ITB-Partnerland Malediven

"Ein in vielerlei Hinsicht problematisches Reiseziel"

Palmenstrand auf einer Urlaubsinsel der Malediven des Ari Atolls, aufgenommen am 18.04.2014. Der Inselstaat Malediven liegt im indischen Ozean und besteht aus mehreren Atollen und mehr als 1.100 Inseln.
Paradies ohne Menschenrechte? Die Malediven stehen als Urlaubsland in der Kritik © picture-alliance / dpa / Bernd Weißbrod
Harald Armin Friedl im Gespräch mit Dieter Kassel · 08.03.2016
Vor Eröffnung der ITB wird viel über Menschenrechtsverletzungen und andere Benachteiligungen im Partnerland Malediven diskutiert. Der Tourismusethiker Harald Friedl begrüßt die Kritik, meint aber gleichzeitig, die Malediven seien kein Einzelfall.
Darf man in einem Land wie den Malediven Urlaub machen, obwohl es von islamistischen Politikern regiert wird und die Einnahmen aus dem Tourismus nur wenigen zugute kommen? Darüber wird im Vorfeld der ITB viel diskutiert, denn die Malediven sind in diesem Jahr das Partnerland.

Menschenrechtsverletzungen nicht einfach hinnehmen

Der Tourismusexperte Harald Armin Friedl, Professor an der Fachhochschule Joanneum in der Steiermark, begrüßt die Kritik an der Entscheidung, die Malediven zum Partnerland der diesjährigen Internationalen Tourismusbörse Berlin zu machen.
Die Malediven seien als Reiseziel in vielerlei Hinsicht problematisch, sagt er. Insofern sei es gut, dass das diskutiert werde und Menschenrechtsverletzungen nicht einfach hingenommen würden.
Allerdings seien die Malediven kein Einzelfall: "Es sind eben viele Reiseziele generell wenig daran orientiert, ob es der Bevölkerung besser geht, ob das Umweltfolgen hat, sondern meistens daran, ob es für ein zahlendes Publikum eben entsprechende Reize gibt."

Tourismus kann auch Gutes bewirken

Friedl betont außerdem mögliche positive Auswirkungen von Tourismus in einem Land. Ein gutes Beispiel in dieser Hinsicht sei Myanmar: "Dort gab es eine äußerst menschenrechtsfeindliche, diktatorische Regierung, und dort wurden viele Projekte gemacht und aktiv, konstruktiv eingewirkt. Und mittlerweile hat diese Regierung eben auch einen Schwenk vollzogen."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Heute Abend wird die weltgrößte Reisemesse, die Internationale Tourismusbörse in Berlin offiziell eröffnet. Und diesmal gab es schon im Vorfeld Kritik, Kritik an der Entscheidung, die Malediven als offizielles Partnerland einzuladen – ein Land, das die Menschenrechte wenig achtet, von islamistischen Politikern regiert und kontrolliert wird und in dem die Einnahmen durch den Tourismus nur wenigen zugutekommen. So und noch deutlicher haben sich internationale Menschenrechtsorganisationen zur Entscheidung der ITB geäußert.
Über die Frage, wie ethisch Tourismus überhaupt sein kann, wollen wir jetzt mit Professor Harald Armin Friedl sprechen. Er forscht und lehrt an der Fachhochschule Joanneum in der Steiermark zu den Themen Nachhaltigkeit und Ethik. Schönen guten Morgen, Herr Friedl!
Harald Armin Friedl: Guten Morgen, Herr Kassel, danke für die Einladung!

Auch Dubai ist ein problematisches Reiseziel

Kassel: Können Sie denn diese Kritik an der Entscheidung der ITB, die Malediven in diesem Jahr zum Hauptpartnerland zu machen, nachvollziehen?
Friedl: Na ja, man muss schon sagen, dass die ITB natürlich als weltgrößte Tourismusmesse in erster Linie ein zentrales Ziel hat, nämlich Träume zu verkaufen. Und dazu eignet sich wenig besser als die Malediven, weil es eine Projektionsfläche ist für eben Fantasien, exotische Träume und dergleichen. Und es sind eben viele Reiseziele generell wenig daran orientiert, ob es der Bevölkerung besser geht, ob das Umweltfolgen hat, sondern meistens daran, ob es für ein zahlendes Publikum eben entsprechende Reize gibt.
Es sind die Malediven als Reiseziel in vielerlei Hinsicht tatsächlich problematisch und insofern ist es gut, dass das thematisiert wird, dass dies diskutiert wird, dass Menschenrechtsverletzungen oder Benachteiligungen von Bevölkerung, von Mitarbeitern nicht einfach toleriert wird. Ich muss allerdings hinzufügen, dass die meisten Reiseziele, die absolut hip sind – Dubai etwa – genau nach demselben Prinzip fungieren. Also finde ich es wichtig, dass diese Kritik weiter betrieben wird und dass das nicht einfach so als Selbstverständlichkeit hingenommen wird, aber …

