Innsbrucker Festwochen

Ein Ariencocktail, der besoffen macht

Rote Theaterstühle
Opernkomponist Nicola Porpora war bedeutend für seinen Schüler Haydn. © picture-alliance / dpa-ZB / Patrick Pleul
Von Dieter David Scholz · 12.08.2015
Die 39. Innsbrucker Festwochen der Alten Musik erweisen sich wieder einmal als Ort von Opern­ausgrabungen. So war erstmals seit der Uraufführung 1732 die Oper "Il Germanico" des neapolitanischen Komponisten Nicola Porpora szenisch und komplett zu sehen.
Nicola Porpora war die maßgebliche Instanz des Kastratengesangs im 18. Jahrhundert. Er war nicht nur gefeierter Opernkomponist in Neapel, sondern auch in Venedig. In London war er zeitweise der gefeierte Konkurrent von Händel, auch am sächsischen Hof in Dresden feierte er Triumphe, und in Wien, wo er der Lehrer Haydns war. Ohne die grundlegende Ausbildung bei Porpora wäre Haydn sicher kein so guter Opernkomponist geworden. Last but not least: Porpora hat die großen Kastraten ausgebildet, sein berühmtester Schüler war Farinellli.
Die Handlung der vergessenen Oper "Il Germanico" findet sich in keinem Opernlexikon: Es geht um die Folgen der Varusschlacht im Jahre 9 nach Christus, in der bekanntlich die Römer vernichtend geschlagen wurden. Fünf Jahre später setzt die Oper ein. Rom sinnt unter Leitung seines Befehlshabers Germanico auf Rache. Erzählt wird eine Geschichte von kalten Politikern und emotionsgeladenen Idealisten, von Imperialismus und nationaler Identität.
Klerikale Geschichtsklitterung
Zugleich ist die Oper aber auch ein Kammerspiel über einen Tochter-Vater-Konflikt und eine Liebesbeziehung, also eine typisch barocke Mischung. Es gibt ein "lieto fine", ein gutes Ende, denn der germanische Befehlshaber Arminio bietet dem römischen seine Freundschaft an. Mit der historischen Realität hat das nichts zu tun. Es ist optimistische Geschichtsklitterung aus dem Geist des Klerus, dem der Librettist Niccolò Coluzzo angehörte. Gewidmet war die Oper dem musikliebenden römischen Kardinal Ottoboni.
Alexander Schulin hat auf alle sich anbietenden Aktualisierungen verzichtet und entlarvt stattdessen Porporas "Germanico" als barockes Lehrtheater, indem er das Stück in einem barocken, quasi antiken "römischen" Portal spielen lässt, das Alfred Peter auf die Drehbühne stellte. Es erinnert an das Teatro Farnese in Parma. Vorder- und Rückseite der Theaterkulissen werden bespielt. Man trägt barocke Kostüme und Perücken. Auch der auf der Bühne anwesende Klerus, der die Handlung mit Argusaugen verfolgt. Dieses Theater auf dem Theater verweist auf die Entstehungsgeschichte des Librettos, aber auch auf die Differenz von politischem Traum und Wirklichkeit.
Farbige und effektvolle Musik
Alessandro de Marchi, der künstlerische Leiter des Festivals, hat diese Oper auch musikalisch glaubwürdig reanimiert. Das neapolitanische Temperament dieser Musik liegt ihm. Er kostet den überschäumenden Reichtum dieser farbigen und effektvollen Musik aus. Seine Accademia Montis Regalis ist in Bestform. Trotz einer Kürzung um eine halbe Stunde dauert die Aufführung viereinhalb Stunden, aber sie lohnen sich. Es handelt sich schließlich um einen so kurzweiligen wie "hochprozentigen", geradezu besoffen machenden Ariencocktail.
Als das Stück in Rom uraufgeführt wurde, galt noch das päpstliche Verdikt, dass Frauen in der Heiligen Stadt nicht auf der Opernbühne aufzutreten haben. Bei der Uraufführung wurde ausschließlich von Männern (Kastraten) gesungen. In Innsbruck wird die Oper natürlich mit gemischter Besetzung gegeben. Den Feldherrn Germanico singt die Mezzosopranistin Patricia Bardon. Rosmonda, die Gattin des germanischen Feldherrn wird von Klare Ek gesungen. Beide sind großartig und singen die Männer (die Countertenöre David Hansen und Hagen Matzeit) regelrecht an die Wand. Vielleicht hätte man - nicht nur als späte Rache an Papst Clemenz XI. - gleich alle Partien mit Frauen besetzen sollen.
Ein großer Abend für alle Freunde der Barockoper. Ein Opernjuwel wurde ausgegraben. Es ist an der Zeit, den Opernkomponisten Porpora wiederzuentdecken, der schließlich 37 Opern komponiert hat. Man kann nur hoffen, dass von Innsbruck Impulse für eine Porpora-Renaissance ausgehen.
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