Implantate

Fluch und Segen eines künstlichen Gelenks

Ein Besucher betrachtet ein Hüftgelenk aus Titan in einer Ausstellung in Hamburg.
Ein Hüftgelenk aus Titan © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Elmar Krämer · 25.06.2015
Deutschland ist einer der Spitzenreiter, wenn es um den Einbau von Kunstgelenken geht. Doch der Weg eines Patienten bis zum Einsatz eines künstlichen Gelenks ist oft lang, schmerzhaft und nicht selten mit Komplikationen verbunden.
Ulrich Burkhardt: "Also der Sport war für mich immer schon ein dominierendes Thema in meinem Leben, ich habe schon mit zwei Jahren angefangen zu segeln, mit fünf Jahren bin ich dann in eine Leichtathletik-Gruppe und mit sieben bin ich meine erste Deutsche Meisterschaft gelaufen. Danach hab ich dann Beachvolleyball gespielt, Volleyball, Speedminton gespielt, Squash und segeln tue ich immer noch. Ich bin der Uli Burkhardt und ich habe vor drei Jahren eine künstliche Hüfte bekommen."
Günter Hallas: "Nach dem Röntgen war zu sehen, dass eine Stelle Knochen an Knochen war und dass ick operiert werden musste. Ick denke, das kann doch nicht wahr sein, ich wiege doch noch 62 Kilo, ick hab ja kein Übergewicht, wie kann das passieren? Und da hatt ich doch irgendwie Manschetten so ein bisschen, ja. Mein Name ist Günter Hallas und ich laufe immer noch Marathon, nach meiner Hüftoperation."
Die Patienten sind jünger geworden, und auch im Alter noch äußerst aktiv. Lebenswirklichkeiten haben sich verändert. Somit sind auch die Ansprüche an die Prothesen gestiegen: Marathon, Tennis, Kampfsport, Skifahren – aktiv Sport treiben und das mit einem künstlichen Hüftgelenk, bis ins hohe Alter.
Hallas/Burkardt: "Da hat ick doch bisschen Angst gehabt, dass das nie mehr was wird mit dem Laufen. Meine größte Sorge war eigentlich gar nicht, dass ich da die OP nicht überstehe, weil ich dachte, ich bin ja fit sonst, was soll da sein, sondern kann ich danach wirklich wieder Sport machen, weil diese Frage konnte mir eigentlich tatsächlich keiner berichten, also im Krankenhaus wollten die da alle keine Aussage geben. Das war natürlich auch so ein Punkt, wo ich dachte, na halt mal, ich bin 45, also dacht ich, dass kann jetzt nicht sein, ich will jetzt noch weiter meinen Sport machen, zumindest in gewissem Maße – und das war meine größte Angst."
Hunderttausende künstliche Gelenke
Über 200.000 künstliche Hüftgelenke werden pro Jahr in deutschen Krankenhäusern eingebaut, rund 150.000 künstliche Kniegelenke. Dazu kommen noch um die 40.000 Wechseloperationen aufgrund von Lockerungen, Infektionen oder Materialpannen.
"Von operativer Seite ist es die rechte Seite, die ist markiert, das ist richtig, die Röntgenbilder gehören der Patientin."
Waldkrankenhaus, Berlin-Spandau: Ein OP-Saal an einem Dienstagmorgen. Kaltes Licht beleuchtet die Szenerie. Auf einem Monitor Röntgenbilder. Displays zeigen Puls und Blutdruck, die Sauerstoffversorgung, Parameter, die den Zustand der Patientin überwachen. Prof. Ulrich Nöth, Chefarzt Orthopädie und sein Team machen sich bereit für die erste Operation des Tages: Den Einbau eines künstlichen Hüftgelenks, einer Total-Endo-Prothese, abgekürzt Hüft-TEP.Beim sogenannten Team-Time-Out wird, wie im Cockpit eines Flugzeugs vor dem Start, eine Checkliste abgearbeitet. Die Ärzte kontrollieren den Zustand des Patienten und die OP-Planung:
"Die Prothesenplanung ist vorhanden, für eine zementfreie Versorgung an der Pfanne und an der Hüfte, die Operationsdauer beträgt ca. 45 Minuten, Blutverlust ist ca. 500 ml. Insofern können wir anfangen, Messer!"
