Vor der Eröffnung

Hinter den Kulissen der Elbphilharmonie

Das Konzerthaus Elbphilharmonie in der Hamburger HafenCity
Das Konzerthaus Elbphilharmonie in der Hamburger HafenCity © imago/Kraft
Von Axel Schröder · 28.12.2016
Die Spannung vor dem ersten Konzert in der Elbphilharmonie am 11. Januar steigt. Während der Betrieb des Luxushotels über dem Konzerthaus bereits angelaufen ist, haben die Organisatoren an anderen Stellen im Haus noch mit Problemen zu kämpfen.
Der Weg ins Herz der Elbphilharmonie führt durch die "Tube". Die Rolltreppe im Inneren dieser weißgetünchten Röhre mit ihren eingelassenen Glaspailletten trägt die Besucher auf die erste Ebene des alten Kaispeichers. Und schon bei dieser Rolltreppenfahrt geraten viele in Schwärmen:
"Die Architektur ist großartig! Es ist schon außergewöhnlich mit diesem ganzen paillettenartigen Design hier in dieser Tube und auch oben die wellenartigen Glasfenster. Und ich mag das hier sehr gerne!"
Das Besondere an der Tube: die Rolltreppe verläuft in einem sanften Bogen. Vom unteren Eingang aus ist ihr Endpunkt nicht zu sehen. Die Tube steht damit sinnbildlich für das gesamte Projekt: an dessen Beginn war den Beteiligten weder klar, wann das erste Konzert wird stattfinden können, noch wie teuer der Prestigebau am Ende sein würde. Die ersten Schätzungen gingen von Baukosten zwischen 77 bis 146 Millionen Euro aus und einer Eröffnung im Jahr 2009. Jetzt steht fest: die Elbphilharmonie hat 789 Millionen Euro gekostet. Am 11. Januar, in knapp zwei Wochen, wird die Eröffnung gefeiert.
Am Ende der Tube öffnet sich der Rotklinkerbau. Durch die breite Panoramascheibe fällt der Blick flussabwärts über Elbe, auf den Dreimaster Rickmer Rickmersen, die Cap San Diego, die Landungsbrücken. Über eine zweite Rolltreppe, dann über rote, flache Backsteinstufen erreichen die Besucher die Plaza, das eigentliche Entrée ins Konzerthaus. Kostenlos, auch ohne Konzertticket kann die Elbphilharmonie in 37 Meter Höhe umrundet werden.
Wer weiter will, ins Herzstück des Baus, in den Großen Saal, braucht dafür eine Konzertkarte. Aber noch ist dieser Zugang versperrt. Noch laufen hinter den Kulissen die letzten Arbeiten vor dem Eröffnungskonzert. Die Fäden dieses Endspurts laufen bei Dennis Just zusammen, dem technischen Leiter der Elbphilharmonie. Er führt durch die langen, weißgetünchten Gänge, zeigt die kleinen und großen Baustellen des Hauses:
"Wo wir derzeit noch Optimierungs- und Feintuning-Arbeiten haben, sind vor allem die technischen Schnittstellen. Das Haus ist technisch doch sehr komplex. Wir haben diverse elektronische Geräte hier natürlich in Betrieb und viele Besonderheiten, sodass wir gerade bei den so genannten Inspizientenpulten, wo wir jetzt mal hingehen eigentlich ganz schön sehen können, wie komplex das Haus ist und wo auch die Besonderheiten liegen."
Sechs dieser Inspizientenpulte gibt es in der Elbphilharmonie, erzählt Dennis Just. Kleine, fensterlose Räume mit unzähligen Schaltern, Reglern und Monitoren. Von hier aus wird die Technik des Hauses gesteuert: die Kameras und Mikrofone für Ton- und Bildaufnahmen, die Übertragungen ins hauseigene Hörfunkstudio des NDR, Musiker in ihren Proberäumen können von den Pulten aus angesprochen werden.
Wir können von hier aus IP-TV steuern. Das sind Monitore, die im gesamten Haus hängen, mit denen wir Inhouse-Informationen, also Bild und Ton darstellen können. Auch da haben wir noch ein bisschen Programmierungsarbeit vor uns, das entsprechend die Bilder dann auch da gezeigt, gesendet werden, wo sie hin sollen.
Und über die überall im Haus verteilten Kameras kann in die verschachtelten Flure und viele Proberäume der Musiker hineingeschaut werden:
Das sind zum einen wirklich Überwachungskameras, die sich dann bei Bewegung auch aktivieren. Und es sind aber teilweise Kameras, die wir für die Betriebsabläufe brauchen. Dass wir wirklich auch sehen können: was passiert gerade im Backstage-Bereich? Sind die Künstler schon bereit? Und es wirklich mehrere Hundert, die hier eingebaut sind und entsprechend auch controlled und beobachtet werden müssen.

