Musikprojekt des Ensembles Ruhr

Brahms im Flüchtlingsheim

Flüchtlinge aus Syrien auf einem Hof vor einem Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf
Der Alltag in den Heimen ist trist, auch deshalb geht das Ensemble Ruhr in die Unterkünfte. © dpa / picture alliance / Britta Pedersen
Von Antje Grajetzky · 11.12.2015
Das Ensemble Ruhr wagt einen neuen Schritt in der Willkommenskultur: Die Musikerinnen und Musiker besuchen Flüchtlingsunterkünfte, spielen Brahms und laden die Menschen zu einem musikalischen Dialog ein.
Fünf Musikerinnen und Musiker des Ensemble Ruhr proben im Hause des Bratschers. Es duftet nach Plätzchen und ein Kachelofen wärmt die gute Stube. In zwei Tagen werden die fünf Streicher Flüchtlingsunterkünfte in Essen besuchen. Im Gepäck das zweite Streichquintett in G-Dur von Johannes Brahms. Die Geigerin Zuzana Schmitz-Kulanova erzählt, warum sie dieses Werk ausgesucht haben.
"In diesem Werk geht es grundsätzlich um Emotionen. Es ist ein riesen Bad an Gefühlen. Und das schwelgt von einem Extrem bis zum nächsten. Da kann man vielleicht auch mal die Augen zumachen und das einfach hautnah erleben Das ist das, was wir auch anbieten, wir spielen ja in den Heimen, die Leute sind wirklich sehr nah an uns dran, die können das alles wie auch immer erleben."
"Es sind alles menschliche Gefühle und wir sind alle Menschen auch Brahms, der war nicht religiös, der hat pure Musik geschrieben. Geprägt von einer tiefen Menschlichkeit."
Meint der Bratscher Max Schmiz. Drei Flüchtlingsunterkünfte wird die Quintettformation in den kommenden Tagen besuchen.
"Man geht erstmal mit einer Erwartung dahin, eigentlich keine bestimmte, man hört ja vieles, man weiß, dass es denen nicht gut geht, sie sind ja aus irgendeinem Grund geflüchtet und deshalb hat man selber son Beklommenheitsgefühl, wenn man da hin geht. Bin ich hier richtig, was tue ich eigentlich, was will ich denen geben, was wollen wir mitnehmen?"

Sprung ins kalte Wasser

Über die Sozialarbeiter in den Einrichtungen haben die Streicher schon erste Kontakte zu den Geflüchteten geknüpft. Sie haben gefragt, ob Menschen dort selbst Instrumente spielen und arabische Lauten, Schlagwerk, Gitarren, Mundharmonikas organisiert und zu den Menschen in die Unterkünfte gebracht. Der Cellist Emanuel Wehse nähert sich dem Projekt zunächst vorsichtig:
"Erstmal erlebt man ne sehr große Offenheit und dann muss man schauen, wie viel von der anfänglichen Euphorie darüber, dann auch tatsächlich zur Realität wird. Da ist uns auch schon sehr viel angekündigt worden. Eine Tanzgruppe soll mitmachen etc., aber wir wissen es natürlich nicht, ob das dann tatsächlich passiert. Wir hoffen, dass wir durch unsere Präsenz, durch unser Spiel, durch unser Auftreten dort, die Leute auch ne Ernsthaftigkeit mitkriegen und entwickeln auch dafür, für die Sache. Ob uns das gelingt, wird sich zeigen, wir wissen ja selbst nicht hundertprozentig, was passiert. Im schlimmsten Fall, spielen wir ein Konzert mit einem der größten Werke der Literatur. Ich mein, das ist ja auch was Schönes."
Und auch die erste Geigerin Zuzana Schmitz-Kulanova fühlt sich wie vor einem Sprung ins kalte Wasser.
"Es ist jetzt was völlig anderes, als wenn wir als normale Musiker in den Konzertsaal gehen, uns verbeugen, spielen ein Stück durch, verbeugen uns gehen ab. Also genau von dem lösen wir uns gerade ab. Und wir gucken, was draus wird. Wir haben alle Bauchschmerzen, muss ich ehrlich sagen. Wir wissen nicht, was kommt, aber wir wollen das Beste draus machen."
"Wir wurden mal mit der schönen Bezeichnung versehen, dass das Ensemble Ruhr dorthin geht, wo es weh tut und das darf auch für uns selbst gelten."
Eine der Unterkünfte ist ein Zeltlager auf einem Sportplatz. Er befindet sich am Rande eines Wohnviertels im Norden der Essener Innenstadt. Die Universität ist ganz in der Nähe. An der Pforte müssen sich alle, die auf das Gelände möchten, anmelden. Die Stimmung ist freundlich jovial. Ein Mitarbeiter bringt mich zum Gemeinschaftszelt. Darin sind einige Stuhlreihen aufgestellt worden. Die Plätze sind alle besetzt. Vorne sitzen die Kinder.

