Inga Humpe zum 60. Geburtstag

"Das Leben ist nur ein Moment, genieß' ihn!"

Inga Humpe, Sängerin der Gruppe 2raumwohnung; Aufnahem vom August 2013
Inga Humpe, Sängerin der Gruppe 2raumwohnung; Aufnahem vom August 2013 © picture alliance / ZB
Von Martin Risel · 13.01.2016
Spätestens seit Anfang der 90er-Jahre kennt man sie als Sängerin der Band 2raumwohnung. In den vergangenen Jahrzehnten war Inga Humpe aber auch als Komponistin, Remixerin, Filmmusikerin und Produzentin für andere tätig. Heute wird sie 60 Jahre alt.
Seit ihrem ersten Hit 1983 düst Inga Humpe im Sauseschritt durch die deutsche Poplandschaft. Seit 40 Jahren lebt sie – ausgenommen ein paar Jahre vor dem Mauerfall – in Berlin. Geboren und aufgewachsen ist sie mit ihrer älteren Schwester Anette im Ruhrgebiet und im beschaulichen Bad Pyrmont. Zusammen geschrieben haben sie auch diese Nummer für Udo Lindenberg:
"Ein Herz kann man nicht reparieren …"
Ihre vieldeutigen Texte changieren in dieser unverwechselbaren Mischung aus grenzenloser Naivität und ebensolcher Lebenserfahrung. Voll Leichtigkeit und Lebensfreude, aber auch irgendwie intellektuell und feministisch:
"Ich bin Inga Humpe und ich erzähle hier über ein Buch, was mich sehr geprägt hat – von Simone de Beauvoir: 'Sie kam und blieb'. Ich hab das so mit 20 gelesen, es ist in den 70ern rausgekommen. Dieses Buch hat meine Welt wirklich verändert und ich hab mich da so drin gefunden und alles, was ich mir so an Idealen vorstellen konnte, wie man die Welt verbessern würde, wie man ehrlicher sein würde, wie man freier sein würde – alles das ist eigentlich in diesem Buch."
Sie trafen sich einst in einem Garten und bezogen dann eine gemeinsame Zweiraumwohnung. Tatsächlich haben Inga Humpe und Tommi Eckart in Berlin-Mitte einige Zimmer mehr. Und von da aus produziert das Pop-und Privat-Paar seit 25 Jahren immer wieder neue lebendige Lieder aus dem Biotop des Biopop.
Deutscher Elektropop: Schlicht, ergreifend, clubtauglich
Die Zweiraumwohnung öffnete Türen für ganz neue deutschsprachige Klänge. Deutscher Elektropop: schlicht, aber ergreifend und vor allem clubtauglich. Nur im Radio wurde ihre Musik anfangs kaum gespielt, wie Inga Humpe 2004 auch bei einer Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien des deutschen Bundestags berichtete:
"Die Musikredakteure kommen zu uns und sagen: Sie haben ein wunderbares Album gemacht, aber das tut mir leid: Ich kann das leider nicht spielen, weil unsere Hörer wollen das nicht."
Dabei hatte sie zur eigenen Vermarktung und zur Förderung junger Talente - und ganz antizyklisch zur damaligen Pleite vieler Plattenfirmen - eine eigene gegründet. Bei IT Sounds in Osnabrück erscheinen seitdem die inzwischen sieben Alben der 2raumwohnung mit Humpes heiser hauchender Mädchenstimme.
"Besser geht’s nicht, das soll man nicht missverstehen. Damit wollen wir nicht sagen: Ey Alter, wir sind so geil, besser kann’s keiner. Das meinen wir nicht. Sondern genieß jeden Moment. Es gibt ja keine Vergangenheit und keine Zukunft, das findet alles nur im Kopf statt. Versuch überhaupt die Gegenwart mal zu erwischen, das Leben ist nur ein Moment."
Eine nahezu alterslose Erscheinung
Wer ihr begegnet ist, wird das verstehen: Es sind nicht nur solche Gedanken, es ist vor allem die nahezu alterslose Erscheinung der Inga Humpe, dieser kleinen schmalen Person mit ihren rotgelockten Haaren und den immer so melancholisch-verträumten und freundlichen Augen – es sind diese Dinge, die ein Datum wie ihren 60. Geburtstag heute als absolut unbedeutend erscheinen lassen.
Wie sie das schafft? Vielleicht so:
"Also Entspannung kann sowieso nie schaden. Ich glaube, sogar Blumen lieben Entspannung. Und ich entspann' mich auch so oft es geht zwischendurch."
Aber dann ist da ja auch noch die Musik. Die kleine Grande Dame der 80er Neuen Deutschen Welle hat immer wieder neue Trends geprägt statt anderen hinterher zu laufen, hat neue Sounds mit erfunden. Für Filme, für Kinder, für vieles – und immer mit einem Bein auf dem Dancefloor.
"Ja, also ich find Musik sehr funktional. Musik kann ja auch sehr viel geben, wir machen ja auch so durchaus Tanzmusik. Ich mag das – funktionale Musik."
Aber wer da an Fahrstuhlmusik denkt, liegt falsch. Humpe predigt nicht die reine Unterhaltung, die der Ökonomie dienende Kunst. Sondern eher eine Fortführung der musique concrète, des Ambient-Sounds – ohne Berührungsängste mit dem reinen Pop, aber immer mit dem Mut zur Innovation.
"Mir ist das doch im Nachhinein vielleicht wichtig, dass man was Neues probiert immer wieder und dass man Musik als ne Art lebendige Geschichte sieht, die man weiter entwickeln kann."
Und die Inga Humpe nun schon seit 35 Jahren weiter entwickelt. Mit diesem merkwürdig homogenen Kontrast zwischen nah und fern: Songs von besonderer Intimität mit in die Ferne dahinschwebenden Gedanken und Arrangements. Spirituelle Partymusik jenseits von Zeit und Lebensalter.
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