Mozarts "Le nozze die Figaro" in Leipzig

Treppensteigen auf der Opernbühne

Das Opernhaus in Leipzig
Das Opernhaus in Leipzig © picture alliance / dpa / Foto: Thomas Eisenhuth
Von Uwe Friedrich · 14.11.2015
"Le nozze die Figaro" findet auf der Leipziger Opernbühne auf drei Stockwerken statt. Was wie eine hübsche Idee zur Verdeutlichung der Klassenunterschiede aussieht, bleibt im Laufe der Inszenierung von Gil Mehmert als inhaltlicher Aspekt aber auf der Strecke.
Wie ein aufgeklapptes Puppenhaus steht das Schloss des Grafen Almaviva auf der frisch sanierten Bühne des Leipziger Opernhauses. Im obersten der drei Stockwerke hat Bühnenbildner Jens Kilian die Zimmer von Graf und Gräfin, Susanna und Figaro untergebracht, im Zwischengeschoss eine ganze Reihe begehbarer Kleiderschränke und im Erdgeschoss schließlich das Vestibül und diverse Nebengelasse. Was zunächst wie eine hübsche Idee zur Verdeutlichung der Klassenunterschiede aussieht, erweist sich Laufe der Aufführung als das größte Problem der Inszenierung von Regisseur Gil Mehmert: Alle Beteiligten müssen immer wieder treppauf, treppab laufen, kreuzen dabei die Wege der anderen, werden Zeugen von Unterhaltungen, die sie in der strengen Logik dieser Komödie nicht mitbekommen dürften.
Gil Mehmert setzt auf pittoreske Bildwirkungen
Offenbar ging auch viel Probenzeit in das Arrangement des Simultangeschehens in den einsehbaren Räumen. Der Graf liest Zeitung, während die Gräfin bedeutungsvoll vor sich hin stiert oder Cherubino auf der Gitarre sein Ständchen übt. Gil Mehmert setzt völlig auf pittoreske Bildwirkungen und die tatsächlich hohe Komik des Geschehens, während ihn der gesellschaftskritische Hintergrund kaum interessiert.
Dass sich in dieser Oper der Untergang einer herrschenden Feudalklasse andeutet, dass eine neue Herrschaftsordnung aufzieht, die alte Privilegien hinwegfegen wird, spielt in Leipzig keine Rolle. Das muss auch nicht in jeder "Figaro"-Inszenierung explizit auf die Bühne gebracht werden, aber wenn dieser Aspekt vollkommen fehlt, geht dem Werk deutlich Tiefe verloren. Dabei gelingen Mehmert immer wieder überzeugende Lösungen für die verworrene Handlung.

Selten hat man die Verwechslungen im vierten Akt so nachvollziehbar inszeniert gesehen. Immer ist klar, wer gerade wen fälschlich für jemand ganz anderen hält und wer wen hinters Licht führen möchte. Ähnlich präzise ist das Finale des zweiten Akts gelöst, auch gelingt das Versteckspiel zwischen Graf und Cherubino im ersten Akt auf, unter und hinter der Matratze des zukünftigen Ehepaares Susanna-Figaro sehr komisch, ohne peinlich zu sein. Wenn aber unmotiviert Feuerwerkslörper explodieren oder die weibliche Dienerschaft gleich reihenweise in Ohnmacht fällt wegen der erotischen Strahlkraft Cherubinos, ist die Grenze zum platten Klamauk deutlich überschritten.
Dirigent Matthias Foremny rettet Aufführung
Dass die Aufführung trotz dieser Einschränkungen insgesamt gut funktioniert, liegt vor allem am Dirigenten Matthias Foremny. Er trifft von den ersten Takten der Ouvertüre mit dem Gewandhausorchester das richtige Tempo und den richtigen Ton dieser Musik. Die harmonischen Trübungen des Hochzeitsmarschs bringen jenen Unterton von Revolution ein, der in der Inszenierung so vollkommen fehlt, vorher trieb er das Finale des zweiten Akts in einen vorwärtsdrängenden Taumel, der das Innenleben der Bühnenfiguren hörbar macht, ohne die Sänger je allein zu lassen.
Wenn der Dirigent eine musikalische Vorstellung vom Gesamtaufbau der Oper hat, kommt es auch nicht mehr darauf an, dass jede Rolle sensationell gesungen wird, und so fügen sich die Sänger zu einem sehr soliden Ensemble zusammen, dessen Summe deutlich größer ist als die Addition der einzelnen Teile. Die Mezzosopranistin Wallis Giunta als Cherubino und Olena Tokar als eine sehr flink agierende Susanna überstrahlten den eher robusten Grafen von Mathias Hausmann und den zupackenden Figaro des Sejong Chang. Insgesamt eine Premiere, bei der Mozart eher musikalisch als szenisch zu seinem Recht kommt, ohne das Publikum der Leipziger Oper zu verschrecken.

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