Jede Operation birgt ein gewisses Risiko und die Angst vor dem Eingriff ist bei den meisten Patienten groß: Immer wieder hört man Berichte von Komplikationen beim Einbau, brechendem Material, sich lockernden Prothesen und von schädlichem Abrieb, der die Körper von innen vergiftet. Viele Patienten schieben die OP so lange hinaus, bis sie sich nicht mehr vermeiden lässt. Voraus gehen: Sich langsam verstärkende Schmerzen, eine massive Einschränkung der Lebensqualität und oft eine Odyssee von Arzt zu Arzt, bis die Diagnose "Hüftarthrose" überhaupt erst einmal steht.
"Na ich hätt gesagt kurz nach dreißig hatte ich schon diffuse Schmerzen, ich hätt gesagt im Rücken irgendwie seitlich an den Beinen oben, im Gesäßbereich, ich konnte es überhaupt nicht zuordnen."
Ulrich Burkhardt, Jahrgang 1966, Sportler, Speed-Badminton Spieler:
"Nach zehn Jahren nicht Wissens, was mir denn da weh tut, hab ich mal speziell auf Hüfte untersuchen lassen und dann wurde ein CT gemacht und das war ein niederschmetterndes Ergebnis. Also da war diese höchste Stufe der Arthrose. Ich glaube Stufe drei oder wie das heißt, also auf gut deutsch: kaputter geht’s nicht – da dacht ich, das war es jetzt. Jetzt 45 ist ja auch schon für einen Sportler eher schon fortgeschritten und dann hab ich gedacht, dann befreunde dich schon mal mit dem Gedanken, dass du den Leistungssport oder zumindest den Extremsport den ich so mache, die Sportarten, dass ich die nie wieder machen kann. Das ist definitiv, in dem Moment war das für mich so und das war extrem schwer und da war ich sehr depressiv drauf."
Ulrich Burkhardt spielte Beachvolleyball, Squash und Speed-Badminton, immer mit dem Ehrgeiz, Turniere zu gewinnen. Der Sport bestimmte sein Leben – mehrmals in der Woche trainierte er bis zur Erschöpfung, an den Wochenenden stand er bei Wettkämpfen auf dem Platz. Ärzte raten ihren Hüftpatienten von derartigen Sportarten ab und empfehlen stattdessen Radfahren, Nordic-Walking oder Aqua-Fitness. Also Sportarten, bei denen die Gelenke zwar bewegt, die Belastung aber gering ist und gleichmäßig und kontrolliert stattfindet. Für Leistungssportler wie Ulrich Burkhardt ist Aqua-Fitness und Nordic-Walking aber keine Alternative – er macht trotz Schmerzen so gut es geht weiter, doch die Einschränkungen werden immer größer:
"Ich konnte meine Knie im Sitzen nicht mehr zusammenbringen, d.h. über die Bewegungseinschränkungen, die ich hatte, die waren erheblich auf der linken Seite, also auf der Seite, auf der die Hüfte kaputt war, so dass ich auch im Sport deutlich eingeschränkt war in meinen Bewegungsmustern."
In einem gesunden Gelenk wirken Knorpel wie Stoßdämpfer. Sind diese Knorpel geschädigt oder aufgelöst, reiben Knochen auf Knochen und ihre Struktur verändert sich. Es kommt zu schmerzhaften Entzündungen. Man spricht von Arthrose, in unterschiedlichen Stadien.
"Frühstadium: Die Knorpeloberfläche rauht auf und bekommt Risse. Der Knochen unter der geschädigten Knorpelschicht verdichtet und verhärtet sich. Der Knorpel wird immer dünner, im Röntgenbild sieht man einen deutlich schmaleren Gelenkspalt. Der Patient spürt bei starker oder langer Belastung Schmerzen im Gelenk.
