Opernfestival in Süditalien

Abgründe, Glut und Geheimnisse

Fabio Luisi dirigiert
Festivalchef Fabio Luisi dirigiert in Martina Franca das Orchestra Internazionale d'Italia bei "Medea in Coritno". © dpa / picture alliance / Vit Simanek
Von Bernhard Doppler · 02.08.2015
Beim 41. Festival von Martina Franca in Apulien gibt es wie stets Ausgrabungen und Raritäten zu hören. Unter anderem eine "Medea in Corinto" in pathetischen Posen von dem Deutschitaliener Giovanni Simone Mayr, dirigiert von Festivalchef Fabio Luisi.
Entdeckt werden musste "Medea in Corinto" in Italien nicht mehr, das hatten schon die Sängerinnen Maria Callas und vor allem Leyla Gencer in den 1960er- und 1970er-Jahren gemacht: Es ist das bedeutendste Werk des in Deutschland gebürtigen, aber in Italien wirkenden Johann Simon bzw. Giovanni Simone Mayr. Callas und Gencer zeigten mit der Titelrolle eine Primadonna vor, der Tiefen und strahlende Höhen, zarte Koloraturen und expressive Ausbrüche gleichzeitig abverlangt werden. Davinia Rodriguez löste 2015 in Martina Franca als Medea diese schwere Aufgabe überzeugend, doch zu entdecken ist bei Mayr nun vor allem eine faszinierende Komposition des Übergangs und der Überschneidungen zwischen deutscher Klassik und Belcanto.
Fabio Luisi, seit zwei Jahren musikalischer Leiter des Festivals – er hatte in Martina Franca in den 80er-Jahren auch seine Karriere als Korepetitor begonnen – kommt das sehr entgegen: Deutschitaliener wie Mayr, Spezialist für die Sinfonien der Wiener Klassik und die Belcanto-Opern Donizettis gleichermaßen, dirigiert er präzise das Festival-Orchester, das "Orchestra Internazionale d'Italia". Neben der Titelheldin gefallen dabei gleichermaßen die Tenöre Michael Spyres als Jason, der wegen Kreusa (Mihaela Marcu) Medea verlässt und Enea Scala als Ägeus, eigentlich Verlobter von Kreusa. Interessiert hat ja wohl auch schon im Vormärz diese antike Ehe- und Ehescheidungsgeschichte mit ihren psychischen Abgründen.
Kindische Posen und flatternde Tauben
Die Inszenierung (Benedetto Sicca), vor allem aber die altmodische Choreografie (Riccardo Oliver), wollen allerdings von der Aktualität der Oper nichts wissen, sondern decken alle Untiefen und Konflikte zu: Tänzer umtanzen in pathetischen, oft kindischen Posen die Figuren des Dramas oder wälzen sich auf dem mit Blumen bedeckten Bühnenboden der Freilichtbühne des Palazzo Ducale, und stören die Konzentration auf die Konflikte, indem sie unermüdlich selbst die kleinsten musikalischen Figuren in choreografierte Bewegungen umsetzen. Zum Finale wird ein Schwarm von Tauben über die Bühne flattern gelassen.
Das Festival zeigte in den 40 Jahren seines Bestehens konsequent nie die Klassiker der Opernliteratur, sondern gab vor allem Einblick in die unbekannte Welt der italienischen Oper durch Ausgrabungen und Raritäten, aber auch durch Uraufführungen. "Le Braci" von Marco Tuttino (nach dem Roman "Die Glut" von Sándor Márai) ist allerdings streng genommen nur die Uraufführung einer erweiterten Fassung der letzten Jahres in Budapest gezeigten gleichnamigen Kammeroper. Doch man kann kaum glauben, dass Tuttinos Komposition – er nennt sich einen Neoromantiker – eine Uraufführung ist und aus dem 21. Jahrhundert stammt. Die Musik bisweilen süffig, doch trotz ihrem Thrill wenig einfallsreich, wie konventionelle Filmmusik illustriert sie mit großem Streicheraufwand die Geschichte zweier Freunde, die sich nach 40 Jahren treffen und ein sie verbindendes Geheimnis doch nicht klären können. Die Sänger (insbesondere Alfonso Antoniozzi als Graf Konrad) können durchaus zufrieden stellen, das Werk aber nicht retten; dennoch wird die Produktion von "Le Braci" 2016 auch beim Maggio Musicale Fiorention gezeigt werden.
Ein überdrehter Nachzügler Rossinis
Ganz im Gegensatz dazu zeigt die Ausgrabung von Nicola de Giosas "Don Checco" wie außerordentlich lebendig italienisches Musiktheater sein kann, auch wenn de Giosas Musik – neapolitanisches Unterhaltungstheater im neapolitianischen Dialekt – als wenig anspruchsvoll galt, im Grunde zu Unrecht: Denn in ihren Effekten ist sie durchaus raffiniert und einfallsreich, etwa in der Behandlung der Trompete, vor allem spannend in ihrem Übergang: einerseits wie ein später überdrehter Nachzügler Rossinis, andererseits um die Mitte des 19. Jahrhunderts die moderne Operette vorwegnehmend, lustvoll dirigiert von Matteo Beltrami.
Im Mittelpunkt Don Checco, der alle Register der Bufforolle, oft im halsbrecherischen Prestissimo auskostet: ein Vagabund, der sich in einem neapolitanischen Gasthaus satt isst und für einen Grafen gehalten wird. Singend nimmt "Don Checco" so Charlie Chaplin vorweg, eine neapolitanische Figur, von der man wünscht, dass sie auch im europäischen Theater eingemeindet würde. In der Regie von Lorenzo Amato wird ein liebevoll erarbeitetes komödiantische Ensemblezusammenspiel plus Chor gezeigt, wobei die resolute Wirtstochter Fiorina (Carolina Lippo) nicht nur auf die Wirtshausgäste Eindruck macht.
Es lohnt sich also doch unbedingt, weiterhin die wenig bekannten Regionen des Opernlands Italien im Auge zu behalten.

Programmtipp

Deutschlandradio Kultur sendet am 19.9.2015 ab 19.05 Uhr in voller Länge:

Giovanni Simone Mayr: "Medea in Corinto"
Melodramma tragico in drei Akten
Libretto: Felice Romani

Eine Aufzeichnung vom 30.07.2015 beim Festival della Valle d'Itria im Palazzo Ducale Martina Franca

Egeo - Enea Scala, Tenor
Medea - Davina Rodriguez, Sopran
Giasone - Michael Spyres, Tenor
Creusa - Mihaela Marcu, Sopran
Philharmonischer Staatschor "Transsylvanien" Cluj-Napoca
Orchestra Internazionale d'Italia

Leitung: Fabio Luisi

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