Griechenland

Historiker kritisiert deutsche Haltung bei Reparationen

Bundespräsident Joachim Gauck (r.) besichtigt am 05.03.2014 in Athen, in Begleitung des Ministers für klassische Altertümer, Konstantinos Kissas, die Akropolis. Das deutsche Staatsoberhaupt hält sich zu einem dreitägigen Besuch in Griechenland auf. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Derzeit in Griechenland: Bundespräsident Joachim Gauck besichtigt in Athen die Akropolis. © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Hagen Fleischer im Gespräch mit Ute Welty · 06.03.2014
Der Historiker Hagen Fleischer kritisiert die ablehnende Haltung Deutschlands zu Forderungen aus Griechenland, einen vom Nazi-Regime erzwungenen Besatzungskredit zurückzuzahlen - und wirft der Regierung eine "unwahre" Argumentation vor.
Ute Welty: Alltäglich ist sein Besuch wahrlich nicht: Zum ersten Mal seit 14 Jahren besucht ein deutsches Staatsoberhaupt Griechenland. Mit militärischen Ehren wird Joachim Gauck heute in Athen empfangen, trifft den griechischen Staatspräsidenten und wird am Abend eine Rede halten, die Beachtung finden wird: Im Akropolismuseum spricht Gauck zu Europa.
Hinter sich gebracht hat er bereits den Empfang beim deutschen Botschafter und die Besichtigung der griechischen Hauptstadt, die seit 1977 Heimat ist für den Historiker Hagen Fleischer. Guten Morgen!
Hagen Fleischer: Schönen guten Morgen!
Welty: Auch Sie sind geladen, wenn der deutsche und der griechische Präsident heute zusammen zu Abend essen. Würden Sie Joachim Gauck bei dieser Gelegenheit Ihren Lieblingsplatz in Athen verraten?
Fleischer: Hm, ich habe nicht einen Lieblingsplatz, und außerdem wohne ich mittlerweile seit zweieinhalb Jahrzehnten außerhalb Athens.
Welty: Na ja, aber vielleicht ist ja auch ein Lieblingsplatz außerhalb Athens die Erwähnung wert.
Fleischer: Ja, sicher.
Welty: Was haben Sie ihm als Experte im Vorfeld mit auf den Weg gegeben? Sie haben sich ja vorher getroffen.
"Das sind natürlich zum Teil auch interne Informationen"
Fleischer: Ja, das sind natürlich zum Teil auch interne Informationen jetzt, aber wir haben natürlich über das Thema der Versäumnisse auf deutscher Seite in puncto Vergangenheitsaufarbeitung gesprochen, wir hören ja im Allgemeinen über die Versäumnisse meiner zweiten Heimat in puncto Wirtschaft und Effizienz bei Reformen und, und, und so weiter. Es gibt so was immer auch auf der anderen Seite, ja.
Welty: Inwieweit?
Fleischer: Zum Beispiel, also wenn man in den letzten Monaten oder auch zwei, drei Jahren von deutscher Seite, insbesondere auch den Medien, hört und liest, die Pleite-Griechen hätten plötzlich das obsolete Thema der Kriegsentschädigung auf den Tisch gebracht, um sich mit einem Taschenspielertrick der eigenen Schulden zu entledigen, denn hier muss man also wirklich anmerken:
Die Griechen haben sich nicht jetzt dieses Themas entsonnen, sie kannten das immer, schon seit 1945 war das Thema im Gespräch und war Bestandteil der griechisch-historischen Kultur, denn die dreieinhalbjährige deutsche Okkupation Griechenlands war weitaus blutiger und zerstörerischer als in allen nicht-slawischen Ländern.
Welty: Die deutsch-griechische Vergangenheit spielt ja auch beim Gauck-Besuch eine Rolle. Es wird erinnert werden an die Deportation griechischer Juden, an Massaker der deutschen Wehrmacht, und es wird wohl auch gehen um die griechische Forderung, die Sie gerade schon beschrieben haben, nach deutschen Reparationszahlungen. Ist das Ihrer Meinung nach eine berechtigte Forderung?