Fortgeschrittenes Stadium: Der Knorpel ist stellenweise verschwunden, Knochen reibt auf Knochen. Knochen- und Knorpelabrieb verteilen sich im Gelenk. Es kommt zu schmerzhaften Entzündungen an der das Gelenk umgebenden Gelenkhaut. Im Knochen können sich Zysten bilden. Im Röntgenbild sieht man Knochen auf Knochen, der Gelenkspalt ist stellenweise nicht mehr vorhanden. Der Patient hat z.B. morgens oder nach langem Sitzen Anlaufschmerzen und deutliche Bewegungs-Schmerzen bei starken oder langen Belastungen. Er nimmt Schonhaltungen ein.
Spätstadium: Der Knorpel ist großflächig verschwunden. Der Knochen deformiert sich. Im Röntgenbild sind knöcherne Auswüchse zu erkennen, die die Bewegungsfreiheit weiter einschränken. Der Körper versucht das Gelenk zu versteifen. Der Patient spürt starke Schmerzen auch im Ruhezustand und nachts."
Ein katastrophales Röntgenbild bedeutet aber nicht zwingend immer auch Schmerzen. So ist es für den Arzt äußerst wichtig, im Gespräch den Zustand seines Patienten herauszufinden. Ulrich Nöth, Chefarzt Waldkrankenhaus Berlin:
"Die goldene Regel für uns als Operateure lautet: Man operiert nicht das Röntgenbild, sondern den Patienten, d.h. es kann durchaus sein, dass ein Patient relativ starke Schmerzen hat, aber am Röntgenbild einen eher milden Befund hat. Und es gibt auch die umgekehrte Situation, dass das Gelenk vollkommen kaputt ist und der Patient relativ wenig Schmerzen hat. Das müssen sie dann individuell mit dem Patienten besprechen, ab und wann ein künstliches Gelenk bei ihm angezeigt ist."
Jeder Patient ist anders, das betont auch Prof. Karl Dieter Heller. Er ist Chefartzt an der orthopädischen Klinik Braunschweig und Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik, einem Zusammenschluss von Ärzten und Wissenschaftlern.
"Die Einschränkung der Lebensqualität ist das Maß aller Dinge. Wenn dies korreliert mit dem Röntgenbild und die konservativen Maßnahmen reichen nicht mehr aus, dann sollte operiert werden. Aber noch einmal der Hinweis, in jedem Fall individuell besprechen."
Arthrose kommt im Alter
Arthrose ist die am häufigsten auftretende Gelenkerkrankung. Die Zahlen steigen mit zunehmendem Alter massiv an. Allein in Deutschland wird von mindestens fünf Millionen Arthrose-Patienten ausgegangen, wobei bei den unter 30 Jährigen nur rund 1,6% betroffen sind, bei den über 60-Jährigen hingegen rund die Hälfte aller Frauen und ein Drittel aller Männer. Die Gründe, an Arthrose zu erkranken sind vielseitig und nicht eindeutig zuzuordnen. Alter, Übergewicht, Fehlstellungen von Gelenken, zu starke Belastung aber auch zu wenig Bewegung sind Faktoren, die eine Arthrose begünstigen. Die Implantation eines künstlichen Gelenks ist der letzte Schritt den ein Patient geht, um etwas gegen jahre- oft jahrzehntelange Schmerzen und Bewegungseinschränkungen zu tun. Bei starker Arthrose kann der Patient die Operation nicht vermeiden:
"Wenn die Schmerzen so stark sind, dass er Schmerzmedikamente einnehmen muss und zwar regelmäßig und die konservativen, das ist ganz entscheidend, die konservativen Therapieoptionen wie Krankengymnastik, möglicher Weise mal eine Spritze ins Gelenk, ausgeschöpft sind. Dann steht die Indikation oder mit dem Patienten zu besprechen, ob ein künstliches Hüftgelenk eingebaut werden sollte."
Im OP-Saal ist alles vorbereitet für den Einbau der Prothese. Teils futuristisch anmutende, winklige Geräte liegen bereit, ebenso eine Art Stichsäge, Hammer und Fräsen, wie in einer Metallwerkstatt oder einer Fleischerei. Durch einen rund acht cm langen Hautschnitt an der rechten Hüfte hat der Orthopäde einen Zugang zum Gelenk eröffnet.
