Vor 100 Jahren

Die Urauführung der "Csárdásfürstin"

Ein ungarischer Pferdehirte reitet stehend auf mehreren Pferden auf der Koppel eines Zuchtgestütes in der Puszta, aufgenommen 2005
Die Musik in "Die Csárdásfürstin" ist geprägt von der Sehnsacht nach der romantischen Landschaft der Puszta. © picture-alliance/ ZB / Jan Woitas
Von Stefan Zednik · 17.11.2015
Emmerich Kálmáns "Csárdásfürstin" zählt zu den absoluten Highlights der Operette. Als Hauptwerk der zweiten großen Phase dieses Genres, der sogenannten silbernen Operette, nimmt es einen festen Platz im Spielplan vieler Theater ein. Vor 100 Jahren wurde das Stück in Wien uraufgeführt.
Es ist eine Musik der Sehnsucht: Der Sehnsucht nach Liebe, Leidenschaft und großen Gefühlen, nach Heimat und der romantischen Landschaft der Puszta, die die Geschichte der "Csárdásfürstin" antreibt.
Edwin, ein junger Adliger aus Wien, liebt Sylva Varescu, den gefeierten Star eines Budapester Varieté-Theaters. Doch seine Eltern betrachten die Verbindung als nicht standesgemäß und versuchen, die Heirat mit einer fürstlichen Cousine zu erzwingen. Durch Intrigen gerät die Liebe des Paares in Gefahr - bis sich nach turbulentem Hin und Her herausstellt, dass Edwins Mutter selbst aus der Theaterhalbwelt stammt und sich die gesellschaftlich-moralischen Bedenken in Luft auflösen.
"Die Csárdásfürstin entstand in den Jahren 1914/1915(..). Meine Mitarbeiter waren Leo Stein, Bela Jenbach. (..) Wir hatten damals in Marienbad sehr nette Zeiten verbracht, wie die ganze Csárdásfürstinperiode in meinem Leben eine schöne, wolkenlose Zeit bedeutet hat, bis eben 1914 der Erste Weltkrieg entstand. Ich konnte dann einige Wochen überhaupt nicht arbeiten und habe dann erst ein Jahr später die Premiere der Csárdásfürstin erlebt."
Urkraft der Liebe
Das Ende der "wolkenlosen Zeit" mag Emmerich Kálmán vor allem an der kriegsbedingten Schließung der Theater erfahren haben, doch 1915 passte das Stück genau zur politischen Lage: Die soldatische Grundhaltung der männlichen Protagonisten, die gesellschaftseinigende Urkraft der Liebe, vor allem aber die Verbindung des feschen Fürsten aus Österreich mit einer Schönheit aus Ungarn schienen auf der Bühne eine passende Antwort auf die aktuelle Krise des Vielvölkerstaats zu geben. Der "Csárdás", ein temperamentvoller Volkstanz, und die fiktive, lediglich verbale Nobilitierung des Mädchens zur "Fürstin" - ein Traum von gesellschaftlicher Harmonie?
"Wo die Herren des Hochadels sich mit den Damen vom Hochseil verbanden, triumphiert letztlich doch die Macht des hehren Herkommens. Gefährliche Zwiste auf dem Weg zum feudalen Schlussakkord von Kaste und Outcast sind entschärft zu mitleidheischendem Seelenradau."
... spöttelt der Operettenforscher Volker Klotz. Das Genre erlebte nach einer ersten, vor allem durch die Werke von Johann Strauß geprägten "goldenen" Zeit um 1900 eine zweite Blüte, die sogenannte "Silberne Operette". Kálmán, Sohn eines ungarischen Kaufmanns, erfuhr mit dem Bankrott des Vaters einen schnellen, tiefen und schmerzhaften sozialen Fall.
Liebesschwermut und Champagnerseligkeit
Die enge Nachbarschaft von Glück und Unglück, das intensive Auf und Ab der Emotionen, sollte zum Markenzeichen seiner musikdramatischen Kunst werden, mit der er schnell die Bühnen Europas eroberte. Auch in der "Csárdásfürstin" gingen die Gefühle auf Achterbahnfahrt. Die Verbindung von Liebesschwermut und Champagnerseligkeit zeigte dabei eine Realitätsverweigerung, die auch außerhalb der Operettenbühne allgemeine Grundhaltung zu sein schien.
Die verspätete Premiere am 17. November 1915 wurde zum Sensationserfolg, das Stück schnell weltweit zum Klassiker, in Tausenden von Aufführungen seitdem bejubelt. Es zählt zu jener Handvoll unverwüstlicher Werke, die auch durch unkonventionelle Sichtweisen kaum nachhaltig Schaden nehmen. Der Regisseur Peter Konwitschny wagte es 1999, das Stück in Dresden mit konkretem Bezug zur Entstehungszeit zu inszenieren.
"1000 kleine Englein singen, Stahlhelme wiegen sich im Walzertakt. Das wird dem Premierenpublikum in der Semperoper zu viel. Die Liebe, die dumme Liebe, der sich das Buffopaar hingibt, während Sanitäter Leichen über die Bühne tragen, droht im Protest zu platzen. Ein untoter Rumpf tanzt ohne Kopf. Einige Zuschauer räumen das Feld, andere brüllen ‚Vorhang' und ‚Geld zurück'."
So berichtet der Berliner "Tagesspiegel". Als Maestro Christian Thielemann und Superstar Anna Netrebko das Werk 2014 konzertant in der Semperoper aufführten, diesmal ohne kritische Seitenstiche, waren auch die Dresdner wieder versöhnt.
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