Nachhaltiger Tourismus in Myanmar

Kassel: Wenn man aus Ihrer Sicht an den Reisenden denkt, der natürlich dann irritiert ist – Sie haben Dubai erwähnt, die Malediven, wenn wir fair sind, könnten wir jetzt wahrscheinlich eine Minute füllen mit weiteren Beispielen –, …
Friedl: Ganz genau.
Kassel: … sollte man dann wirklich als Reisender sagen: Ich mische mich da gar nicht ein, ich fahre da grundsätzlich nicht hin? Weil, dann lautet ja immer das Gegenargument: Man kann durch Tourismus auch Veränderungen herbeiführen, wenn es keinen gibt, gibt es auch diese Veränderung nicht?
Friedl: Das ist eine alte Diskussion. Es gibt ein sehr schönes Beispiel anhand dessen das sehr intensiv und sehr lange diskutiert wurde und wo es sich sehr zum Besseren verändert hat, das ist das Beispiel Burma und Myanmar. Dort gab es eine äußert menschenrechtsfeindliche, diktatorische Regierung und dort wurden aber viele Projekte gemacht und eben aktiv konstruktiv eingewirkt. Und mittlerweile hat diese Regierung eben auch einen Schwenk vollzogen.
Es gibt integrative, also partizipative Projekte auch im Tourismus, es gibt so einen Kollegen, der Kollege Baumgartner, der eben auch sehr stark im nachhaltigen Tourismus engagiert ist und der sehr viel in Birma oder Burma gemacht hat, in Myanmar.

Regimeangehörige machen oft "dicke Kasse"

Das heißt wie so oft im Leben, man kann es nicht einfach so über den Kamm scheren, sondern man muss sagen: Wenn es hier entsprechende Einflüsse gibt und wenn hier eben auch Beiträge geleistet werden können, dann ist das ein Beitrag zur Veränderung des Systems.
Nur sollte man sich halt als Reisender schon vorher überlegen: Ist das jetzt ein Hotel, das jetzt einfach irgendeinem großen, reichen Regime-Angehörigen gehört, der auf die Weise dicke Kasse macht, oder sind es tatsächlich Tourismusprojekte, bei der die Bevölkerung bestmöglich eingebunden ist, bei der möglichst Umweltkriterien berücksichtigt werden? Und das ist eben die Herausforderung und das ist aber auch möglich.
Kassel: Aber das Schwierige ist doch auch gerade bei dem, was Sie gesagt haben: Selbst wenn ich jetzt in ein Land fahre, wo ich weiß, das ist nicht ein dubioser Geschäftsmann, der mein Geld bekommt, das kommt wirklich der Wirtschaft des Landes zugute, gibt es immer noch das Problem, es gibt oft hohe Einnahmen durch den Tourismus, das scheint erst mal sinnvoll, aber es gibt oft eben auch einen enormen Ressourcenverbrauch aus dem Grund!

Luxustourismus hilft der Lokalbevölkerung nicht

Friedl: Natürlich, das ist die berühmte Sickerquote. Gerade wenn man Luxustourismus macht, dann werden hier die meisten Güter natürlich importiert. Darüber freut sich wiederum Deutschland und auch viele andere westliche Staaten, die natürlich diese Resorts dann mit Baumaterialien, mit Luxusgütern beliefern. Also, wir leben ja in einer global vernetzten Wirtschaft.
Aber um Ihnen ein konkretes Beispiel zu geben: Das ist jetzt keine Währung mehr, denn es ist eh vorbei, aber ich habe sehr lange Reiseleitungen in der Zentralsahara gemacht, vor allem in Algerien, und habe dort eben mit lokaler Bevölkerung Treckingtouren in der Sahara durchgeführt. Das heißt, da hat direkt die Bevölkerung, die nomadische Tuaregbevölkerung davon profitiert, die haben ihre Kamele einsetzen können, es ist einfache, aber schmackhafte Nahrung verwendet worden, auch weitestgehend aus der Region.
Auf die Weise ist die Wirtschaft gestärkt worden und dadurch eben die soziale Stabilität. Es war mit geringstmöglicher ökologischer Auswirkung verbunden. Und es ist insgesamt ein äußerst entspannender und stärkender Tourismus, sodass die Leute dann zurückkehren wirklich mental aufgeladen. Also im Grunde genommen haben alle davon profitiert und es ist sehr viel Geld in der Region geblieben.