Hügel und Täler für die perfekte Akustik

500 Räume gibt es allein im Konzertbereich der Elbphilharmonie. Dazu kommen noch die des Hotels und die viele Millionen Euro teuren Eigentumswohnungen im Glasaufbau des alten Kaispeichers. Dennis Just führt durch den 12. Stock, zeigt den kleinen Konzertsaal.

Die hohen Wände sind mit Eichenholz ausgekleidet, auf ganzer Fläche sind sanfte Hügel und Täler in die breiten Bohlen gefräst, um die perfekte Akustik zu erreichen. Mitten im Raum steht noch ein schmales Baugerüst. Yasuhisa Toyota, der Mann, der von Anbeginn der Bauarbeiten am Klang des Kleinen und Großen Saals gefeilt hat, von dessen Berechnungen der Erfolg des Hauses abhängt, hatte nach einer Hörprobe entschieden, die Wandverkleidung auf rund 15 Metern nachträglich um zehn Grad zu schwenken.
Hamburger Elbphilharmonie
Gefräste Eichenwände im Kleinen Saal in der Hamburger Elbphilharmonie. © Deutschlandradio / Axel Schröder
"Das hat damit zu tun, dass dann einfach der Schall, die Schallwellen entsprechend anders reflektiert werden und dadurch das Ganze für den Saal, für die Akustik eine deutliche Optimierung darstellt."
Die Korrektur lief problemlos, nun müssen nur noch das Baugerüst abgebaut und der mit dünner Pappe abgedeckte Fußboden wieder freigelegt werden. Dennis Justs Terminplan bis zum 11. Januar, bis zum Eröffnungskonzert, ist ambitioniert. Die Probleme mit den barrierefreien Zugängen für Rollstuhlfahrer konnten schon gemeistert werden. Dafür machen die Chipkarten für die Zugangskontrollen immer mal wieder Probleme. Türen, die sich eigentlich mit den Karten öffnen lassen sollen, bleiben dann verschlossen. Aber auch dieses Problem werde man lösen, versichert Dennis Just.
Wie komplex und vor allem: wie teuer das Projekt noch werden sollte, das wussten zu Beginn der Planungen weder der Ideengeber, der Architekt und Projektentwickler Alexander Gérard noch der damalige Erste Bürgermeister Ole von Beust. Aber der Christdemokrat war begeistert und überzeugt vom Entwurf des Schweizer Architektur-Büro Herzog und de Meuron, von der gläsernen Wellenlandschaft auf dem alten Kaispeicher, von einem Konzerthaus, das – so die Zielsetzung, gestern wie heute – zu den zehn besten der Welt zählen soll.
"Ich glaube, das ist eine Sache, die vielen Hamburgern am Herzen liegt und ich möchte diese Philharmonie auf jeden Fall!"
Genauso entschlossen zeigte sich auch der damalige Projektleiter Hartmut Wegener. Und verkündete im Frühjahr 2005 einen ambitionierten Zeitplan:
"Im Frühjahr 2009 werden wir dann – wenn alles planmäßig läuft – ein neues, wunderschönes Wahrzeichen für Hamburg haben."

