Vor 40 Jahren

Queen stürmen mit der "Bohemian Rhapsody" die Charts

Der 1991 verstorbene britische Pop-Musiker und Frontmann der Gruppe Queen, Freddy Mercury - hier bei einem Konzert im September 1984
Der 1991 verstorbene britische Pop-Musiker und Frontmann der Gruppe Queen, Freddy Mercury - hier bei einem Konzert im September 1984 © picture-alliance / dpa
Musikwissenschaftler Hartmut Fladt interpretiert den Pop-Song · 23.11.2015
Queen-Frontmann Freddie Mercury war nicht nur ein Ausnahme-Sänger, sondern auch ein herausragender Komponist. Wie stilsicher er sich in "Bohemian Rhapsody" an einem italienischen Opern-Vorbild orientiert, erläutert der Musikwissenschaftler Hartmut Fladt.
Musikwissenschaftler Hartmut Fladt über Queens "Bohemian Rhapsody":
"Diese Klaviererzählung ist ein Balladentypus. Pop-Hörer würden sagen: Ah, ja, eine Popballade. Man denkt an Elton John oder wen auch immer. Solche Balladen hat er selbstverständlich auch gekonnt. Aber was singt er. 'Mama'? Und das ist eine Hommage an eine Oper von Pietro Mascagni: Cavalleria rusticana. Da singt auch jemand 'Mama'. Und er singt: 'Mama, ich habe jemand mit meinem Messer erstochen.' Und hier ist es: 'Mama, ich habe jemanden mit meiner Pistole umgelegt!' Es ist wirklich fast wörtlich das 'Mama' aus der Cavalleria rusticana von Pietro Mascagni. Die hat Freddie auf jeden Fall gekannt. Das ist eine Hommage an Mascagni und an die Oper des späten 19. Jahrhunderts.
Das ist wirklich ein Stück von intelligenter postmoderner Pop-Kultur. Was noch wichtig ist, die Helden, die eigentlich große Helden sind, und wenn's ans Sterben geht, dann rufen Sie 'Mama!' - das ist auch eine Art von ironischer Distanz die Freddie Mercury hat. Auf der einen Seite ist er sehr ernst, auf der anderen Seite ist bei ihm immer auch die ironische Distanz da. Und die Melodie ist eine wunderschöne Melodie. Und das ist eine italienische Tradition, solche Melodietypen heißen 'melodia lunga', die lange, gezogene Melodie. Und das macht auch der frühere Verdi. Also das ist alles irgendwo drin in einem Pop-Stück. Und das finde ich natürlich ganz wunderbar, das das möglich ist. Und es ist trotzdem für die Leute, die mit Pop-Musik groß geworden sind und die primär nur Pop hören. Sie begreifen das und finden das schön.
Bei Bohemien Rhapsody ist es Freddie selber, der alle Stimmen singt und mit Mehrspurtechnik übereinander dubt.
Das Inventar ist wirklich aus der Commedia dell’arte. Galileo kommt plötzlich, Figaro Magnifico, rasante Schnitte und immer wieder dazwischen 'I'm just a poor boy' - und dann der Chor: 'He's just a poor boy'. Auch das ist natürlich Oper, das kommentierende Chöre da sind. All das übernimmt er aus der Oper des 19. Jahrhunderts. Aber es ist ganz strikt ein Stück des 20. Jahrhunderts.
Es ist eine wunderbare Opernszene, eine Liebeserklärung an die Oper, die aber eben mit ganz raffinierten modernen Mitteln inszeniert wird. Also mit Schnitttechnik, die aus dem Film kommt.
Von einem Extrem ins andere
Es ist nicht mehr so wie bei Verdi und wie beim Mascagni, dass eben die großen Arien erzählt werden, sondern ein Schnitt nach dem anderen. Und plötzlich fliegt man aus der Kurve, aber man fliegt sehr angenehm aus der Kurve, um es deutlich zu sagen. Weil man von einem Extrem ins andere fällt.
Ironie ist auch dabei. Aber grundsätzlich ist es eine Verfremdungsästhetik und auch da hat Freddie übrigens sehr viel von Bertolt Brecht gelernt. Also Verfremdungstechnik, dass man sich nicht nur einfach einfühlen kann, sondern dass man immer wieder aufmerksam sein muss. "Ach, da passiert das, Huch, was ist jetzt los?"
Und diese Schnittechniken im 20. Jahrhundert gibt es beispielsweise bei Kurt Weill und es gibt sie besonders bei Igor Strawinsky. All das hat Freddie Mercury gekannt,
In dem Stück ist noch eine ganz große Provokation: Es wird ungeniert der Anfang des Korans zitiert. 'Bismillah!' – 'Im Namen Gottes'. Und es wird gesagt: 'Belzebub hat einen Teufel für mich bereitgestellt.' Heute wäre das, glaube ich, nicht mehr möglich. Dann hätte jemand, der das heute so singt, Kohorten von Fundamentalisten am Hals, um es deutlich zu sagen.
Wenn das nicht käme, der Hardrock-Teil, dann würde etwas ganz Entscheidendes fehlen. So ist das Leben mit den produktiven Kontrasten. Ein Leben, das nur eindimensional wäre, wäre zumindest nicht kunstwürdig, um es mal so zu sagen.
Es ist unglaublich innovativ. Ich stelle es auf die Ebene mit Sgt Pepper. Das ist ja ein paar Jahre früher, aber der Einfluss von Sgt. Pepper ist auf jeden Fall da. Diese Möglichkeiten, dass man permanente Taktwechsel hat und diese Schnitttechniken hat, ist etwas, was die Beatles vorgemacht haben. Da kann man den Einfluss der Beatles nicht hoch genug einschätzen, auch bei Freddie Mercury.
Für Freddie ist eben das Aufeinanderprallen der produktiven Widersprüche das Entscheidende. Und auch das, was ihn zu einem Künstler des 20. Jahrhunderts macht und eben nicht nur zu einem 'Pop-Artisten' des 20. Jahrhunderts, sondern auf die Weise ist er sehr nahe am Brecht'schen Begriff des Theaters und sehr nahe an Kompositionstechniken von Igor Strawinsky und Kurt Weill."
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