Hirnforschung

"Musik macht uns widerstandsfähiger"

Moderation: Klaus Pokatzky · 09.12.2013
Schon vor zigtausend Jahren haben unsere Vorfahren musiziert. Der Hirnforscher Eckart Altenmüller ist überzeugt, dass die Musik dem Menschen geholfen hat - unter anderem beim Schutz vor Krankheiten.
Klaus Pokatzky: Die Adventszeit ist Sangeszeit, ist Zeit der Musiken wie nie im Jahr. Gar schauerlich klingen die Weihnachtssongs vom Weihnachtsmarkt, besinnlich-rührend kann es in der Kirche klingen oder da, wo sich vielleicht Arbeitskollegen zum Singen zusammenfinden. Da sind wir Menschen wieder einzigartig. Keine Art hat solche zwei Kommunikationssysteme mit Lauten, die Sprache und die Musik, wie wir, und das schon seit der Steinzeit. Eckart Altenmüller von der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, ist Neurologe, also Hirnforscher, und selbst studierter Flötist. Guten Tag, Herr Altenmüller!
Eckart Altenmüller: Guten Tag, Herr Pokatzky!
Pokatzky: Herr Altenmüller, welche Musik ist für Ihr Gehirn am besten?
Altenmüller: Ach, das wechselt immer wieder. Ich war früher mal ein unglaublicher Verehrer der Beatles und Rolling Stones. Und dann hatte ich mal so eine Bach-Phase, und jetzt im Moment ist es eigentlich mehr so Musik, die mit starken Emotionen einhergeht, zum Beispiel Samuel Barber, Adagio für Streicher, wo man so ein bisschen weinen muss und gleichzeitig so irgendwie sich wohlfühlt dabei.
Pokatzky: Aber jetzt erklären Sie mir mal bitte: Wirken die Beatles anders als Bach auf unser Gehirn?
Altenmüller: Wahrscheinlich nicht. Sondern was entscheidend ist, wie wir die Musik lieben. Also, wie stark uns die Musik berührt, wie stark sie uns emotional anregt, wie stark sie uns insgesamt auch intellektuell anregt. Ob zum Beispiel der Text mich in meinem eigenen Leben betrifft, ob die Harmonien für mich schon einigermaßen bekannt sind. Sie dürfen nicht abgedroschen sein, aber sie dürfen auch nicht vollkommen fremdartig sein.
Pokatzky: Und Sie sagen, die Musik hat im Grunde begonnen in der Steinzeit. Welche Musik hat der Neandertaler gemacht?
Altenmüller: Es gibt ja diese wunderschönen Flöten in Schwaben, die 50.000 Jahre alt sind. Und die hat man rekonstruiert, man kann auf denen spielen, und die haben genau die Tonleitern, die wir auch haben, das heißt also, die haben sogenannte Ganztöne und Halbtöne, man kann also zum Beispiel "Bruder Jakob" auf solchen Steinzeitflöten spielen.
Pokatzky: Aber was haben die gespielt? Können wir uns das ungefähr vorstellen?
Altenmüller: Also das wissen wir nicht ganz genau. Was sie auf jeden Fall gehabt haben, war Tanz dabei. Sie haben mit Sicherheit sich gemeinsam rhythmisch aktiviert, sie haben mit Sicherheit gemeinsam geklatscht, sie haben mit Sicherheit auch gesungen, das war viel älter wahrscheinlich als die Flöten. Und was sie auf den Flöten gespielt haben, man hat Instrumente gefunden, die sind also wahrscheinlich sehnsüchtige Melodien und gleichzeitig haben sie dann aber auch noch Rhythmusinstrumente dabei gehabt.
Es gibt auch alte Schlaginstrumente und sogenannte Schwirrhölzer, das sind also einfache Holzblätter, die man an einem Seil ganz schnell in der Luft dreht, und dann geben die so einen singenden, surrenden Ton.
Musik steigerte das Gruppengefühl
Pokatzky: Das klingt jetzt nach Ritualen. Und das klingt so, als ob da mehr, wenn es jetzt um das soziale Gefüge geht, hinter steckt, als dass der Mensch nur vielleicht dem Vogel abgelauscht hat, was er so an "Musikalischem" von sich gibt.