Schwierigkeiten wurden ausgeblendet

"Wenn alles planmäßig läuft" – diese Einschränkung machte Hartmut Wegener dann doch. Aber wie sollte etwas planmäßig laufen, für das es zu diesem Zeitpunkt keine konkreten und durchgerechneten Pläne gab? Auf der Suche nach den Gründen für rasant gestiegene Baukosten fällt vor allem die Planlosigkeit auf, mit der das Projekt gestartet wurde. Immer wieder hatten die Schweizer Architekten vor einem Baustart ohne seriöse Kostenrechnung gewarnt. Trotzdem wurde im Frühjahr 2007 die Grundsteinlegung gefeiert. Der Architekt Pierre de Meuron erklärte seine Idee von der Elbphilharmonie, die Hamburger Politik hörte ihm andächtig, ergriffen, fast besoffen zu:
"Die Architektur des Raumes entwickelt sich dann konsequent aus der Logik aus akustischer und visueller Wahrnehmung der Musik. Und diese Logik führt zu einem neuen Ergebnis! Die Ränge reichen höher in den Gesamtraum hinein. Ränge, Wände, Decken bilden eine räumliche Einheit…"
…und auch die Kosten sollten höher und höher in den Hamburger Himmel reichen. Norbert Hackbusch von der Linkspartei erinnert sich.
"Es gab damals in Hamburg ein euphorisches Gefühl. Was damit zusammenhängt, dass es natürlich eine gute ökonomische Entwicklung gab in Hamburg. Der Hafen boomte! Und es gab in Hamburg ein Gefühl, das wir alles Mögliche erreichen können. Das führte unter anderem dazu, dass in der Hamburger Bürgerschaft es keine Gegenstimme gab, damals, zu diesem Projekt, die Elbphilharmonie so zu bauen."
Auch Hamburgs kürzlich verstorbene Kultursenatorin Barbara Kisseler war überzeugt: die Schwierigkeiten des Projekts wurden im allgemeinen Jubel schlicht ausgeblendet:
"Das erstaunt schon in so einer nüchternen Kaufmannsstadt wie Hamburg, dass da nicht jemand mal gesagt hat: ´Leute! Bisschen länger mal nachdenken, bisschen länger kalkulieren! Dann müssen wir hinterher nicht draufzahlen!`"
Wer die Schuld an den Kostensteigerungen trägt, sollte ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss klären. An dessen Ende stand fest: es wurden Gutachten manipuliert und schon damals längst bekannte Zusatzkosten der Öffentlichkeit verschwiegen. Der größte Fehler war aber das vertraglich festgezurrte Dreiecksverhältnis zwischen den am Bau beteiligten Parteien: zwischen den Architekten, der städtischen Realisierungsgesellschaft und dem Baukonzern Hochtief. Denn im Ergebnis schickte der Baukonzern immer dann neue Rechnungen, wenn sich die Wünsche der Kulturbehörde oder der Realisierungsgesellschaft änderten, zum Beispiel die Forderung, einen dritten Konzertsaal zu integrieren. Auch die Architekten, die das ganze Haus noch nicht abschließend durchgerechnet hatten, stellten ihrerseits Nachforderungen.
Der damals amtierende Bürgermeister Ole von Beust blieb tatenlos. Die Idee der Elbphilharmonie fand er grandios, die Probleme des Projekts, ein echtes Krisenmanagement, so scheint es, interessierten ihn wenig. Besonders fatal war die grundlegende Änderung der Projektfinanzierung, die Ole von Beust an der Bürgerschaft vorbei abnickte, so Norbert Hackbusch:
"Hamburg ist damals erzählt worden, dass die Elbphilharmonie deshalb nicht so teuer wird, weil es finanziert wird von den Eigentumswohnungen und von dem Hotel. Und das ist ja dasjenige, was nicht eingetreten ist. Und deswegen musste Hamburg praktisch nicht nur die Elbphilharmonie bezahlen, sondern auch noch das Hotel und das hat es ja insgesamt so teuer gemacht!"

