Lebensmittelfarben

Schädigen Farbstoffe im Essen die Gesundheit?

Zuckergusstüten mit Lebensmittelfarbe in verschiedenen Farben liegen auf einem Tisch in einer Bäckerei.
Zuckergusstüten mit Lebensmittelfarbe in verschiedenen Farben liegen auf einem Tisch in einer Bäckerei. © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Von Udo Pollmer · 11.12.2015
Nach den grauen Novembertagen wird es in der Adventszeit wieder bunt und leuchtend. Das hebt unser Lebensgefühl. Nur bei Farbstoffen im Essen gibt's betroffene Gesichter. Lebensmittelchemiker Udo Pollmer geht den Bedenken nach.
Farbstoffe im Essen sind gefühlt eine moderne Erfindung. Dabei waren einige unserer heutigen E-Nummern schon in der Steinzeit en vogue, wie Höhlenmalereien belegen: Erdpigmente wie roter und gelber Ocker – E 172, weiße Kreide – E 170 oder schwarze Kohle – E 153.
Im Laufe der Jahrtausende kamen immer neue Stoffe hinzu. So das rote Alizarin aus der Krappwurzel, das Leber- und Nierenkrebs verursacht; oder der "Gelbe Lack" aus der Kreuzdornbeere, ein brutales Abführmittel. Dazu gesellten sich farbige Mineralien wie das hochgiftige Rote Arsenik, der Zinnober, eine Quecksilberfarbe oder die orangene Bleimennige.
Klingt nicht sehr gesund. Doch zu jenen Zeiten ging von Leberegeln, Bandwürmern und Kleiderläusen die größere Gefahr aus. Die Ironie der Geschichte will es, dass Farbstoffe oftmals so giftig waren, dass sie, beispielsweise im Essen, manch einem ungebetenen Parasiten den Garaus machten. Wie Haaranalysen zeigten, wurde eine Arsenfarbe Napoleon zum Verhängnis. Damals wurden edle Tapeten mit Schweinfurter Grün, einem arsenhaltigen Pestizid, eingefärbt. Dadurch fielen Krankheitsüberträger wie Wanzen tot von der Wand. Gut möglich, dass Napoleon dank seiner giftgrünen Tapete länger lebte, auch wenn sie ihn schließlich doch noch das Leben kostete.
Die bunten Gifte forderten zahlreiche Opfer: Im Jahr 1880 fanden amerikanische Chemiker in jeder zweiten Süßware giftige Mineralfarben. Vor allem kandierte Früchte wurden Kindern zum Verhängnis. Andere starben an Verfälschungen, wie Paprikapulver, das mit Bleimennige gestreckt war. Dank der aufstrebenden Wissenschaft gelang es, diese Zusammenhänge endlich aufzudecken.
Alsbald lösten die neu entdeckten Teerfarbstoffe die Mineralfarben ab. Um 1900 waren beim Kaiserlichen Patentamt bereits 15.000 künstliche Farbstoffe gemeldet. Die neuen Farben waren meist ungefährlicher als ihre Vorgänger. Und sie hatten einen wichtigen Nebeneffekt: Viele erwiesen sich als Keimtöter. Damit kam nicht nur Farbe ins Angebot, die Speisen wurden auch haltbarer und hygienischer. Bis heute sind einige dieser Färbemittel zur Bekämpfung von Parasiten, Bakterien und Pilzen in Gebrauch wie Methylenblau, Malachitgrün oder Kristallviolett.
Lebensmittelindustrie färbte fleißig, um Rohstoffe zu sparen
Mit der Industrialisierung entstand ein Heer von Fabrikarbeitern, das seinerseits auf die Waren einer aufstrebenden Lebensmittelindustrie angewiesen war. Und die färbte fleißig, auch, um Rohstoffe zu sparen: So ersetzte die quietschgelbe aber bittere Pikrinsäure im Bier den Hopfen. Da Pikrinsäure auch gegen Bandwürmer half, war ein Wirtshausbesuch oft heilsamer als der Gang zum Arzt.
Staatliche Hygienemaßnahmen wie Fleischbeschau und Kanalisation erwiesen sich als effektiver. Die Lebenserwartung stieg, damit gewannen nun aber Alterskrankheiten wie Krebs an Bedeutung. Als einige Azofarbstoffe als kanzerogen eingestuft wurden, gerieten gleich alle "künstlichen" Farbstoffe in Verruf. So begann um das Jahr 2000 der Aufstieg der pflanzlichen Färbemittel, nachdem es endlich gelungen war, ihnen durch chemische Kunstgriffe die nötige Stabilität zu verleihen.
Kürzlich legte die US-Gesundheitsbehörde FDA ihre Ergebnisse zu natürlichen Farbstoffen vor: Viele enthielten zu viel Lösungsmittel, gefolgt von zu viel Schwermetallen, Pestiziden und Keimen. Und nicht zuletzt waren einige Naturfarben mit illegalen künstlichen aufgemotzt.
Allmählich verblassen die "Pflanzenextrakte", nun sind Interferenzfarben angesagt. Also hauchdünne Schichten aus Natriumsilikat, einem Rieselhilfsstoff, weißem Titandioxid und dem Ockerpigment aus der Steinzeit. Damit lassen sich glitzernde Farben erzeugen – ja sogar Gold- und Silber-Effekte. Das kennt man auch von Ölfilmen auf Pfützen, die in allen Farben des Regenbogens schillern.
Der letzte Schrei sind Quantenpunkte. Dazu werden mittels Nanotechnologie "künstliche Atome" erzeugt, bei denen die Elektronen so eingesperrt werden, dass sie eine vordefinierte Farbe abstrahlen. Ja, die Lebensmittelwirtschaft geht rein optisch einer leuchtenden Zukunft entgegen. Mahlzeit!
Literatur
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Was sich gegen Keime im Salat tun lässt, warum nur tote Probiotika gute Progiotika sind oder wie Kaffeeabfälle zu Geld gemacht werden - das sind Fragen rund um das Thema Ernährung, mit denen sich der Lebensmittelchemiker und Autor Udo Pollmer immer freitags in der "Mahlzeit" in der Sendung "Studio 9" beschäftigt.

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