Musikalische Reise durch die USA

Billy Bragg und Joe Henry huldigen der Eisenbahn

Der Musiker Billy Bragg mit einer Gitarre.
Der Musiker Billy Bragg mit einer Gitarre. © picture alliance / dpa / PA Zak Hussein
Von Harald Mönkedieck · 20.09.2016
Billy Bragg und Joe Henry waren unterwegs auf den historischen Gleisen der "Great American Railroad" und haben einen Soundtrack zu ihrer Reise geschrieben. "Shine a Light" heißt das Album der beiden Musiker.
"Shine A Light” – ein Licht werfen. Eine halbe Zeile aus dem Folk-Klassiker "Midnight Special” gibt dem neuen Album von Billy Bragg und Joe Henry die Überschrift. Untertitel: "Feldaufnahmen von der Großen Amerikanischen Eisenbahn". Und das gilt in mehrerer Hinsicht. Denn Billy Bragg und Joe Henry haben sich nicht nur um Eisenbahn-Songs gekümmert. Sie sind per Zug gereist: fast dreitausend Meilen, vier Tage lang, von Chicago nach Los Angeles. Man nahm das Album unterwegs auf. Auf Bahnsteigen, im Waggon, im historischen Bahnhof Union Station in Chicago. Ein Album über den Mythos "Eisenbahn" entstand. Zwei Stimmen, zwei Gitarren, mehr nicht, erläutert Billy Bragg, backstage bei einem Festival.
"Ich habe in den letzten Jahren an einem Buch gearbeitet zum Thema, wie die Gitarre hervorgetreten ist in britischer Musik. Zum Beispiel durch einen Mann namens Lonnie Donegan, der einmal den Song "Rock Island Line" aufgenommen hat. Mir fiel bei der Arbeit auf, wie viele Songs über Züge es gibt. Warum ist das so? Es sind ja nicht nur Songs über das Reisen, sondern Songs, in denen die Eisenbahn eine Metapher ist – für Sehnsüchte, Liebeskummer, Freiheit…. Woher kommt das? Warum ist dieses Motiv so tief verankert. Besonders in der amerikanischen Psyche. Das wollte ich untersuchen…"
"Shine A Light" ist also ein weiteres amerikanisches Projekt von Billy Bragg geworden. Nach den "Mermaid Avenue"-Alben mit Wilco, dem von Henry produzierten Solo-Album "Tooth And Nail", jetzt gewissermaßen Akt drei im "Americana"-Songbook des "Barden von Barking", einem Vorort im Osten Londons. Für eine Magazin-Reportage über den schweizerisch-amerikanischen Fotographen Robert Frank fand Bragg auf der Landkarte Rock Island, Illinois, wo einst die erste Eisenbahnbrücke über den Mississippi gebaut wurde.
"Die 'Rock Island Line' gibt es heute nicht mehr. Sie haben die Gleise entfernt. Wir fuhren dahin, wo sie einmal war. Zum Beispiel zum Amtrak-Bahnhof von Little Rock, Arkansas. Der Bahnhof war geschlossen und man sagte uns: Kommt um Mitternacht wieder – dann kommt der Zug. Es gab nur einen Passagierzug am Tag von Los Angeles nach Chicago. Wir machten Fotos und ich spielte 'Midnight Special', als der Zug abfuhr. Er hatte vorher 20, 25 Minuten angehalten und ich dachte mir – man könnte in dieser Zeit etwas aufnehmen. Das war die Idee, die ich Joe vorschlug. Wir buchten Tickets und haben es einfach gemacht. Ohne jemanden groß zu fragen. So ging es los."

Herzensangelegenheit mit Tiefgang

Billy Bragg entwickelte dann die Idee für das Albumprojekt, US-Songpoet und Produzent Joe Henry war sofort dabei. Man begab sich gemeinsam auf eine Expedition in das Herz des alten Amerika. Man dachte nach über die "manifest destiny", die nationale Ideologie der Westexpansion im 19. Jahrhundert, und die große mythische Aura der Eisenbahngeschichte. Bragg begreift sie heute als eine der großen Entwicklungskräfte der Menschheitsgeschichte. Ihre große Zeit dauerte in den USA etwa ein Jahrhundert.
"Sie begann in den 1850ern und endete in den 1950er Jahren, als man das Interstate-Netzwerk baute. Heute gibt es westlich des Mississippi eigentlich nur noch Passagierzüge für Touristen und Menschen mit Flugangst. Aber Güterzüge gibt es dort mehr als überall sonst in den Industrieländern. Die Eisenbahn funktioniert noch und sie wird benutzt. Aber die Amerikaner betrachten sie nicht mehr als Option für den Passagier-Transport."
Und so präsentiert das transatlantische Gespann Bragg und Henry auf diesem musikalisch puristischen, sehr stimmungsvollen, Folk-Album vorwiegend Songs aus alter Tradition: Leadbelly, Woody Guthrie, Hank Williams, Jimmie Rodgers, Jean Ritchie. Dazu zwei Songklassiker aus den Sechzigern von Gordon Lightfoot und John Hartford. In seiner Entstehungsgeschichte entwickelte sich "Shine A Light" zu einer Herzensangelegenheit mit Tiefgang. Es ist ein Projekt gegen den Verlust kollektiver Erinnerung geworden.

"Musik kann Barrieren niederreißen"

"Shine A Light" ist kein Museumsstück, sondern die leidenschaftliche Auseinandersetzung mit einer Historie, die umso deutlicher nachhallt, je tiefer man in sie einsteigt. Doch kein Gespräch mit Billy Bragg ohne einen Blick auch auf das politische Geschehen. Bragg erlebte die Brexit-Entscheidung seiner Landsleute beim Glastonbury-Festival in einem kollektiv geschockten Umfeld. Er sieht jetzt auch die jüngeren am Zug. Die Leute unter vierzig müssen begreifen, dass Politik wirklich ihr Leben betreffe und antworten, sagt Bragg. Die Rolle des Troubadours bleibt für den Volkssänger und Aktivisten evident. Bragg singt bis heute für eine positive kollektive Grundidentität des Menschen. Sie lässt sich auch im alten Folk-Songbook aus der Neuen Welt wiederfinden.
"Musik kann keinen politischen Wandel herbeiführen, aber Empathie erzeugen für andere. Musik kann Barrieren niederreißen. Und das versuche ich heute auf der Bühne. Den Zynismus der Leute zu durchbrechen, sie etwas fühlen zu lassen. Gerade in einer Zeit, wo man versucht, Menschen auseinander zu bringen, ist die Fähigkeit von Musik, Empathie zu wecken sehr wertvoll. Das war mein Job in diesem Zelt in Glastonbury an jenem Freitagabend. All den Menschen, die dachten, dass sie nicht mehr in ihr eigenes Land gehören, das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind."
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