Indien

Wie der Jazz nach Goa kam

Angelegtes Boot bei Rajbagh in Goa
Angelegtes Boot bei Rajbagh in Goa © picture alliance / dpa / Bill Wassman
Von Stefan Müller  · 16.07.2015
Bis 1961 war Goa portugiesische Kolonie. Aus dem musikalischen Erbe der Kolonialmacht gemixt mit der indischen Variante von Jazz entstand die spezielle Form der Konkani Musik. Auf dem Festival "Wassermusik" in Berlin wird diese vorgestellt.
"Taj Mahal Foxtrot" von Cricket Smith & The Symphonians, aufgenommen in den 30er Jahren in Indien. Damals waren Musiker aus Amerika eingeladen worden, um in den Hotels für betuchte Kunden zu spielen, vor allem in der Luxusherberge "Taj Mahal" in Bombay.
Zaungäste waren aber auch indische Musiker aus der damaligen portugiesischen Kolonie Goa, sie waren schnell fasziniert von diesen Klängen – und hatten den sehnlichen Wunsch, mitzuspielen. Der Journalist Naresh Fernandes hat diese Geschichte für sein Buch "The Story of Bombays Jazz Age", recherchiert und berichtet darüber auch auf dem Festival:
"Das waren anerkannte Musiker aus Amerika, die den lokalen Kollegen aus Goa im Prinzip beigebracht haben, wie man Jazz spielt. Das hat mich interessiert!"
Der Traum der einheimischen Musiker, bei den Jazzbands mitzumischen, hat sich in der Folgezeit immer häufiger erfüllt. Schon in den 1940er-Jahren waren indische Musiker in der Lage, die Standards aus dem American-Jazz-Reelbook zu spielen und damit auf Tour zu gehen. Einer davon: der aus Goa stammende Trompeter Chic Chocolate. Der "indische Louis Armstrong" hat auch eigene Stücke komponiert.

Portugiesisches Erbe, amerikanischer Jazz

Goa, Indiens kleinster Bundesstaat, war bis 1961 eine offizielle Kolonie von Portugal. Mit allem, was dazugehört: Katholischer Glaube, von oben verordnet, aber auch Musik und Rhythmen, die vollkommen anders geklungen haben als jene in den früheren britisch-indischen Kolonien.
"Lisboa ist ein Song von Chris Perry, den er für Lorna geschrieben hat. Kommt ja spanisch daher, flamencomässig, Thema ist Lissabon. Es geht darum, dass der Mann der Sängerin, also der Frau, in Lissabon ist und sie träumt davon, dass der Mann zurück kommt und sie eines Tages mit nach Lissabon nimmt".
Sigrid Pfeffer ist Spezialistin für die Musikszene von Goa und hat mehrere Programmpunkte für das Festival "Wassermusik" konzipiert. Darunter auch eine Filmpremiere über eben jenes musikalische Traumpaar aus Goa, Trompeter Chris Perry und Sängerin Lorna. "Lets Dance to the Rhythm" erzählt nebenbei aber auch die Geschichte dieser ganz besonderen Konkani-Musik, beginnend im Jahr 1964, drei Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit.
Sigrid Pfeffer: "Der Film ist einerseits eine Liebesgeschichte zwischen Chris Perry und Lorna- und andererseits eine Hommage an all die anderen goanischen Musiker, die in Bombay gelebt und gearbeitet haben - tagsüber in der Filmindustrie, wo sie einen wesentlichen Beitrag geleistet haben zur Entstehen der legendären Filmsongs. Und die aber auch abends in den Nachtclubs der großen Hotels Jazz gespielt haben".
"Für die Musiker war klar: Jazz gab ihnen Freiheit der Ausdrucksmöglichkeiten. So konnten sie improvisieren, was sie von der anderen westlichen Musik, die sie gelernt hatten, so nicht kannten. Sie realisierten aber auch, dass es durchaus Parallelen gab zu klassischer indischer Musik. So lag es nahe, diese beiden Felder zusammenzubringen."

Einflüsse aus dem 16. Jahrhundert

Heute sagt man Mash-Up zu solch ungewöhnlichen Stilmixturen. In Goa ist eine solche Bricolage von Stilen und Einflüssen fast schon naturgegeben. Konkanimusik hat sich aus den Cantaras entwickelt, den Liedern, die einst im Theater gespielt worden waren. Die Einflüsse reichen zurück bis ins 16. Jahrhundert, als Portugals Seeflotte Goa erobert hatten. Christliche Missionare wollten über die Musik die Hindu-Bevölkerung erreichen. Noch einmal Sigrid Pfeffer:
"Die Musik aus Goa unterscheidet sich von anderen indischen Regionen dadurch, dass sie verschiedene Traditionen hat. Sowohl westliche als auch hinduistische, die sich im Lauf der Jahrhunderte auch miteinander vermischt haben. Und es entstanden neue Varianten religiöser, populärer und auch volkstümlicher Musik. Viele lassen aber die hinduistische Vergangenheit zumindest erahnen oder erkennen."
Musik, die es nicht oft hierzulande zu hören gibt. Die ehemalige portugiesische Kolonie Goa tickt anders. Das gilt es zu entdecken.

Info: Das Festival "Wassermusik" im Berliner Haus der Kulturen der Welt hat in diesem Jahr den Schwerpunkt "Mother India". Eröffnet wird das Festival mit einem Konzert des Bombay Connection Orchestra. Es werden sogar Paddeltouren angeboten, so dass man mit dem Kajak zum Konzert kommen kann.

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