"Das Entscheidende, was sich in den letzten Jahren verändert hat, ist: Minimalinvasiv, muskelschonend. Es geht nicht um den Hautschnitt, die Schicht da drunter ist das Entscheidende. Der Hautschnitt kann auch länger sein. Wichtig ist dass der Hautschnitt an der richtigen Stelle ist und die Muskulatur da drunter geschont wird. Das nutzt nichts, wenn der Hautschnitt klein ist, aber die Muskulatur da drunter geschädigt ist. Minimalinvasiv heißt: Muskeln und Weichteil schonend."
Bei herkömmlichen Operationsmethoden wird die Muskulatur durchtrennt, um einen guten Zugang zum Gelenk zu bekommen. Das kann allerdings zu massiven Problemen beim Patienten führen und den Heilungsprozess nach der Operation deutlich verlängern. Es dauert, bis die Muskulatur wieder zusammengewachsen ist und ihre wichtigen Bewegungsfunktionen übernehmen kann. So wird die Muskulatur beim minimalinvasiven Zugang mit sogenannten Wundhaken nur zur Seite gezogen. Für den Chirurgen bedeutet das allerdings weniger Platz und die Notwendigkeit zum Einsatz von modernem Gerät:
"Und das ist neu. Früher hatte man gerade Instrumente und mit diesen gewinkelten Instrumenten kann man die Prothese optimal platzieren, sozusagen gewinkelt um die Ecke. Und ohne diese Instrumente, diese speziellen Instrumente, kann man Minimalinvasiv durch diesen Zugang von vorne und von der Seite, die Prothese gar nicht einbauen."
Keramik oder Metall
Der Einbau eines künstlichen Gelenks ist nach wie vor ein Handwerk das Übung verlangt. Der Erfolg der Operation hängt auch von der Erfahrung des Chirurgen ab. Ulrich Nöth ist überzeugt: den minimalinvasiven Zugang beherrscht man erst nach rund 150 OPs.
"Aufgrund dieser hohen Lernkurve scheuen einige Operateure diesen Zugang."
Am häufigsten werden Totalendoprothesen eingebaut. D.h. der Oberschenkelkopf wird abgesägt, ein Schaft aus Titan in den Oberschenkelknochen getrieben und darauf ein neuer Kopf befestigt.
"Titan ist das einzige Material, das in den Knochen einwachsen kann. Und so eine Hüftprothese besteht aus einem Titan-Schaft, der in den Oberschenkel eingebracht wird. Als zweite Komponente eine Titan-Pfanne, die in das Becken pressfit eingebracht wird. Und als Gleitpaarung wird dann entweder ein Keramikkopf auf den Schaft aufgesetzt, oder ein Metallkopf und als Gegenspielpartner in die Pfanne ein Polyethylen, ein Kunststoff-Inlay."
Die Entscheidung für Keramik oder Metall ist individuell zu treffen und u.a. abhängig von der Aktivität und dem Alter des Patienten. Jedes Material hat seine Vor- aber auch seine Nachteile. Die Eierlegende Wollmilchsau der Prothesentechnik gibt es leider nicht, auch wenn das gelegentlich den Patienten suggeriert wird. Bei Keramik-Gleitpaarungen besteht Bruchgefahr, bei metallenen beobachtet man deutlich höheren Materialabrieb, der schädlich für den Körper sein kann, auch wenn die Wirkung auf den Organismus noch nicht 100% geklärt ist. Im Februar 2014 berichtet Spiegel-Online unter Berufung auf die Uni-Marburg und eine Veröffentlichung im britischen Medizin-Journal "The Lancet" von einem ungewöhnlich dramatischen Einzelfall:
"Im Jahr 2001 bekommt ein deutscher Bauunternehmer eine künstliche Hüfte mit Keramik-Gleitpaarung. Bei einem Sturz 2010 bricht ein Teil der Prothese. In der notwendigen Wechseloperation werden die Splitter vermeintlich vollständig aus dem Gelenk entfernt und dem Patienten irrtümlich eine Chrom/Kobalt/Molybdän, also eine Metall-Gleitpaarung eingesetzt. Doch kleinste Keramiksplitter bleiben im Gewebe, geraten zwischen Metallkopf und Pfanne und zerreiben die neue Prothese. So kommt es zu ungewöhnlich schnellem und starkem Abrieb. Kobalt gelangt ins Blut – Anzeichen einer Kobaltvergiftung treten auf: Taubheit, Blindheit, Herzprobleme. Dass die Probleme des Patienten auf seine Hüftprothese zurückzuführen sind, erkennt Prof. Jürgen Schäfer von Zentrum für unerkannte Krankheiten der Universität Marburg. Nach einer erneuten Wechseloperation, in der Metall wieder gegen Keramik ausgetauscht wird, geht es dem Patienten deutlich besser – ganz gesund wird er aber nie mehr werden."

