Popkongress in Hildesheim

Lady Gaga verstehen

Die Musikerin Lady Gaga posiert in einem schwarzen Lederkostüm neben einem Bildnis von ihr, das der Künstler Jeff Koons angefertigt hat.
Die Musikerin Lady Gaga neben einem Bildnis von ihr, geschaffen von Künstler Jeff Koons © dpa/ picture alliance / Peter Foley
Christoph Jacke im Gespräch mit Oliver Schwesig · 04.02.2016
Auf dem Popkongress in Hildesheim wird debattiert, wie sich Pop wissenschaftlich am besten aufarbeiten lässt. Popforscher Christoph Jacke analysiert Figuren wie Lady Gaga, um Phänomene wie Image, Vermarktung oder Medialisierung besser zu verstehen.
In Hildesheim startet heute der diesjährige Popkongress – ein mehrtägiges Treffen für Popforscher aus ganz Deutschland. Das große Thema der Veranstaltung: Wie lässt sich Pop wissenschaftlich am besten aufarbeiten, was ist der Status quo der deutschen Popforschung?
Klar, dass dabei auch die Popmusik eine große Rolle spielt. Im deutschen Wissenschaftsbetrieb ist die Auseinandersetzung mit ihren Erscheinungsformen noch relativ frisch. Erst vor zehn, 15 Jahren haben sich die ersten Studiengänge etabliert, die sich mit der Geschichte der Populären Musik auseinandersetzen und aktuelle Phänomene aus der Welt des Pop'n'Roll wissenschaftlich beleuchten.
Einer dieser Studiengänge ist an der Universität Paderborn angesiedelt und trägt den Namen "Populäre Musik und Medien". Studiengangsleiter ist Christoph Jacke, der außerdem Sprecher der AG Populärkultur und Medien ist – eine der Arbeitsgruppen, die beim Hildesheimer Popkongress vertreten sind. Veranstaltet wird der Popkongress von der Gesellschaft für Medienwissenschaft.
Oliver Schwesig: Herr Jacke, wir Journalisten beschäftigen uns mit Popmusik tagein, tagaus. Die Pophörer und -fans ja sowieso. Popmusik läuft überall: im Internet, im Radio, wohin wir schauen. Sprich das ist eigentlich ein Thema, mit dem sich jeder irgendwie auskennt. Warum brauchen wir einen wissenschaftlichen Blick auf Popmusik?
Christoph Jacke: Weil wir durch Popmusik und ihre Kontexte, vor allem medialen Kontexte, sehr viel über die Gesellschaft lernen können, in der wir leben. Also historische Entwicklungen, Trends, aber auch Problembereiche. Ich denke da an etwa aktuell Interkulturalität. Das können wir sozusagen an Popmusik und ihren Produzenten und Rezipienten sehr gut ablesen und analysieren. Und da reicht es nicht, Fan zu sein.
Oliver Schwesig: Womit beschäftigt sich denn die Popmusikforschung konkret?
Christoph Jacke: Die Popmusikforschung, wie wir sie in Paderborn betreiben, ist interdisziplinär. Also große Anteile der Medien-, Wirtschafts- und auch Musikwissenschaft. Diese AG, die in Hildesheim tagt, ist ja auch sehr medienwissenschaftlich, aber auch Künstler sind da, Journalisten wie Sie und auch Promoter. Das heißt die Popmusikforschung versucht auf allen Bereichen dieses großen komplexen Felds der Popmusik – das ist ja eben nicht nur der Song und die Lyrics, Sie haben es angedeutet, das ist auch das Image, die Vermarktung, das ist die Medialisierung, das ist aber auch letztlich der künstlerische Bereich neben der Bühne und die Verwaltung. Das sozusagen ins Visier zu nehmen, ganz wissenschaftlich, wie das etwa die Literatur- oder Medienwissenschaft auch macht, zu systematisieren, aufzuarbeiten, auch Studien etwa zur Publikumsforschung zu betreiben etc.
Oliver Schwesig: Da können wir vielleicht mal konkret werden. Ein großes Popphänomen natürlich unserer Tage ist Lady Gaga. Die macht immer wieder von sich Reden. Jetzt ganz aktuell hören wir, sie wird bei den Grammys auftreten, ein Bowie-Tribute-Konzert geben. Sie propagiert einen Feminismus für ihre Teenager-Fans. Sie trägt Kleider aus Fleisch und so weiter. Also eine richtige Kunstfigur, ein richtiges Popphänomen. Die Musik von ihr wiederum, die ist dann schon wieder ein bisschen durchwachsen. Also die Kritiker sind da sehr kritisch, was die Lady-Gaga-Musik betrifft. Trotzdem haben Sie Lady Gaga in Ihrem Studiengang zum Forschungsgegenstand gemacht. Was interessiert einen Popforscher an Lady Gaga?
