Mick Harvey: "Delirium Tremens"

Der englische Gainsbourg

Der australische Sänger Mick Harvey bei einem Konzert in Lissabon
Der australische Sänger Mick Harvey: Als junger Gitarrist in Melbourne hat er die Musik von Serge Gainsbourg zum ersten Mal gehört. © Imago / Global Images
Von Carsten Beyer · 28.06.2016
Serge Gainsbourg, mon amour! Der Australier Mick Harvey hat mit "Delirium Tremens" bereits sein drittes Album mit Liedern des französischen Künstlers vorgelegt - das vierte ist in Mache. Knifflig waren vor allem die Übersetzungen der Texte, meint Harvey.
"Delirum Tremens" ist ein Album, das von den Kontrasten lebt: Auf der einen Seite Serge Gainsbourg, der Pop-Dandy, ein Mann, der die Exzesse liebte. Und auf der anderen Seite Mick Harvey, der australische Gentleman, bekannt für seine staubtrockenen Gitarrenriffs und ein eher nüchternes Arbeitsethos.
Und doch: Wenn man sich anschaut, mit welchem Respekt Mick Harvey an die Gainsbourg-Originale herangegangen ist, dann wird klar, dass die zwei Musiker vielleicht doch nicht so viel trennt.
"Dieses ganze betrunkene Gehabe, diese Provokationen, das war doch nur ein kleiner Teil von dem, was Gainsbourg ausgemacht hat. Er war ein sehr ernsthafter Künstler, der Hunderte von großartigen Songs geschrieben hat. Er war übrigens auch ein sehr umgänglicher Typ und ein ausgewiesener Familienmensch – auch wenn er in der Öffentlichkeit ganz anders dargestellt wurde. Also ich denke, im Leben von Serge Gainsbourg lässt sich sehr viel mehr entdecken als seine Sauftouren und was er mal zu Whitney Houston gesagt haben soll. Mich jedenfalls hat das überhaupt nicht interessiert."
Als junger Gitarrist in Melbourne hat Mick Harvey die Musik von Serge Gainsbourg zum ersten Mal gehört. Doch nach Australien schafften es nur die allerbekanntesten Chansons des Franzosen - Stücke wie die Gangster-Ballade "Bonnie and Clyde" oder "Je t’aime, moi non Plus", das notorische Stöhn-Duett mit Jane Birkin.

Fremdsprachige Songs haben es in Australien schwer

Erst als Harvey in den 1980er-Jahren nach Berlin übersiedelte, um dort an der Seite von Nick Cave die Geschicke der Bad Seeds voranzutreiben, lernte er das Gesamtwerk von Serge Gainsbourg kennen – und er war begeistert. In seinem Kopf reifte damals die Idee, die Songs Gainsbourgs ins Englische zu übersetzen und so einem noch größeren Publikum näher zu bringen:
"Für Leute hier in Europa mag das ein bisschen merkwürdig klingen, weil sie es einfach gewohnt sind, Songs in anderen Sprachen zu hören und sich nichts dabei zu denken. Aber in der englischsprachigen Welt war das damals noch eine echte Hemmschwelle. Es gab ganz einfach so viel englischsprachige Musik, dass für Songs in anderen Sprachen kein Platz mehr war in den Läden und auch im Bewusstsein der Leute. Als ich aufwuchs, in Australien, konnte man noch nicht mal die Platten der Stooges kaufen. Wie sollte man da an Serge Gainsbourg herankommen?"
1995 veröffentlichte Mick Harvey seine erste Gainsbourg Cover-CD "Intoxicated Man". Zwei Jahre später folgten die "Pink Elephants" – beides Alben, auf denen vor allem die bekannten Chansons des Franzosen zu finden sind, aus den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren.
Dass er sich nun, fast 20 Jahre später, noch einmal mit Gainsbourg beschäftigt, hat etwas damit zu tun, dass er auch dessen Spätwerk abbilden wollte – ein Spätwerk, das auch so kontroverse Alben wie die Nazi-Persiflage "Rock Around the Bunker" umfasst.
"Es war mir wichtig, auf der neuen CD auch einen Song von 'Rock Around the Bunker' mit drauf zu haben. Natürlich war dieses Album eine Provokation, eine ganz bewusste Provokation und ein Angriff auf den guten Geschmack. Aber wenn man genauer hinguckt, kann man auch eine Menge schwarzen Humor darauf entdecken. Das war natürlich nicht immer ganz leicht zu übersetzen, aber ich glaube man bekommt zumindest eine Ahnung davon, was gemeint ist."

Knifflige Übersetzungsarbeit

"SS – C’est Bon" heißt dieses Stück – "die SS ist gut" – und es zeigt, wie gut es Harvey gelungen ist, den Tonfall Gainsbourgs zu treffen. Nicht nur das Wortspiel mit den scharfen S-Lauten hat er in seine Übersetzung gerettet, er hat auch die bitterböse Ironie des Inhalts übernommen, in dem sich Gainsbourg, der Sohn russisch-jüdischer Emigranten über die vielen Mitläufer des Vichy-Regimes lustig macht.
Harvey selbst vergleicht die Übersetzungsarbeit mit dem Gang durch ein Minenfeld – ein Himmelfahrtskommando, das ihm ganz offensichtlich Spaß gemacht hat
"Künstlerische Herausforderungen sind doch was Gutes. Ich mag sowas. Natürlich haben Übersetzungen immer etwas Explosives an sich. Wenn man nicht aufpasst, gehen sie nach hinten los. Hier bei Gainsbourg war es besonders knifflig, weil er Wortspiele und Andeutungen so sehr liebt. So etwas kann man oft nicht Eins zu eins übersetzen, aber man muss trotzdem sicher stellen, das es auf irgendeine Art und Weise in der neuen Version wieder auftaucht."
Wer denkt, Mick Harvey habe mit "Delirium Tremens" nun endgültig mit Gainsbourg abgeschlossen, der hat sich übrigens getäuscht. Bereits im Spätherbst ist ein weiteres, viertes Album geplant: "Intoxicated Women" soll es heißen und Harvey wird sich darauf vor allem die Duette Gainsbourgs vornehmen. Unter anderem wird er dann mit der Berliner Sängerin Andrea Schroeder "Je t’aime" stöhnen – und als er das erzählt, kann sich selbst der Gentleman Harvey ein leicht anzügliches Grinsen nicht verkneifen.

Mick Harvey: Delirium Tremens
Mute Records

Mehr zum Thema