Der Rucksacktourist ist nicht unbedingt der bessere Reisende

Kassel: Es gibt aber auch Menschen, die sagen, dass diejenigen, die nicht einfach in ein Resort gehen und einfach nur Sonne und Meer haben wollen, sondern die halt sagen, ich will das Land wirklich kennenlernen, ich will die Menschen wirklich kennenlernen, dass die auch nicht immer alles besser machen. Der berühmte Rucksacktourist, der ins letzte Dorf am Ende des Urwalds noch geht, dem wird ja gerne, wenn er nicht mehr alleine kommt, vorgeworfen, na ja, der guckt sich etwas an, was auch durch seine Schuld dann bald nicht mehr so ist, weil sich durch den Tourismus dann auch die Kultur verändert.
Friedl: Da haben Sie vollkommen recht. Also, man kann keineswegs einfach sagen, ja, der elitäre Tourist, der abseits der Wege ist, dass der unbedingt der bessere ist.
Letztendlich, wenn man es auf den Punkt bringen will: Es kommt immer darauf an. Es kommt darauf an, wie sind Resorts organisiert, wenn die umwelt- und sozialverträgliche Baumaterialien verwenden, eben die regionale Bevölkerung eingebunden haben … Und das kann man zum Beispiel – so als Faustregel – oft anhand von Gütesiegeln beurteilen. Das ist nie eine Garantie, aber es ist zumindest ein Indiz dafür, dass die sich eben gewissen Kriterien unterworfen haben und dass sie zumindest etwas besser sind als andere.
Und umgekehrt wiederum hängt es eben, wenn man jetzt mit dem Rucksack unterwegs ist, so wie ich, wenn ich allein unterwegs bin, meistens reise, hängt es halt auch davon ab, wie man sich aufführt.
Denn letztlich, es gibt ja nicht den besseren Reisenden – also sozusagen den kulturell und … besser Angepassten –, sondern jede Form von Reise ist letztendlich eine Umsetzung von einer ganz eigenen Reisekultur, die eben der entsprechenden Schicht entspricht. Das heißt, wenn eben jemand eher, was weiß ich, der Oberschicht angehört, dann wird er halt, was weiß ich, Kulturreisen unternehmen. Und wenn jemand eben, was weiß ich, eher studentisch ist, dann wird er halt beweisen, wie supertoll er ist, und wird eben mit dem Rucksack durch die Gegend ziehen. Aber dort treffen sich ja dann wiederum nur die Leute aus dem eigenen Milieu.

Respekt für die Menschen vor Ort

Also, das sind Rituale, die aber eben auch dazugehören. Konkret geht es darum, das sind die Faustregeln: Bleibt möglichst viel Geld in der Region, behandele ich die Menschen vor Ort ganz einfach so, wie ich hier auch behandelt werden möchte …
Kassel: Nennen wir es respektvoll einfach!
Friedl: Ganz genau. Wenn wir von den Migranten verlangen, dass die sich auch einigermaßen den österreichischen, deutschen Regeln anpassen sollen, dann müssen wir uns die Frage stellen: Machen wir das, wenn wir irgendwo in einem arabischen Land sind und dort in Shorts herumrennen?
Kassel: Oder machen wir das generell auch irgendwo sonst auf der Welt … Herr Friedl, wir müssen es an dieser Stelle belassen! Ich finde aber das, was Sie jetzt zum Schluss gesagt haben, doch noch recht tröstlich, ich nehme daraus was mit: Man kann nicht alles richtig machen, aber wenn man sich ein paar Gedanken macht, kann man trotzdem mit gutem Gewissen reisen! Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Friedl: Ich danke Ihnen ganz vielmals! Danke, Wiederhören!
Kassel: Schöne Grüße in die Steiermark! Der Tourismusethiker Harald Armin Friedl war das in Deutschlandradio Kultur.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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