschen die Chance gehabt, mich dem zu nähern. Weil sie natürlich auch in der Kulturrevolution Jazz gespielt haben, sie haben nach dem Krieg Jazz gespielt, das heißt, sie haben mehrere große geschichtliche Epochen durchschritten als Musiker."

Gaulke sucht für seine Dokumentarfilme gerne Gesellschaften auf, die aus der Zeit gefallen wirken. In seinem Debütfilm "Havanna Mi Amor", für den er 2000 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde, erzählte er vom Alltag auf Kuba und ließ aus den Lebensgeschichten ein ebenso vitales wie realistisches Bild eines Landes zwischen Verfall, Resignation und Behauptungswillen entstehen.
Schon seit vielen Jahren musikalisch ambitioniert. Der Gründer der Band, Zhou Wanrong, spielte leidenschaftlich Trompete. © Neue Visionen Filmverleih
Der Gründer der Band, Zhou Wanrong, spielte leidenschaftlich Trompete.© © Neue Visionen Filmverleih
Und mit Staunen schaut man auf die Helden in der Dokumentation "Comrades in Dreams", für die Gaulke Kinovorführer in aller Welt – von Afrika bis Nordkorea – porträtiert hat. Auch hier gewann Gaulke, in dem er den Menschen behutsam Raum zur Entfaltung gab, erstaunlich intime Einblicke – wie etwa auf eine Kinobetreiberin in Nordkorea, die linientreu über die Bedeutung der Filme für die politische Erziehung redete, aber in einem entspannten Moment plötzlich tiefe Sehnsucht und Traurigkeit durchblicken ließ:
"Für mich passiert immer am meisten, wenn die Menschen sich öffnen. Das liegt vielleicht einfach daran, dass ich so groß geworden bin. Guck mal, wenn Du jemanden in der DDR nach Honecker gefragt hättest, dann wäre da die Schere im Kopf aufgegangen und sie hätten höchstwahrscheinlich irgendwas erzählt, was man ihnen mal gesagt hat. Und Du kommst viel besser daran, wenn Du erst mal sie mit Dingen konfrontierst, die tagtäglich für sie wichtig sind."
"Für die Langnasen sind die hässlichen schön"
In "As time goes by in Shanghai” ist es die Musik, über die sich die Protagonisten öffnen und in unerwarteten Momenten – obwohl es als Tabu gilt – über die dunkle Vergangenheit sprechen. Die ist im Hintergrund stets zu spüren, auch wenn die alten Männer den Blick strikt auf das Jetzt richten und in den Proben ziemlich unbeschwert eine jungenhafte Albernheit entwickeln können - etwa, als sie für das Festival in Rotterdam erstmals eine Sängerin dazunehmen müssen:
"Eine junge passt nicht zu uns. Wir sind alte Männer. Deshalb wäre eine ältere Frau besser, auch wenn wir sie hässlich finden. Die Langnasen denken vielleicht anders, für die sind die Hässlichen schön."
Es macht Spaß, den Musikern zuzuschauen, und der gewöhnungsbedürftig schräge chinesische Jazz hat dabei einen ganz eigenen, skurrilen Reiz. Zwar entwickelt "As time goes by in Shanghai" nicht die sprühende Vitalität der Kuba-Filme Gaulkes, aber bei diesem Thema ist die getragenere Form vielleicht auch angemessen.
Das Besondere liegt hier in den Zwischentönen – immer wieder kommt man diesen aus der Zeit gefallenen Männern nahe und kann irgendwann verstehen, wie sie es mit dieser lebenslangen Leidenschaft für Jazz geschafft haben zu überleben - und in einer Metropole wie Shanghai, in der nichts beim Alten bleibt, einfach unbeirrt weiterzumachen wie vor 60 Jahren und damit berühmt zu werden.
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