Suite ab 3000 Euro

Für die nächsten 20 Jahre ist die Stadt Eigentümerin des Fünf-Sterne-Hotels, Pächter ist die Hotelkette Westin. Schon Ende November startete der Hotelbetrieb. 244 Zimmer gibt es, das günstigste kostet 250 Euro. Bei einem Rundgang für die Presse zeigte das Hotelpersonal aber auch die besonders teuren Suiten, durch deren vollverglaste Außenwände der Blick aus dem 19. Stock über die Stadt und den Hafen schweifen kann.
"Das ist die Eigner-Suite. Das ist unsere höchste Suiten-Kategorie. Erstreckt sich über 160 Quadratmeter und bietet eigentlich den kompletten Komfort. Bietet einerseits ein 270-Grad-Panorama Richtung Hafencity und Elbe, einen kompletten Ausblick vom Bett aus, wunderschöne Sonnenaufgänge. Und erstreckt sich dann im weiteren Sinne auch über einen Essbereich und einen Wohnbereich. Kostenpunkt: ab 3000 Euro aufwärts."
Dafür gibt es dann auch zwei Badezimmer, eine kleine Küche, die private Sauna. Sechs Etagen tiefer, im 12. Stock, sind die Proberäume der Musiker untergebracht, auf einer Ebene mit dem Großen Saal. Seit Wochen laufen die Proben für die Eröffnung, es gab drei Test-Konzerte, aber bislang keine Tonaufnahmen dieser Probeläufe. Der Klang des Saals soll bis zur Eröffnung ein Geheimnis bleiben. Diejenigen, die ihn schon kennen, wie Sebastian Gaede sind begeistert. Er ist Cellist im Elbphilharmonie-Orchester, dem einstigen NDR-Sinfonieorchester:
"Der Klang hier ist einmalig! Ich habe in vielen großen Sälen schon gespielt, in der Suntory Hall, in Los Angeles oder im Concertgebouw. Die großen Säle, die auch von Toyota zum Teil gemacht worden sind. Und das ist noch mal einer drauf einfach! Das ist unglaublich. Erstens auf der Bühne zu spielen ist ein anderes Gefühl. Aber noch viel mehr als Zuschauer. In jedem Platz, wo man sitzt, ist das Orchester so transparent und gleich zu hören, ist unglaublich."
Seine Kollegin, die Cellistin Katharina Kühl, sieht es genauso:
"Es gibt ja ganz andere tolle Säle in der Welt, wo wir auch schon gespielt haben, die ähnliche Qualitäten haben. Aber auffallend finde ich schon die absolute Klarheit im Klang an jedem Platz, egal wo man ist. Die wirklich sehr hohen Plätze in den obersten Rängen, wo man theoretisch recht weit entfernt ist. Aber wenn man dort oben steht, sogar den Eindruck hat, man hört am besten im ganzen Saal. Die akustische Nähe zur Bühne, zu den Musikern. Optisch natürlich: an jedem Platz ist es ein Traum, auf den Saal zu schauen, auf die Bühne zu schauen! Das scheint mir schon sehr besonders zu sein!"
Katharina Kühl nickt rüber zur Fensterfront. Tief unten steuert ein Frachtschiff elbabwärts, weiter hinten stapeln sich Container auf den Hafenterminals, rauchen die Schlote der Industriebetriebe.
"Natürlich hat zum einen der Fakt, dass wir hier alle neu einziehen, Einfluss auf uns alle, weil das neue Energie, wenn man so will, gibt. Und neue Inspiration. Aber natürlich hat auch das Umfeld eine Bedeutung. Wenn alle Musiker hier morgens ankommen und glücklich sind – und das erlebe ich sehr viel – dann setzt man sich hier nochmal hin, trinkt einen Kaffee vor der Probe und die Kollegen sagen: ´Guck Dir das an! Das ist doch unbeschreiblich!` Wenn man hier morgens mit so viel positiven Eindrücken in die Probe geht, hat das natürlich Einfluss!"