Altenmüller: Also, das war mit Sicherheit eine der ganz entscheidenden Rollen, die Musik gespielt hat. Ein Ritual – man muss sich ja vorstellen, diese Menschen hatten ein sehr, sehr hartes Leben, die haben immer gefroren, es war nämlich immer kalt. Es war ganz oft sehr dunkel, weil sie eben noch keine Glühlampen hatten. Und sie haben eben auch für ihr tägliches Brot weite Wanderungen unternehmen müssen, sie mussten jagen.
Und da war natürlich abends das gemeinschaftliche Tanzen und Musizieren und Singen und mit den Händen klatschen ein ganz wichtiger Faktor, um eben sich wieder der Gruppe zu versichern und sich wieder geborgen zu fühlen.
Pokatzky: Wenn Musik dazu beigetragen hat, dass sie so enorm zum Gruppenzusammenhalt und damit ja auch zum Funktionieren der Menschen schon in der Steinzeit beigetragen hat, heißt das, dass Musik unsere Art auch so ganz weit nach vorne gebracht hat? Also, haben wir einen enormen Evolutionsvorteil durch die Musik?
Altenmüller: Mehrere Aspekte der Musik waren für uns in der Evolution ein enormer Vorteil. Das erste war schon die Gruppenbindung. Das heißt, wir waren dadurch, dass wir gemeinsam musiziert haben, geschlossener als Gruppe und konnten zum Beispiel Aktionen gegen unsere verfeindeten, konkurrierenden Primatenarten besser synchronisieren und durchführen. Zweitens ist es so, dass die Musik natürlich auch uns resilienter macht, uns widerstandsfähiger macht gegen die ganzen unangenehmen Seiten des Lebens. Gegen Kälte, gegen Krankheit auch, wir können durch Musik zum Beispiel unseren Immunhaushalt stimulieren.
Wir können zum Beispiel beim Chorsingen zeigen, dass Musiker, die singen, eine bessere Schleimhautabwehr haben und sich weniger stark infizieren mit Viren zum Beispiel, mit Grippeviren und so weiter. Und wir können eben auch zeigen, dass Musik insgesamt dadurch, dass es so starke Emotionen auslösen kann, mit Glücksgefühlen uns eben auch in der gesamten Stimmung so stabilisiert, dass wir diese ganzen extrem schwierigen Lebensbedingungen besser bewältigen können.
Pokatzky: Was war denn zuerst? Die Musik oder das, was wir heute unter Sprache verstehen?
Altenmüller: Wenn Sie genau zuhören, wie ich spreche, dann können Sie in meiner Sprachmelodie erkennen, dass da eine melodische Unterlagerung ist. Die Sprachmelodie heißt eben Melodie, weil sie nämlich die Stimmung und den Affekt des Sprechers sehr gut transportiert. Und das ist das ursprüngliche Kommunikationssystem. Mitteilung von Emotionen. Und das war das erste, und Mitteilung von Emotionen ist melodisches, rhythmisches Aktivieren der Stimmbänder, und das war das, was die Menschen vor der Sprache hatten. Sie hatten also etwas Melodieähnliches.
Das können Sie auch in der Entwicklungsgeschichte des einzelnen Menschen nachvollziehen. Wenn Sie einen Säugling auf der Säuglingsstation mal anhören, dann hat dessen Lautäußerung eigentlich einen sehr starken musikalischen Charakter, also dieses 'gnäh wäh wäh', das sind also musikalische Phrasen, und dann erst, später, so nach einigen Monaten kommt dann die Sprache, das sogenannte Motherese, kommt dann dazu.
Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Eckart Altenmüller, Arzt und Musiker. Wir sprechen darüber, was Musik seit der Steinzeit für den Menschen und vor allem auch für sein Gehirn bedeutet, Herr Altenmüller. Was hat bei der Entwicklung unseres Gehirns die Musik geleistet?
