Plagiiertes Lied "Blurred Lines"

Der Teufel steckt im Detail

Der Musiker Robin Thicke ist mit "Blurred Lines" bekannt geworden.
Der Musiker Robin Thicke ist mit "Blurred Lines" bekannt geworden. © picture alliance / dpa / Anthony Anex
Von Holger Hettinger · 11.03.2015
Das Gericht hat ganz genau hingehört und jetzt sein Urteil gefällt: Das Lied "Blurred Lines" ist ein Plagiat. 7,4 Millionen Dollar müssen Pharrell Williams und Robin Thicke, die Macher des Songs, an die Erben des Soul-Barden Marvin Gaye zahlen.
Das erste, was einem so einfällt, wenn man sich die beiden Stücke anhört, ist: Soooo furchtbar identisch, wie sich das im Gerichtsurteil ausgeführt wird, klingen diese beiden Titel ja gar nicht. Gut, da ist dieser Lässig-lässig-Beat in beiden Stücken, die Anmutung ist ähnlich, aber sonst: "Blurred Lines" klingt eher zackig und ist kleinteilig angelegt während der Marvin-Gaye-Song eher fließt und schwingt und tendenziell große Melodiebögen hat.
Die Erben von Marvin Gaye haben sich an solchen eher großkalibrigen Indizien nicht aufgehalten – sie haben Experten eingeschaltet, die die beiden Titel regelrecht seziert haben. Und wenn man, wie geschehen, das Mikroskop nur fein genug stellt, dann findet man das, was das Gericht mit "Motivübernahmen" bezeichnet hat: kleine Tonfolgen, die in beiden Stücken vorkommen und die ausgesprochen ähnlich klingen. Für den Laien ist das schwer herauszuhören, weil viele Instrumente gleichzeitig erklingen und das inkriminierte Melodie-Partikelchen von anderen Klängen überlagert wird, und, eine zusätzliche Schwierigkeit, auch rasend schnell vorbei ist. Daher zur Illustration ein Argument der Kläger: Motiv A aus der Einleitung des Marvin-Gaye Titels kommt auch in "Blurred Lines" vor, wenn auch etwas abgewandelt, als Motiv B. Oder, um es am Klavier zu verdeutlichen: Dieses Partikel aus "Got to give it up" entspricht einer Passage in "Blurred Lines".
Die richtige Strategie gewählt
Das ist zwar so ähnlich, aber nicht dasselbe – für das Gericht war es jedoch erwiesen, dass es sich hier um eine Übernahme handelt. Insgesamt acht solcher Entsprechungen hat das Gericht anerkannt und "Blurred Lines" zum Plagiat erklärt. Insofern haben die Erben von Marvin Gaye die richtige Strategie gewählt: wenn eine Plagiatsklage Erfolg hatte, dann in den Fällen, in denen man solch kleine Motivübereinstimmungen nachgewiesen hat. Das Urteil des Gerichts ist auch deshalb so eindeutig ausgefallen, weil Blurred-Lines-Komponist Pharrell Williams in Interviews mehrfach darauf hingewiesen hat, wie sehr er von Marvin Gaye inspiriert worden ist. Für hartgesottene Soul-Fans war das seinerzeit ein Scheinargument, mit dem Williams seine wie am Reißbrett konstruierte Musik mit der Seele des unvergessenen Soul-Grunzers Marvin Gaye veredeln wollte – nun ist diese Prahlerei nach hinten losgegangen.
Bleibt die Frage, wie die Beweisführung der Kläger und die Entscheidung des Gerichts einzustufen ist. Das Verfahren ist recht aussichtsreich – denn je kleiner man eine Melodie stückelt, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Partikelchen schon mal von eine anderen Komponisten verwendet worden ist. Gerade die Pop- und Rock-Musik gründet ja auf einem gewissen Formelvorrat, der sich fast schon zwangsläufig irgendwann wiederholt. Insofern ist das schon ein sehr strenges Urteil.
Übrigens: wenn man das jetzt weiterspinnt und diese strengen Maßstäbe der Motivübernahme an andere Musikstücke anlegt, dann könnte man auch sagen, dass dies hier dass das berühmte Gitarrenriff des Stones-Klassikers "Satisfaction" geklaut ist – und zwar von der Basslinie dieses Stücks: der Toccata von Leon Boellmann. Wenn das Absicht war, wenn Keith Richards sein berühmtes Riff wirklich bewusst von einem elsässischen Organisten des 19. Jahrhunderts abgekupfert hat – dann ist er eine noch coolere Sau, als ich das bisher ohnehin vermutet hatte. Vielleicht sollte mal Pharrell Williams erklären, wie man das richtig macht.
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