Ein Labyrinth aus rohem Beton

Vor sechs Jahren war den meisten Hamburgern längst noch nicht klar, was ihnen für ihre Steuermillionen am Ende geboten werden würde. Ende Mai 2010, zum Richtfest, dröhnten noch die Baumaschinen durch das Gebäude ohne Dach. Die Elbphilharmonie war ein Labyrinth aus rohem Beton, der Konzertsaal eine halbfertige riesige Wanne aus blanken Stahlplatten. Thomas Möller vom Baukonzern Hochtief und der Chef der städtischen Realisierungsgesellschaft Heribert Leutner begleiteten die Journalisten auf ihrem Presserundgang. Und die hatten vor allem die letzten Zahlen zu den Kostensteigerungen im Hinterkopf. Die zu Beginn verkündeten knapp 80 Millionen waren damals längst Makulatur:
"Also wird es Ihrer Meinung nach den Steuerzahler mehr als 323 Millionen Euro ohne Mehrwertsteuer kosten oder nicht?"
"Meine Meinung ist: ich gehe davon aus, dass noch etwas nachbestellt wird. Ja, es wird etwas mehr kosten!"
"Ungefähr?"
"Kann ich Ihnen nicht sagen. Schauen Sie dazu in die Bürgerschaftsdrucksachen, bitte!"
Thomas Möller blieb damals nur ein gequältes Lächeln und Schulterzucken. Das "Schwarze-Peter"-Spiel lief auf Hochtouren: Schuld an der Verdreifachung der Baukosten, von 77 auf damals noch 323 Millionen Euro seien die Sonderwünsche der Architekten Herzog und de Meuron. Die bestritten das und sorgten kurz vor dem Richtfest mit einer umfangreichen Mängelliste für Aufregung. Heribert Leutner von der städtischen Realisierungsgesellschaft und Thomas Möller von Hochtief versuchten zu beschwichtigen, lobten die großen Fortschritte beim Bau. Es half alles nichts, die Pressevertreter hatten sich auf das "Projekt Elbphilharmonie" eingeschossen. Niemand hielt sich an die Vorgabe, bitte keine Fragen zu möglichen weiteren Kostensteigerungen zu stellen. Zur Hilfe kam den beiden der Zufall: etwas abseits, hundert Meter entfernt stand damals ein schmaler, älterer Herr. Weißes Hemd, Bauhelm auf dem kahlen Schädel. Ein Journalist erkannte den Schweizer Star-Architekten Jaques Herzog. Vor dem frisch aus Beton gegossenen, geschwungenen Aufgang zum Großen Konzertsaal, der noch längst nicht steht, quittierte er die Fragen nach den Baumängeln mit einem feinen Lächeln:
"Was man hier sehen kann, ist viel mehr das Positive und das Versprechen für die Zukunft. Und ich glaube, das ist eine wichtige Aufgabe von heute, das auch so zu vermitteln. Das kann man wirklich. Das ist nicht irgendwie leeres Gerede, sondern das ist jetzt Realität und das ist auch das wirklich Tolle! Auch für mich. Ich habe nämlich die Baustelle jetzt länger nicht gesehen. Und das ist immer so bei Architektur, das ist eins zu eins, da kannst du nicht bescheißen, das ist nicht irgendein Abziehbild. Sondern das ist gebaute Realität. Und da kann, glaube ich, jeder sehen, dass das ein ganz toller Ort wird.