Altenmüller: Die Musik war zunächst mal, wie soll man sagen, ein ganzer Werkzeugkasten an akustisch-auditiver und sensomotorischer Stimulation.
Pokatzky: Was heißt sensomotorisch? Das müssen Sie uns erklären.
Altenmüller: Sensomotorisch ist zum Beispiel, wenn ich meine Steinzeitflöten nehme und meine Finger jetzt richtig koordinieren muss. Ich muss den Zeigefinger und den Ringfinger runterdrücken und den Mittelfinger aufheben. Das ist eine höchst verfeinerte sensomotorische Leistung. Wenn ich jetzt den Klang schaue, dann bringe ich da ein akustisches Muster heraus, was sehr kompliziert werden kann, und das heißt, die Musik war eine der Möglichkeiten, dass wir als Menschen schon von der frühesten Kindheit an unsere Hörwahrnehmung geschult und trainiert haben in einem sicheren Zusammenhang.
Also nicht, dass ich jetzt gewissermaßen draußen in der Höhle lernen musste, wann kommt der Bär, wie hört sich der an, und wann kommt das Rentier, wie hört sich das an, sondern ich konnte jetzt mein Gehör verfeinern, indem ich zum Beispiel die Klänge genauer unterscheiden gelernt habe.
Musikalische Kinder können Sprache herausfiltern
Pokatzky: Jetzt sagen Sie, dass musizierende Kinder ein besseres Wortgedächtnis haben und auch bessere Sprachleistungen erbringen. Und dann sagen Sie, erwachsene Musiker haben auch eine größere Sprachkompetenz. Woran liegt das genau, und gibt es dann vielleicht sogar bestimmte Instrumente, die da das Ganze optimieren.
Altenmüller: Ja, also, das sind ganz neue Befunde. Man hat mit Messungen im Hirnstamm zeigen können, dass Kinder, die Musik machen, in der Tat in der akustischen Mustererkennung überlegen sind den Kindern, die keine Musik machen. Sie können also zum Beispiel komplizierte akustische Muster, die durch die Sprache entstehen, das ist ja ein höchst vielgestaltiges akustisches Phänomen, was ich gerade mit meiner Zunge, meinen Lippen, meinem Gaumen, meinem Kehlkopf produziere. Das können Kinder sehr viel besser unterscheiden, die Musik machen.
Und vor allem können sie etwas, Kindergartenkinder und Kita-Kinder, die Musik machen, können vor allem auch Sprache besser herausfiltern, wenn große Hintergrundgeräusche sind. Also auf dem Weihnachtsmarkt zum Beispiel können sie dann die Stimme der Mutter trotz des umgebenden Lärms sehr viel besser heraushören. Das heißt, die auditive Mustererkennung und vor allem auch das Tunen, dass Ausrichten der Wahrnehmungsorgane in unserem Gehirn und in unserem Innenohr, das können Kinder, die Musik machen, besser. Das wiederum führt dazu, dass sie solche Sprachreize auch besser ins Gedächtnis einspeichern, und dann haben sie ein besseres Sprachgedächtnis.
Bei den Erwachsenen ist es jetzt so, dass zum Beispiel diejenigen, die viel Musik machen, haben dann auch die Möglichkeit, dass sie den emotionalen Gehalt der Sprache besser einspeichern und wahrnehmen. Und was ich emotional wahrnehme, das bleibt im Langzeitgedächtnis länger vorhanden, und deswegen haben erwachsene Musiker einen größeren Wortschatz.
Pokatzky: Muss ich dazu Musik machen? Oder ist auch schon die Vorstufe, wie bei mir, dass ich leidenschaftlich Musik höre?
Altenmüller: Ja, das reicht. Das Musikhören reicht.
Pokatzky: Danke, danke, ich bin glücklich! Danke, Eckart Altenmüller, Arzt und Musiker in Hannover. Schöne Adventszeit noch!
Altenmüller: Ja, Ihnen auch! Wiedersehen.
Pokatzky: Und am kommenden Samstag können Sie zwei Stunden lang ab fünf nach neun mit Eckart Altenmüller diskutieren über die Kraft der Musik. Radiofeuilleton im Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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