Vorläufer von Google und Ebay

Registereinträge statt Links

Karteikarten in der Library of Congress in Washington D.C.
Alte Register: Anieter und Sucher haben auch früher zueinander gefunden © imago/UPI Photo
Von Alexander Pschera · 07.03.2015
Detailliert berichtet Anton Tantner über "Die ersten Suchmaschinen. Adressbüros, Fragämter, Intelligenz-Comptoirs", mit denen Anbieter früher ihre Konsumenten fanden. Daraus hätte eine spannende Vorgeschichte der Informationsgesellschaft werden können - doch die hat er leider nur gestreift.
Wer im Paris des Jahres 1630 ein Säckchen Perlen verkaufen, eine Wohnung vermieten, einen Tanzlehrer einstellen wollte, der brauchte neben Geld vor allem eines: viel Zeit. Die Suche nach der richtigen Person nahm Tage, manchmal sogar Wochen in Anspruch. Denn der Käufer, Mieter oder Lehrer war im Gewimmel der Großstadt nur schwer zu finden – wenn überhaupt. Mancher, so bemerkte der Philosoph Leibniz, "sei in schulden, schaden und verderben gerathen", nicht etwa, weil er nichts konnte, sondern "weil man von ihm nichts wusste".
Das wollte der Franzose Théophrast Renaudot ändern, und deshalb gründete er 1630 in Paris das erste Bureau d’Adresse, ein Auskunftsregister für Bieter und Käufer, das nebenbei kostenlose medizinische Behandlungen für Arme anbot.
Die Funktionsweise des Amtes war einfach: Der Betreiber des Büros legte ein oder mehrere Register an, in dem die Anliegen der Nutzer verzeichnet wurden. Gleichzeitig sicherte er ihnen Diskretion zu – Datenschutz war schon damals ein heikles Thema.
Alltag einer alten Welt
Einträge und Auszüge waren kostenpflichtig. Viele Bürobetreiber verlegten außerdem noch ein Anzeigenblatt, das auf die aktuellen Angebote aufmerksam machte. Der Verkaufspreis der Zeitung war für sie eine weitere wichtige Einnahmequelle.
Die Register wurden bald intensiv genutzt, allerdings meist nur von Männern. Frauen waren nur selten zugelassen, weil die Behörden Kuppelei verhindern wollten. Die Idee, Angebot und Nachfrage in einer Datenbank zusammenzuführen, verbreitete sich in den folgenden Jahren denn auch in ganz Europa. Zahlreiche "Fragämter", "Intelligenz-Comptoirs" und "Berichthäuser" brachten Bieter und Sucher zusammen. Sie dokumentierten den Alltag der alten Welt. Die erhaltenen Registereinträge lesen sich heute wie Streifzüge durch alte Wunderkammern:
"Ein Fechtmeister wird gesucht für einen Cavalier. Item ein Spieltisch von türkischem Haselholz, ein Bedienter, so Frauenzimmer frisiren, und Tafel serviren kann. Ein Heuboden auf 10 Klafter, eine Schupfen auf 6 Wägen, und einige Klafter Holz. Es sind auch Liebhabere, welche eine gewisse Anzahl von sogenannten Ziegelkäs kaufen wollen, welcher auf gräflich Forgacsischen Güttern gemacht wird, und dem Lüneburger-Käs gleich kömmt."
In den Büros fand man nicht nur schnell, was man suchte, sondern man umging auch die hohen Kosten, die sonst durch Zwischenhändler entstanden. Ganz nebenbei hatte Renaudot also nicht nur Google, sondern auch Ebay erfunden. Denn sein Büro war auch die Verwirklichung der Idee, Konsumenten direkt zusammen zu bringen – consumer-to-consumer heißt das in der Sprache der Wirtschaft.
Utopischer Anspruch der "Adressbüros"
Renaudot witterte wohl den utopischen Charakter seiner Erfindung. Deshalb begründete er seine Geschäftsidee nicht nur ökonomisch, sondern gab ihr einen philosophischen, gesellschafts-utopischen Anstrich:
"Der Gründer des Bureau (…) behauptete, dass zur Perfektion der Gesellschaft ein öffentlicher Ort fehle, der wie ein Fernrohr all die verstreuten Teile des Gesellschaftskörpers sammeln könne. (…) Ohne das Bureau seien die menschlichen Geschäfte von Unordnung und Zufall bestimmt, denn oft würden sich zwei Menschen suchen und könnten einander nicht finden, würden im Gegenteil etwas antreffen, was sie nicht suchten."
Adressbüros hatten also das Potential, die Gesellschaft zu verändern, die Menschen freier und vielleicht auch glücklicher zu machen.
Der Historiker Tantner hat diese utopischen Ideen in seinem Buch punktuell weiter gedacht. Er arbeitet Belege für die These heraus, dass die Registerbüros die Idee des Internets und der Suchmaschinen und auch deren soziale Veränderungsdynamik vorwegnehmen. Wenn die Adressbüros das Ziel verfolgen, "die Welt (…) zusammen an einen Platz zu bringen", dann erinnert ihn das an die Grundbotschaft von Google, "die Informationen der Welt zu organisieren und (…) zugänglich zu machen".
Die Tatsache, dass die Adressbüros die Waren nicht physisch vorrätig hielten, sondern nur mit Informationen über diese Waren handelten, beschreibt Tantner als eine "Enträumlichung der Kommunikation". Die Registereinträge lassen sich so als Links auf die Objekte der realen Welt und damit als eine Vorstufe der Medialisierung der Moderne verstehen.
Mitunter ermüdend detaillierte Beschreibung
Den Büros gelang es, auch außergewöhnliche Güter zu verkaufen, die nur wenige Abnehmer fanden. Das ist für den Autor eine Vorspiegelung der "long tail"-Theorie, der zufolge das Internet den Verkauf von Nischenprodukten überproportional fördert. Solche Beobachtungen lassen den Medienforscher aufhorchen. Immer dann, wenn Anton Tantner solcherart um die Ecke denkt, wird es spannend.
Aber leider ist sein Buch – eine überarbeitete Habilitationsschrift – über weite Strecken anders, nämlich eine minutiöse, mitunter ermüdend detaillierte Beschreibung verschiedener Adressbüros, ihrer Geschichte, ihrer Funktionsweisen, ihrer Probleme.
So bleibt nach der Lektüre von Tantners Buch der Eindruck, an einem faszinierenden Thema, der Vorgeschichte der Informationsgesellschaft im ancien régime, nur geschnuppert zu haben.

Anton Tantner: "Die ersten Suchmaschinen. Adressbüros, Fragämter, Intelligenz-Comptoirs"
Wagenbach Verlag, Berlin 2015
176 Seiten, 19,90 Euro

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