Jungen und sportlich aktiven Männern wurde noch vor einigen Jahren häufig ein sogenannter Oberflächengelenkersatz eingebaut, nach ihrem Erfinder Mc-Minn-Prothese genannt. Diese gelten als äußerst luxations, also auskugelungssicher und bieten eine große Bewegungsfreiheit. Außerdem kommt es beim Einbau zu verhältnismäßig wenig Verlust von Knochenmaterial, zumindest am Oberschenkelknochen, da wie bei einer Zahnüberkronung bei diesen Prothesen eine große Titankappe auf den Oberschenkelkopf gesetzt wird, der Oberschenkelkopf also nicht ab gesägt werden muss. Das Gegenstück ist eine Tintanpfanne im Becken. Problem: Metall auf Metall, mit der unsicheren Abriebsproblematik. Auch heute noch werden diese Prothesen eingebaut, obwohl die Zahlen rückläufig sind und etliche Ärzte wie Karl Dieter Heller warnen:
Künstliches Hüftgelenk samt Pfanne
Ein künstliches Hüftgelenk samt Pfanne © picture alliance / dpa / Foto: Felix Kästle
"Wir finden bei bestimmten Kappentypen deutlich erhöhte Chrom, Kobalt und Molybdänwerte im Blutkreislauf, deren Wirkung auf den Organismus derzeit unklar sind, deshalb gibt es auch für Menschen, die mit Kappen versorgt wurden, klare Grenzwerte, bei denen man dringend empfiehlt, die Kappen auszubauen und eine normale Prothese einzubauen. Zusammengefasst sind nach aktuellem Stand, die Kappenprothesen nicht mehr vertretbar, auch wenn einige Kappentypen ohne gravierende Probleme arbeiten."
Anders als bei den Kappen muss beim Einbau einer Totalendoprothese relativ viel Knochenmaterial entfernt werden, denn der Oberschenkelkopf und ein Teil des Knochens werden abgesägt. Um Knochenmaterial zu schonen, wurden sogenannte Kurzschaftprothesen entwickelt, bei denen der in den Oberschenkel getriebene Schaft kürzer ist, als der einer Standartprothese und entsprechend weniger Knochen abgeschnitten werden muss. Kurzschaftprothesen sind vor allem in Deutschland beliebt und werden seit rund zehn Jahren insbesondere bei jungen Patienten eingesetzt. Langzeitbeobachtungen über 20 oder gar 30 Jahre gibt es noch nicht. Auch bei den einzelnen Modellen von Kurz- und Normalschäften gibt es Unterschiede in der Materialzusammensetzung und dem Design, außerdem können sie zementfrei oder, z.B. bei durch Osteoporose porösen Knochen, zementiert eingebaut werden – verwirrend für den Patienten.
Es ist deshalb für Patienten besonders wichtig, den Arzt des Vertrauens zu finden und nachzufragen, wenn man etwas nicht versteht: Welche Prothese wird gewählt? Welche Operationsmethode ist geeignet? Wie ist der Verlauf der OP und der Rehabilitation? Was gilt es vor und nach der Operation zu beachten? Grundsätzlich empfiehlt es sich, die Meinung eines zweiten Arztes einzuholen, auch wenn die Argumente des ersten Arztes überzeugend klingen. Die Zweitmeinung kann entweder eine weitere Perspektive bringen, oder die erste Einschätzung festigen.
Geschäft mit den Prothesen
Der Einbau einer Endoprothese ist ein Geschäft und ein Krankenhaus auch ein Wirtschaftsunternehmen. Sowohl von Krankenkassen, als auch von Patientenorganisationen wird den Unternehmen immer wieder vorgeworfen, zu schnell und zu viel zu operieren.
