Neue Musik

Tondichtung mit YouTube

Von Daniel Stender · 22.01.2014
Der Berliner Johannes Kreidler lässt sich bei seiner Musik von John Cage ebenso inspirieren wie von YouTube oder Hegel – und beauftragt auch schon mal einen chinesischen oder indischen Kollegen, die Musik für ihn zu schreiben.
Über 50 verschiedene Spielarten von Heavy Metal in sechs Minuten. Dazwischen die jeweils kurze Einordnung durch den Komponisten Johannes Kreidler.
Man könnte Johannes Kreidlers via Youtube veröffentlichte Performance mit dem Namen "Einleitung in die Musiksoziologie" als Ironie verstehen. Kommuniziert man doch gerade im Internet gern über mitgedachte Anführungszeichen, und zitiert den schlechten Geschmack, um zu zeigen, dass der eigene Geschmack darüber erhaben ist.
Schade nur, dass der Komponist da nicht mitmacht. Johannes Kreidler hat keine Lust auf Augenzwinkern. Das Ganze ist kein Witz.
Kreidler (lacht): "Das Ganze ist todernst, auch wenn es im Resultat auch mal lustig wird. Das ist nie mein Ziel, das wird dann halt so, und das habe ich gelernt, zu akzeptieren."
Johannes Kreidler selbst würde es vermutlich ein Klischee nennen, aber er wirkt so wie sich Journalisten und Publikum einen jungen Avantgardemusiker vorstellen: ein ernsthafter und zugleich lässiger Typ in den Dreißigern, der im schmucklosen Arbeitszimmer seiner Wohnung unterm Dach in Berlin-Moabit sitzt und umgeben von Lautsprechern und Computern seine Stücke schreibt. Der schnell spricht, als müsste er möglichst viele Wörter in einen Satz stecken.
"Mein Name ist Johannes Kreidler, Komponist sogenannter Neuer Musik. Damit ist gemeint, dass ich den Anspruch habe, Kunst zu machen, die es in irgendeiner Form so noch nicht gab."
Die Neue Musik des studierten Komponisten ist eng verknüpft mit den Konzepten, die hinter den Stücken stehen. Oft sind schon die Namen der Werke eine Ansage.
Bei "Fremdarbeit" geht es um Arbeit, Entfremdung und Autorenschaft. 2009 hatte Johannes Kreidler von der Klangwerkstatt Berlin den Auftrag für eine Komposition bekommen. Aber anstatt das Stück selbst zu komponieren, beauftragte er via Skype einen chinesischen Komponisten und einen indischen Programmierer. Beide sollten Musik verfassen, die ähnlich klingt wie die Musik von Johannes Kreidler selbst.
"Es war eine unheimlich interessante Erfahrung, da Musik zu bekommen aus China, die versucht, so zu sein wie meine Musik. Ein Spiegel wird mir vorgehalten. Wie interpretiert, wie sieht mich so ein chinesischer Komponist. Was kommt dabei heraus? Teilweise erkenne ich mich da wieder in dem Resultat, andererseits ist es doch eine krude Mischung."
Komponist lässt sich selbst kopieren. Klar, auch "Fremdarbeit" geht als amüsante Party-Anekdote durch. Die Pointe: Kreidler bekam 1500 Euro für die Komposition – und zahlte seinen indischen und chinesischen Kollegen 150 Dollar.
"Juristisch ist das mein Stück, ich habe sämtliche Rechte denen abgekauft. Inwiefern das ästhetisch oder moralisch mein Stück ist, muss der Hörer selbst entscheiden."
Für Kreidler zeigt "Fremdarbeit", dass es Outsourcing auch in der Hochkultur gibt. Und: Kunst ist heute nicht länger das Ergebnis eines autonomen Schöpfergeistes – sie entsteht durch den Einfluss anderer Werke. Bei Kreidler zum Beispiel durch John Cage, Youtube, Hegel oder Techno. Geradedie Neuen Medien sind eine willkommene Inspiration für diese Art Neuer Musik:
"Ich bin da gar nicht kulturpessimistisch. 'Bach ist als Jugendlicher sechs Wochen lang nach Lübeck gewandert, um Buxtehude zu hören. Da hat Musik noch einen Wert gehabt, hm?' Jetzt kriegt man vieles sofort im Netz. Ich finde das super. Beneide die jetzige Jugend darum, dass sie es so leicht hat, so viel Musik zu hören. Für mich ändert das nichts am Wert der einzelnen Musik. Ist ne prima Sache."
Am Anfang von Johannes Kreidlers Entwicklung stand die Musikschule in Stuttgart. Seine Eltern sind Lehrer, denen die musikalische Erziehung ihrer vier Kinder wichtig war.
"Blockflöte habe ich gehasst. Ich war drauf und dran das mit der Musik bleiben zu lassen. Meine Mutter dachte aber, ihn interessiert Musik schon, wir probieren es doch mit dem Klavier. Da habe ich angefangen – und zack! war ich Feuer und Flamme. Habe mit neun Jahren angefangen, selber Musik zu komponieren."
Als Jugendlicher saß Johannes Kreidler nachts vor dem Radio, um experimentelle Musiksendungen zu hören. Verstärkte Gitarren und die Posen von Rockstars fand und findet er genauso langweilig wie den durchgängigen Viervierteltakt im Pop.
Johannes Kreidler veröffentlicht unter anderem auf seinem Blog namens "Kulturtechno". Einer der Posts dort lautet: "Konzeptkunst muss man sich nicht ganz anhören." Klingt ironisch, ist es aber natürlich nicht.
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