Der Blick für diesen tollen Ort setzte damals noch viel Phantasie voraus. Anders als die Journalisten sah Jaques Herzog schon vor sechs Jahren nicht nur eine graue, frisch gegossene, rund geschwungene Betontreppe und Verschalbretter, umgeben von Stützpfeilern und großen Regenwasserpfützen. Der Architekt merkte, dass die Ideen, die er mit seinem Kollegen Pierre de Meuron entwickelt hatte, funktionierten, sah die weißgetünchten, makellosen Wände, das massive Eichenparkett, die minimalistischen, schlanken Handläufe, erkannte die Sichtachsen, die sich fast mit jedem Schritt durch die Räume der Elbphilharmonie verändern und überraschen. Helle Räume, mit gewölbten, gekippten, nie geraden Wänden.
Großer Saal der Elbphilharmonie
Großer Saal der Elbphilharmonie: Das Orchester bei der Probe zum Eröffnungskonzert.© Deutschlandradio / Axel Schröder

Schönheit eines Bauwerks

2012, zwei Jahre nach dem Richtfest, erlebte das Projekt eine Zäsur. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hatte sich mit dem Hochtief-Chef Fernandez zusammengesetzt. Die Juristen der Stadt und von Hochtief entwarfen einen Neuordnungsvertrag. Die Fehler, die der Senat unter Ole von Beust gemacht hatte, sollten ausgebügelt werden. Hochtief-Chef Marcelinho Fernandez unterschrieb den Vertrag: seitdem arbeiteten der Baukonzern und die Architekten unter einem Dach. Hochtief-Chef Marcelinho Fernandez sicherte zu, dass seine Firma ein fertiges und funktionierendes Haus ohne Baumängel liefert, das am 11. Januar 2017 eröffnet werden kann. Wenn es teurer werden würde als geplant, hätte Hochtief zahlen müssen. Olaf Scholz war zufrieden:
"Wir haben umfassende Garantien bekommen, was die Qualität, was die Zeiträume betrifft, was den Preis betrifft. Für uns ist sichergestellt, dass Risiken, wie sie in der Vergangenheit in dem Bauvorhaben immer wieder neu entstanden sind, nicht mehr auftreten können."
Tatsächlich enthält der Vertrag ganz erstaunliche Bestimmungen, die fast alle zulasten des Baukonzerns gingen. Wäre der Große Saal nicht rechtzeitig fertig geworden, hätte Hochtief dafür Strafe zahlen müssen: 575.000 Euro, pro Tag. Allerdings war die Neuordnung des Projekt auch teuer erkauft: Die Stadt Hamburg willigte ein, 200 Millionen Euro mehr für die Elbphilharmonie zu zahlen, insgesamt rund 789 Millionen Euro. Schon damals war aber klar: auch ohne die Neuordnung wären die Kosten noch weiter gestiegen.

Drei Wochen vor der Eröffnung liegt im Foyer der Elbphilharmonie der Eichengeruch des Parketts in der Luft. Die Schönheit, die Helligkeit und Komplexität des Bauwerks, die Jaques Herzog schon im Rohbau erkennen konnte, wird nun für alle greifbar. Den ersten Besuchern der Plaza verschlägt es den Atem, einige wenige sehen die Elbphilharmonie nach wie vor kritisch:
"Wahnsinn! Die haben das tatsächlich gebaut! Das ist das Fazit!"
"Wir sagen immer: von uns aus hätte es das nicht geben müssen. Und vor allem finden wir das nicht schön, dass es so als Hamburgs neues Wahrzeichen bezeichnet wird. Unser Wahrzeichen ist und bleibt der Michel!"
"Dass das hier so teuer geworden ist – ok… Aber es ist eine exponierte Lage. Man muss das Ganze sehen und ich denke, es ist ein Gewinn für Hamburg!"