Für viele ist die Erfahrung anderer Patienten ausschlaggebend, um selbst den Schritt zur Operation zu machen. So war es auch bei Ulrich Burkhardt. Durch starke Schmerzen musste er immer öfter seine Trainingseinheiten abbrechen, oder konnte nur verhalten spielen. Bei einem Straßenfest trifft er dann zufällig einen Bekannten.
"Der ist Tänzer und der hatte schon zwei künstliche Hüftgelenke bekommen und hat gesagt, er kann wieder tanzen. Und da ich ja schon wusste, dass das bei mir auch ansteht, hat mir das den Mut gegeben, anzunehmen, dass das auch bei mir vielleicht so sein könnte, wenn der tanzen kann, mit irgendwelchen extremen Bewegungen im Hüftbereich, dass ich dann doch wohl auch wieder Sport machen könnte, auch wenn ich eine künstliche Hüfte habe. Das war dann für mich der Initialpunkt, an dem ich gesagt habe, jetzt gehe ich an die entsprechenden Stellen, die so etwas machen, und lass mich beraten."
Ein Anhaltspunkt für die Auswahl einer geeigneten Klinik kann Endocert sein, ein Zertifikat, das Kliniken erhalten, die einen Schwerpunkt auf die Endoprothetik legen und regelmäßig die entsprechenden Operationen durchführen – nur dann darf sich ein Krankenhaus Endoprothetikzentrum nennen, erklärt Karl Dieter Heller, der in der Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik aktiv für die Zertifizierung eintritt:
"Durch Endocert werden Strukturen und Abläufe, d.h. Struktur- und Prozessqualität in der Klinik kontrolliert und optimiert. Es gibt einen 50-seitigen Vorgabenkatalog, der erfüllt werden muss, damit man sich Endoprothetikzentrum nennen kann."
Diese Zentren müssen z.B. die verschiedenen Prothesensysteme vorrätig haben, um auch auf Komplikationen schnell reagieren zu können. Außerdem sind die OP-Teams speziell geschult und die Ärzte müssen die Operationen regelmäßig durchführen.
"Der wesentliche Nutzen für den Patienten liegt darin, dass in diesen Zentren der Kollege, der ihn operiert, mindestens 50 Prothesen im Jahr operiert."
Bei der Operation im Waldkrankenhaus sieht es gut aus – Prof. Nöth ist zufrieden mit dem Fortschritt, alles läuft nach Plan:
"Wir haben jetzt die Gelenkkapsel entfernt und schauen schon auf den Schenkelhals und der wird jetzt mit einer Säge durchtrennt. Dazu muss man in einem vorgegeben Winkel den Knochen durchtrennen."
Der kaputte Oberschenkelkopf wird entfernt. In den Oberschenkelknochen wird später der Schaft gehämmert, auf dem der künstliche Gelenkkopf sitzt. Sein Gegenstück ist die künstliche Hüft-Pfanne, in die ein Einsatz aus Kunststoff, Metall oder Keramik geklemmt wird.
"Jetzt schauen sie hier rein, das ist die Pfanne und die wird jetzt mit der ersten Fräse, die sie vorher gesehen haben ausgefräst. Das heißt, wir fräsen jetzt langsam aufsteigend nach oben. Und das ist jetzt dieses Doppel-Offset-Instrumentarium, mit dem sie hier leicht um die Ecke fräsen können, mit einem geraden Instrument, würde das nicht gehen. Das heißt, wir fräsen jetzt die Pfanne auf bis zur geplanten Größe von 50 mm."
Der Chirurg ist äußerst routiniert bei der Arbeit, rund 250 künstliche Hüftgelenke baut er im Jahr ein. Das Waldkrankenhaus ist ein Endoprothetikzentrum.
Für Endoprothetikzentren ist auch die Teilnahme am Endoprothesenregister Deutschland bindend. In Schweden und Finnland gibt es derartige Register schon seit 1979. Das Deutsche Register wurde erst 2014 eingeführt:
"Endoprothesenregister erfassen Daten über eingebaute Prothesen, die Marke und das Modell, ihre Funktionszeiten und eventuell aufgetretene Komplikationen. Muss eine Prothese ausgebaut werden, kann so ein Rückschluss auf die Qualität der Operation und des Materials gezogen werden. Ein Register kann als ein Frühwarnsystem bei Produkten die nicht gut funktionieren angesehen werden. In Schweden und Finnland und auch in Australien und Kanada konnte die Zahl der nötigen Wechseloperationen durch die Register deutlich verringert werden."