"Griechenland hat eben keine Lobby"
Fleischer: Vorsicht. Also sowohl die deutsche als auch griechische Seite wirft alle griechischen Ansprüche sehr oft in einen Topf. Reparationen, obwohl Deutschland, wie gesagt, die griechische Infrastruktur völlig zerstört hat, also das Naziregime während des Krieges und mit Raubbau und Hyperinflation und systematischer Ausplünderung und so weiter, hat es im Vergleich die geringsten Entschädigungen bezahlt, weil einfach: Griechenland hat eben keine Lobby, die die einklagen konnte.
Auf der anderen Seite ist den vernünftigen oder einsichtigen Griechen oder wie immer auch klar, dass Deutschland keine Reparationen mehr bezahlen kann, allein schon aus Furcht vor dem berühmten Präzedenzfall, weil dann eben so und so viele andere Interessenten auftauchen würden am Horizont. Es geht aber darum, dass einerseits noch nicht mal die wissenschaftliche Aufarbeitung oder die didaktische Aufarbeitung – in den Schulbüchern steht nichts von der Okkupation Griechenlands, während Oradur, Lidice und so weiter, was an der Ostfront passiert ist –, dass das erscheint. Also hier fühlt man sich wirklich also sehr benachteiligt.
Und dann gibt es natürlich den berühmten, berüchtigten Besatzungskredit, der gerade erst vor zwei Wochen von der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage hin im Bundestag mit Argumenten zurückgewiesen wurde, die für mich auch als deutscher Staatsbürger – also es tut mir leid, dass ich das sagen muss – mit bewusst oder wider besseres Wissen unwahren Argumenten zurückgewiesen wurden. Der Besatzungskredit, den hatte sogar das verbrecherische Naziregime zur Rückzahlung vorgesehen, hatte bereits erste Rückzahlungen vorgenommen, hatte noch vor der deutschen Niederlage, vor der NS-Niederlage berechnet, wie hoch die Reichsschuld gegenüber Griechenland ist, wörtlich, und kam damals auf eine Summe von 476 Millionen Reichsmark. Und es ist natürlich klar, dass ein Regime wie das damalige, das Naziregime, nicht im Vorherein die eigene Niederlage einkalkuliert hätte und sich die zu zahlenden Reparationen ausgerechnet hat. Mit anderen Worten: Das wurde tatsächlich als vertragliche Verpflichtung angesehen. Und die demokratische Nachfolgeregierung, die Bundesregierung, …
"Als Arroganz der Macht, der Stärkeren interpretiert"
Welty: Sie haben gerade beschrieben, wie der deutsche Staatsbürger darüber denkt. Könnten Sie uns auch beschreiben, wie der griechische Staatsbürger, der Sie ja auch sind, darüber denkt und vor allen Dingen: Wie wird diese Frage in der griechischen Gesellschaft diskutiert?
Fleischer: Also diese Frage ist tatsächlich, also weil man sieht, dass zum Beispiel in der Frage der Zwangsarbeiter – weil es gab da amerikanischen Druck dahinter –, dass man da eben gegenüber den Griechen eine völlig andere Haltung einnimmt, und das wird doch weitgehend als Arroganz der Macht, der Stärkeren interpretiert. Und das vergiftet ein bisschen, weil man muss also berücksichtigen, dass im Vorfeld der deutschen Einigung 1990, wenn Sie das Eurobarometer oder solche Umfragen …, dann sehen Sie, dass die Griechen die deutsche Einigung wesentlich positiver gesehen haben als alle anderen deutschen Partner, sogar als die Bürger der alten Bundesrepublik.
Und die Griechen – auch nach dem Krieg – haben sich als Erste versöhnlich gezeigt, waren die Ersten, die zum Beispiel Kulturinstitute wie das Archäologische Institut zurückgegeben haben. Die wurden alle 1945 erst mal sequestriert, also beschlagnahmt in den Alliiertenländern. Die Griechen haben sich da sehr entgegenkommend gezeigt und darauf auch vielleicht zu wenig Druck ausgeübt auf die deutsche Seite und deswegen sagten die Deutschen, na ja, gut, also umso besser.
Welty: Es bleibt viel zu tun in Sachen Vergangenheitsbewältigung.
Fleischer: In der Aufarbeitung!
Welty: Deutscher, Grieche und Historiker Hagen Fleischer hier in Deutschlandradio Kultur. Ich danke sehr fürs Gespräch und ich wünsche einen erfolgreichen Tag!
Fleischer: Ja, ganz vielen Dank!
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