Das so viele Hamburger mittlerweile kaum mehr über die Kosten des Projekts reden, hat ganz unterschiedliche Gründe: die einen überzeugt die Architektur, die solide, präzise Handarbeit, die an so vielen Orten in der Elbphilharmonie sofort ins Auge fällt. Zum anderen hat die Neuordnung des Projekts vor vier Jahren die Kosten und den Zeitplan bis zur Eröffnung stabil gehalten. Vier Jahre lang konnten sich die Hamburger an den unglaublichen Preis des Gebäudes gewöhnen. Und auch der Plan des Senats, das Haus für möglichst viele Bevölkerungsgruppen zu öffnen, scheint aufzugehen. Dazu gehört der kostenfreie Zutritt zur Plaza, über die man das Gebäude in 37 Meter Höhe umwandern und die Aussicht genießen kann. In den ersten vier Wochen besuchten 250.000 Menschen die Plaza. Dazu gehört auch die Preispolitik der Elbphilharmonie, erklärt Enno Isermann, der Sprecher der Hamburger Kulturbehörde:
Großer Saal in der Elbphilharmonie 
Der sogenannte Reflektor im Großen Saal in der Elbphilharmonie. Er verteilt den Schall im ganzen Raum. © Deutschlandradio / Axel Schröder
"Wir haben ja sehr bewusst kein privatwirtschaftlich organisiertes Konzerthaus hingesetzt – was man auch hätte machen können. Wo man dann Ticketpreise ab 100 Euro hat. Wir wollten, dass das ein Haus für alle hier wird. Darum kommt man hier auch für zwölf Euro in ein Konzert rein. Und natürlich muss man das dann auch bezuschussen. Nicht nur die Konzertpreise werden bezuschusst, sondern wir haben auch ein sehr umfängliches Musikvermittlungsprogramm hier. In acht Räumen, wo tagsüber Schulklassen sein werden und den ersten Kontakt zur klassischen Musik kriegen."

Ein organisch geformter Raum

Sechs Millionen Euro wird die Stadt dafür pro Jahr ausgeben, erklärt Enno Isermann. Dann führt er hinein ins Herzstück der Elbphilharmonie, in den Großen Saal. Das Orchester stimmt die Instrumente, mitten im Rund des Saals. Ringsum sind die wie auf Terrassen die Sitzreihen für 2100 Besucher angeordnet. Ein organisch geformter Raum, gerade Linien sind die Ausnahme. Selbst die Wände, die so genannte "weiße Haut", entwickelt von der Akustik-Koryphäe Yasuhisa Toyota, wirken trotz ihrer computerberechneten Formenvielfalt wie ein einziger perfekter Organismus. Thomas Hengelbrock, der Chefdirigent des Elbphilharmonie-Orchesters steht schon auf seinem Podest, hebt den Taktstock, beginnt die Proben für das Eröffnungskonzert. Tonaufnahmen sind untersagt. Bis zum 11. Januar soll der Klang der Elbphilharmonie den Großen Saal nicht verlassen. In einer Pause zwischen den Proben erzählt Thomas Hengelbrock vom allerersten Testkonzert, von der Anspannung, die damals herrschte, vor allem bei Chefakustiker Yasusiha Toyota:
"Es gab Kollegen, die hatten schon nach dem ersten Satz Tränen in den Augen, vor Glück. Wir konnten das nicht fassen. Ich habe mich nur umgedreht und habe gerufen in den Saal: ´Bravo, Herr Toyota!` Er saß hinter uns und ich glaube, er war am allernervösesten, am alleraufgeregtesten. Wir sind vorher so durch den Saal und er war wirklich sehr, sehr, sehr, sehr gespannt, sehr nervös. Sie dürfen nicht vergessen: die Elbphilharmonie ist das mit Abstand teuerste Gebäude, was je für die Musik gebaut worden ist. Die Kosten sind ja völlig aus dem Ruder gelaufen. Und es ist nicht zuletzt den hohen Ansprüchen geschuldet, die hier die Architekten und auch Herr Toyota angemeldet haben. Da lastete schon ein ganz schön großer Druck auf den Verantwortlichen. Also er war ganz glücklich. Er rannte die ersten Tage nur rum und rief: ´I’m so happy!`"
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