Bei der OP in Berlin werden die Verpackungen der Implantate geöffnet – es handelt sich um eine Standartprothese. Prof. Nöth hält die künstliche Hüftpfanne in der Hand:
"Das ist jetzt also das Lager vorgefräst hier. Und hier wird jetzt die Pfanne press fit eingeschlagen. Wichtig ist, dass man die Öffnungswinkel nach außen und nach vorn optimal einstellt, dass der Patient einen optimalen Bewegungsumfang nach der Operation hat und damit die Prothese auch nicht luxieren kann. Es wird jetzt die korrekte Position gewählt (Hämmern) und die Pfanne press fit (Hämmern) eingeschlagen(Hämmern)..."
Im nächsten Schritt wird ein Probeschaft in den Oberschenkelknochen gehämmert. Der erste Test für das neue Gelenk steht an. Die Patientin liegt auf dem Rücken. Der Arzt streckt ihre Beine durch, kontrolliert per Augenmaß und Maßband die Beinlängen.
Nach der OP kommt die Physiotherapie
Forscher am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik haben eine Messmethode entwickelt, mit der dies in Zukunft Computer übernehmen können.
"Ich überprüfe jetzt, ob die Prothese luxiert: Das ist nach hinten nicht der Fall, das ist nach vorne nicht der Fall. Beinlänge ist gleich, wir können also diese Komponenten nehmen – 13er Schaft."
Das Originalimplantat wird nun in den Oberschenkelkopf.
"(Hämmern) An diese Geräusche muss man sich im OP-Saal beim Einbau eines künstlichen Gelenks gewöhnen. Rund 45 Minuten später sitzt die künstliche Hüftpfanne im Becken, darauf ein Kunststoff-Inlay, in dem der Keramikkopf lagert, der auf dem Schaft im Oberschenkel befestigt ist. Somit ist die Operation beendet und wir können jetzt zunähen. Wir haben jetzt hier nur durch eine Muskellücke operiert, es ist kein Muskel verletzt worden, so dass auch der Patient nach der Operation, sofort die Muskeln bewegen kann. Das ist ganz wichtig, besonders für ältere Patienten, dass die früh mobilisiert werden, um das Risiko einer Thrombose und einer Lungenembolie zu minimieren."
Für den Arzt ist damit die Arbeit getan, für den Patienten fängt sie jetzt erst richtig an. In den folgenden Wochen verwächst die Prothese mit dem Knochen. Der Patient muss sich vorsichtig bewegen, Muskulatur, Sehnen und Bänder müssen sich an die neue Situation anpassen.
Als Ulrich Burkhardt seine OP hinter sich hat, die Ärzte ihm sagen, wie wichtig jetzt Bewegung ist und es im Krankenhaus mit der Physiotherapie losgeht, ist er fast nicht mehr zu bremsen.
"Ich hab dann trainiert wie ein Verrückter, also schon im Bett, weil ich dachte, je schneller ich das mache, desto schneller bin ich wieder auf den Beinen, weil ich bin einfach so ein Bewegungsverrückter und das macht mich krank, wenn ich im Bett liege, da im Krankenhaus, allein die Atmosphäre da, das geht gar nicht."
Außerdem hat er ein Ziel vor Augen: Ein Ziel, das Krankenschwestern, Physiotherapeuten und Ärzte irritiert den Kopf schütteln lässt und das auch schon vor der OP.
"Der Termin, den habe ich so gewählt, also das war zwischen Weihnachten und Neujahr, weil in dem nächsten Jahr im Juni die Weltmeisterschaften im Speed-Badminton waren und die wollte ich unbedingt mitmachen. Das habe ich denen dann auch so gesagt. Die dachten, ich will sie verarschen. Die haben mich angeschaut und meinten, also Herr Burckhardt bei allem Respekt vor ihren Plänen, aber ich glaube, davon sollten sie Abstand nehmen. Ich hab gesagt, na gut, wenn sie das so sagen, ich will trotzdem da operiert werden. Ich habe mich davon nicht abhalten lassen, weil ich auch in der Vergangenheit mit anderen Verletzungen die Erfahrung gemacht habe, dass wenn man dann immer nur auf die Ärzte hört – naja, dann mögen die auch schon mal recht haben, aber sie haben nicht immer recht."