Zwischen Klassik und Street Art Battle

"Warum sind wir hier. Wir machen ein Projekt, was zu tun hat mit Leidenschaft mit Emotion. Unsere große Leidenschaft, unsere Emotion können wir am besten mit Musik ausdrücken. Das ist unser Beruf unsere Leidenschaft."
Es ist und bleibt unruhig im Zelt, als das Ensemble Ruhr sich vorstellt und zu spielen beginnt. Die ganz kleinen Kinder wippen begeistert zur Musik, zahlreiche Zuschauer machen Film- und Tonmitschnitte, andere sitzen auch ganz still und vertieft auf ihren Plätzen.
Die Musiker fragen, ob Menschen im Zelt gemeinsam mit Ihnen Musik machen möchten. Nach einer kleinen Weile greift ein junger Mann zu den mitgebrachten Bongos.
Applaus und Begeisterungsstürme sind allen, die sich trauen sicher. Bisweilen wirkt die Stimmung fast wie bei einem Street Art Battle.
In dieser Unterkunft stellen sich vor allem Sänger vor das Publikum. Nur Männer wagen sich nach vorne. Das ist auch der Bratscherin Laura Krause aufgefallen.
"Es hat keine einzige Frau gespielt. Ich weiß es nicht, ob sie schüchtern sind oder ob es gar nicht geht, schwer zu sagen. Ich wäre ja auch gehemmt, das zu machen."
"Weil die Frauen, die kommen aus arabischen Ländern, die sind schüchtern."
Vermutet Herr El Amrani dazu. Er ist der Leiter der Einrichtung, übersetzt heute Nachmittag zwischen den Musikern und den Bewohnern und ist begeistert.
"Diese Harmonie zwischen allen Ländern hier. Die haben alle Lieder verstanden, obwohl sie nicht aus arabischen Ländern oder aus anderen Ländern auch kommen. Aber trotzdem alle haben die verstanden, was die meinen oder was sie sich fühlen auch."

"Total platt und begeistert"

Wer mag, darf im Anschluss noch die klassischen Streichinstrumente ausprobieren. Es werden Namen notiert und Verabredungen getroffen. Die fünf Musikerinnen und Musiker sind sichtlich berührt von den Erlebnissen. Der Cellist Emanuel Wehse spricht für alle.
"Im Moment bin ich erstmal platt, weil ich so total begeistert bin, wie vielfältig und wie toll das alles ist, die Leute und die Stimmung auch hier. Ich meine, wir stehen hier in einem Notzelt und die Leute sind einfach in ner super gelösten Stimmung. So was gibt mir viel, dass wir teilgenommen haben, teilnehmen durften."
Ende Dezember wird es ein Benefizkonzert geben. Das Ensemble Ruhr spielt dann das Brahms-Quintett und musiziert gemeinsam mit den Musikern, die sie auf ihrer Reise durch die Unterkünfte kennengelernt haben.
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