Musikgeschichte

Dada und die Geburt von Punk

Klaus Walter im Gespräch mit Martin Böttcher · 05.02.2016
Was verbindet die Sex Pistols mit den Dadaisten? Warum hat Brian Eno Schwitters' Ursonate gesampelt? Und weshalb wären Bands wie Der Plan oder Palais Schaumburg ohne Dadaisten schwer vorstellbar? Wir sprechen mit Akteuren der deutschen Szene.
Cabaret Voltaire: "Nag Nag Nag"
To nag: Maulen, nörgeln, meckern, keifen. Nag als Substantiv heißt unter anderem: Nervensäge. Cabaret Voltaire sägen Nerven, 1979, mit "Nag Nag Nag". Die Electro-Punk-Band aus Sheffield nennt sich nach dem Cabaret Voltaire, das heute vor 100 Jahren in Zürich eröffnet wurde. "Nag Nag Nag", drei Silben mit a, wo ist der Sinn?
Trio: "Da Da Da"
Da Da Da, drei Silben mit a, wo ist der Sinn? Als Trio 1982 "Da Da Da" veröffentlichen, ist klar: "Da Da Da" ist Dada. Überhaupt werden die späten 70er und frühen 80er gerne als Blüte des Dada-Pop gelesen, mit der Neuen Deutschen Welle und den Genialen Dilletanten und Bands wie S.Y.P.H., Der Plan, Palais Schaumburg, Die Tödliche Doris.
Nicht überzeugt von der Dada-Pop-Theorie ist Jörg Heiser. Der Berliner Kritiker hat gerade ein Buch veröffentlicht, "Doppelleben – Kunst und Popmusik", darin taucht das Dada-Wort ganze sechs Mal auf. Auf 600 Seiten:
"Die Genealogie von Dada im Pop der 80er-Jahre ist vordergründig vielleicht naheliegend, aber so direkt ist die Verbindung nicht. Nehmen wir 'Grünes Winkelkanu' von Palais Schaumburg."
Palais Schaumburg: "Grünes Winkelkanu"
"Holger Hiller hat sich meines Erachtens mehr an der Cut-Up-Technik von William S.Burroughs orientiert als an Ball oder Schwitters. Die Einflüsse von Dada wirken eher indirekt in die Gegenwart. Historisch zeichnet Dada aus, was Hugo Ball 1916 im Cabaret Voltaire gemacht hat: sich auf eine Bühne stellen und schwer zuzuordnende Laute von sich geben. Die Lautgedichte verlagern den Akzent von Botschaft und Sinn auf die Performance desjenigen, der auf der Bühne steht, sich blamiert, sich über sich selbst lustig macht und damit zugleich über die Anwesenden."
Diese indirekte Wirkung von Dada auf den deutschsprachigen Pop der 80er bestätigen zwei Protagonisten der Neuen Deutschen Welle. Holger Hiller, Texter und Sänger von Palais Schaumburg:
"Über Dada habe ich einiges gelesen, nachdem viele meinten, ich sei dadurch beeinflusst. Ich las Interviews mit Marcel Duchamp, den ich immer ganz sympathisch fand. Dabei blieben einige seiner Sätze bei mir hängen. 'Der kreative Akt wird nicht nur vom Künstler geschaffen. Die Außenwelt fügt ihren Beitrag hinzu.´"
Ähnlich wie Hiller beurteilt Moritz Reichelt den Einfluss von Dada. Als Moritz RRR schuf Reichelt mit der Düsseldorfer Band Der Plan einen lustigen Aufruf zum zivilen Ungehorsam.
Der Plan: "Da vorne steht 'ne Ampel"
"Warum nicht bei Rot geh'n? Warum nicht bei Grün steh´n?" Fragt Der Plan. Der Ampel-Song unterläuft die schlichte Schwarz-Weiß-Logik der alten Bundesrepublik und veralbert gleichermaßen deutschen Kadavergehorsam und linkes Rebellenpathos, das noch den läppischsten Regelverstoß zum politischen Akt hochjuxt.
"Dada war für Der Plan keine explizite Quelle."
Sagt Moritz Reichelt.
"Wir haben uns als Surrealisten bezeichnet. Allerdings ist der Unterschied nicht so groß. In beiden Strömungen geht es darum, die Sprache oder bildliche Festlegungen auseinanderzunehmen und wieder neu zusammenzusetzen. Bei Dada und Pop fällt mir natürlich David Byrne ein. Sein Titel 'Stop Making Sense´ klingt ja wie das reinste Dada-Manifest."
Lupenreiner Dada ist der erste Song auf "Fear of Music", dem Album, das David Byrnes Band Talking Heads 1979 mit Brian Eno produziert hat.
Talking Heads: "Zimbra"
A bim beri glassala grandrid, oder so ähnlich. David Byrne singt Hugo Balls Lautgedicht "Gadji beri bimba" von 1916.
"Für alle, die es nach Sinn verlangt oder Hinweisen darauf, was man wohl von der Reise, die man mit dem Absenken der Nadel am Plattenspieler angetreten hat, erwarten kann, gibt es einen linken Haken Marke Dada vor die Kinnlade."
So der amerikanische Schriftsteller Jonathan Lethem in seinem Buch über "Fear of Music". 1981 gehen David Byrne & Brian Eno den Schritt von der Hommage auf Dada zur Adaption der Methode Dada. Auf ihrem Album "My life in the bush of ghosts" verarbeiten sie "found objects", gefundene Objekte.
David Byrne & Brian Eno: "My life in the bush of ghosts"
Stimmen von Predigern, libanesische und ägyptische Sänger, Radioschnipsel, die Eno aufgenommen hatte, also akustische Readymades im Geiste von Marcel Duchamp, einer der Schlüsselfiguren des Dadaismus. Aber vielleicht ist das wieder eine von diesen...
"... geschichtlichen Hauruck-Analogien, die immer herangezogen werden, wenn etwas Neues erklärt oder wegerklärt werden soll: Gab es da nicht eine britische Band, die sich Cabaret Voltaire nannte? Hatten die Talking Heads nicht..."
Sex Pistols: "Anarchy in the UK"
Der Kritiker der Hauruck-Analogien, hat ein ganzes Buch über die Analogien und eben Nicht-Analogien von Dada und Punk geschrieben, quasi die Punk-Geschichte noch mal mit Dada im Gepäck rekapituliert. Sein Name ist Greil Marcus.
In seinem Buch "Lipstick Traces – Von Dada bis Punk" schließt er die Sex Pistols mit dem Zürcher Cabaret Voltaire kurz. Wie Dada zerstört Punk zunächst eine Tradition, um gleich eine neue zu begründen. So ideenreich wie indizienreich weist Greil Marcus nach, dass Dada und Punk viel mehr miteinander zu tun haben, als ihnen selbst bewusst ist. Unbewusstes zu Tage fördern, auch eine Qualität von Dada. Und von Pop.
Mehr zum Thema