Psyche unterstützt Heilungsprozess
Der überzeugte Sportler hat ein gutes Gefühl mit seiner neuen Hüfte, er glaubt an die Prothese und er ist sicher, dass das auch zum Heilungsprozess beiträgt.
"Weil der Körper entwickelt sonst über die Psyche sehr schnell Abstoßungsreaktionen, wenn man sozusagen künstliche Teile im Körper nicht akzeptiert. Das heißt, man muss sich mit ihnen befreunden und das hab ich also getan. Und vielleicht ist das ein Teil meiner relativ schnellen Genesung gewesen, oder bisher zumindest kein Problem damit, weil ich einfach das akzeptiere, jetzt ist es so und ich glaube, das ist wichtig."
Ulrich Burkhardt ist 47, als er mit der neuen Hüfte aus dem Krankenhaus kommt und so wie die Patienten, bei denen es massive Komplikationen gab, ein Sonderfall. Er will nicht in eine Einrichtung, in der er mit andern, meist Senioren, leichte Bewegungsübungen macht, er will hart trainieren und sechs Monate nach der OP bei der Weltmeisterschaft im Speed-Badminton antreten. Die Rehabilitation organisiert er deshalb selbst, streitet sich mit seiner Krankenkasse, muss einen Teil der Kosten selbst übernehmen.
In einer auf Sportlerrehabilitation spezialisierten ambulanten Reha-Einrichtung in Berlin lässt er sich fit machen.
"Jeden Morgen hab ich mir einen Termin gemacht um sieben Uhr und war dann um elf Uhr dort wieder draußen, also jeden Tag vier Stunden und hab dann abends noch mal drei Stunden selber Übungen gemacht."
Den üblichen Weg geht Marathonläufer Günter Hallas, er besucht eine Rehaklinik – fällt aber auch auf: Am liebsten will er sofort aufs Laufband, wovon ihm seine Ärztin anfangs abrät. Schmerzen hat er kaum, weshalb er auch seine Gehhilfen vernachlässigt:
"Die sagte, wo haben sie denn die Gehhilfen? Ick sage, na die sind im Zimmer! Na die holen sie mal schnell. Na dann hab ich die geholt, aber die habe ich eigentlich nur so mitgezogen, weil es mir eigentlich schon sau gut ging. Von Tag zu Tag wurde es besser, und nach einem viertel Jahr dacht ich, du kannst doch schon wieder ein bisschen Joggen, bisschen rennen, was ich auch tat."
Nach einem halben Jahr fühlt er sich wieder fit. Eineinhalb Jahre später steht Günter Hallas, der 1974 den allerersten Berlin-Marathon gewann, bei seinem 36. Berlin Marathon am Start, seinem ersten mit künstlicher Hüfte.
"Vier Stunden und drei Minuten bin ich da gelaufen, war mein schlechtester Lauf – aber keine Probleme gehabt."
Seit dem geht der 73 Jährige wieder regelmäßig Laufen, startet bei Volksläufen und dem Berlin-Marathon. Ulrich Burkhardt steht bei den ersten Weltmeisterschaften im Speed-Badminton in Berlin auf dem Platz und wird sechs Monate nach dem Einbau seiner künstlichen Hüfte Weltmeister in der Klasse Ü-40. Zwei Jahre später verteidigt er den Titel. Zu seiner künstlichen Hüfte hat er volles Vertrauen. Marathonläufer Günter Hallas und Ulrich Burkard trennen rund 20 Jahre, aber sie haben eines gemeinsam: Beide sind zufrieden mit ihren Hüft-Endoprothesen. Die Warnungen der Ärzte, ihr Sport könne zu verfrühter Lockerung der Prothesen und dann nötigen Wechseloperationen führen, ignorieren sie. Man lebt jetzt, sagen sie. Und wer weiß, was in ein paar Jahren medizinisch möglich ist.
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