"Der äußere Schein, der ist im Pop ja immer total wichtig"
Christoph Jacke: Genau diese Komplexität der Figur und ihrer einzelnen Ebenen. Auf der Musikebene konnten Studierende sehr schön nachweisen mit einer Musikanalyse, dass das relativ gut gemachte triviale Musik ist, im Sinne von sehr unterkomplex, sehr einfach, sich sehr ähnelnd. Gleichzeitig wird man der Figur Lady Gaga damit nicht gerecht. Und dann kommen Medien- und Wirtschaftswissenschaft, die dann zeigen, wie hochkomplex etwa die Images und die Vermarktung abläuft dieser Figur, die Images sind und letztlich auch die Fan-Strukturen und die verschiedenen Einschätzungen bis letztlich zur Universität – wir Wissenschaftler sind auch Rezipierende und analysieren dann sozusagen eine ganze Menge zu der Figur und ihren Images bei Lady Gaga. Also die hat das sozusagen perfektioniert, was ich jetzt "Imagegesellschaft" nennen würde. Der äußere Schein, der ist im Pop ja immer total wichtig. Fast ist unerheblich, welcher Mensch dahinter steckt. Hier ist die Maske ganz wichtig, und dann kommt die Musik im Fall Gaga dann auch schon mal zu kurz. Bei Bowie ist das sicherlich etwas ausgeglichener und anders.
Oliver Schwesig: Wenn wir jetzt bei der Lady Gaga noch mal bleiben: Ist das ein Phänomen unserer Zeit? Oder, aus Ihrer Sicht, wäre das auch etwas, was in den Achtziger und Neunziger, Stichwort Kleid aus Fleisch, noch hätte stattfinden können?
Christoph Jacke: Ich glaube, je früher es stattgefunden hätte, desto skandalöser wäre es gewesen. Gleichzeitig sind natürlich Verkleidung und Maskeraden jahrhundertealt, mindestens, auch in der Populären Musik. Aber dieses Aus-die-Spitze-Treiben und die Perfektionierung, Kommerzialisierung und hier auch durch das Management "House of Gaga", Institutionalisierung des Ganzen – das habe ich glaube so drastisch ... ist so ein typisches Neunziger-, Nullerjahre-Phänomen. Also genau die Zeit, wo Lady Gaga sich entwickelt hat.
Oliver Schwesig: Kommen wir jetzt mal, Herr Jacke, auf den Popkongress in Hildesheim. Der trägt ja den Titel "Der Preis der Institutionalisierung". Was meinen Sie damit?
Christoph Jacke: Die Veranstalter in Hildesheim haben sich, glaube ich, große Mühe gegeben, aus den über 350 Mitgliedern unserer Arbeitsgruppe, also wie gesagt Journalisten, Künstler, aber eben auch sehr viele verschiedene Wissenschaften, die Leute zusammenzubringen, um sich auszutauschen zu ihren Studienprogrammen. Also die Frage, die Sie im Grunde auch stellen: Kann man denn Pop studieren? Das ist doch irgendwas Knalliges, Wildes mal gewesen, wie kann man das institutionalisieren? Und welchen Preis hat das? Nämlich den Preis natürlich einer gewissen Spontaneität, einer künstlerischen Knalligkeit.
Macht Pop-Studieren den Pop selbst kaputt?
Das ist aber typisch Wissenschaft. Ich glaube, das wurde auch schon anderen Wissenschaften nachgesagt, dass sie quasi das Phänomen selber angreifen. Ich denke, wir werden viel über die Wechselwirkungen zwischen Popmusikpraxis und Popmusikwissenschaft sprechen und schauen, in welche Richtung das Ganze sich entwickelt. Und deswegen ist, glaube ich, dieser Widerspruch da mit drin zunächst mal. Den haben wir spielerisch, oder die Veranstalter, aufgenommen, dass man mit Pop-Studieren eigentlich Pop kaputt macht, oder Akteure des Pops gar keine Lust haben, wissenschaftlich betrachtet zu werden, was meiner Meinung nach komplett anders läuft. Die sind alle sehr froh, anerkannt zu werden und Auskunft zu geben über ihre popmusikpraktischen und -industriellen Felder.
Oliver Schwesig: Vielleicht noch zum Schluss: Wie hat sich die Resonanz bei den Studierenden geändert. Haben Sie einen hohen Zulauf, ist der zurückgegangen? Wie beobachten Sie das?
Christoph Jacke: Ich kann jetzt nur für den Paderborner Studiengang sprechen. Da würde ich sagen, der Zulauf ist riesig. Also wir sind unglaublich beliebt, was uns sehr freut. Wir haben unserer eigenen Herausforderungen. Und so hat es auch die Popmusikforschung. Sie sehen an einer Arbeitsgruppe einer größeren Gesellschaft für Medienwissenschaft, die 350 Mitglieder hat, und zwar auch alle möglichen namhaften Musiker und Wissenschaftler, dass offensichtlich ein großes Bedürfnis herrscht, Popmusik zu analysieren, sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich auch nicht im Deutschlandradio.
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