Gedenkmusik

Wie klingt der Tod?

Von Miltiadis Oulios · 23.11.2013
So getragen, wie hierzulande, geht es bei Trauerfeiern nicht überall zu. Wird der Tod in anderen Religionen als Teil des Lebens wahrgenommen? Dabei ist der Tod im Verständnis des Christentums eigentlich nicht das Ende des Lebens.
In Schiefbahn, einem kleinen Ort am Niederrhein, betritt Marcell Feldberg die St. Hubertus Kirche. Er steigt die Wendeltreppe hinauf und setzt sich an die Kirchenorgel. Der Klang der Trauer ist die Leidenschaft des 44-jährigen Kantors. Feldberg forscht dazu an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. Der Charakter der katholischen Trauermusik hat sich gewandelt.
"Das Requiem, da waren alle Toten gleich. Da ist nicht etwa das zweijährige Kind angesprochen oder der 97-jährige Greis. Tod macht da alle gleich. Und das ist heute nicht mehr so. Es gibt eine Entwicklung vom Mittelalter bis in unsere heutige Zeit, von der Ritualisierung des Todes in eine immer individuellere Gesellschaft hinein, wo das Individuum immer mehr Vorrang hat. Wir versuchen eben individuell auf die Bedürfnisse von Verstorbenen und Angehörigen einzugehen."
Und in dieser Gesellschaft muss sich Kirchenmusik behaupten. Einer Umfrage der Universität Paderborn zufolge wünscht sich nur die Hälfte der Deutschen bei ihrer eigenen Beerdigung geistliche Trauermusik. Die anderen bevorzugen Pop-Balladen wie „Time to say Goodbye“ und „Geboren um zu leben“. Oder gleich den Hardrock-Klassiker „Highway to hell“. Gerade dann aber, wenn der Tod besonders hart zuschlägt, drückt Kirchenmusik die existentielle Erfahrung des Sterbens am besten aus, findet Marcell Feldberg. Er selbst war überrascht, als eine Witwe, die gerade ihren 41-jährigen Mann verloren hatte, folgenden Musikwunsch äußerte.
"Es gibt ein mittelalterliches Lied, was diese Allgegenwäritgkeit des Todes absolut deutlich ausdrückt. 'Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen'. Und die kam dann mit dem Liedwunsch an, 'ich hätte gern dieses Lied als Anfang'. Da habe ich dann gesagt, hör mal, das ist doch was völlig anderes, als was Du sonst singst. Da sagt sie, 'aber genauso fühlen wir uns jetzt. Wir haben das so erfahren.' Die waren also kurz davor in Urlaub zu fahren mit zwei Kindern und dann stirbt der Mann mit 41 Jahren an Herzinfarkt. Das ist dann eben 'mitten wir im Leben sind vom Tod umfangen.' Das ist natürlich eine alte Haltung diese Allgegenwärtigkeit des Todes. Aber sie hat nichts von ihrer Realität eingebüßt."
Melodie hellt sich auf
Die Musik auf katholischen Beerdigungen soll heutzutage zuversichtlicher wirken. Dass der Tod eben auch Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod sei, auf das Paradies. Das neuchristliche Lied "Wir sind nur Gast auf Erden“ bringe das gut zum Ausdruck, erklärt Kirchenmusiker Marcell Feldberg.
"Ich versuche, das mal spielerisch darzustellen. Der erste Teil 'Wir sind nur Gast auf Erden'. Das ist eher so etwas Schwebendes. Man erkennt zwar den Takt, aber hat eher so etwas Schwebendes, aber es ist eine bedrückende Textaussage. Und dann geht es dann 'mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu'. Zum einen hellt sich da die Melodie auf. Etwas fröhlicher und Bestimmter. Und geht dann praktisch dem Ziel entgegen. Nämlich dem Ausgangston dieser Tonart. Das ist dann F-Dur. Da ist man dann angekommen. Das heißt, mit ganz kleinen, in Anführungsstrichen banalen Kunstgriffen wird da eine recht griffige Theologie betrieben.“
Wenn ein Hindu bestattet wird, geht es laut zu. Die Trauermusik richtet sich zunächst einmal gar nicht nur an die Hinterbliebenen, sondern an die Gemeinschaft vor Ort, erklärt Hindupriester Arumug Paskara-Kurrukal aus Hamm-Uentrop.
"Wenn einer gestorben ist, dann erhält sofort die Priestergruppe Meldung, die Trommelgruppe Meldung, Blumengruppe Meldung, alle kommen zur Mittagszeit. In unserem Land ist es so, wenn einer stirbt, kann man an der Musik erkennen, ah, da ist einer gestorben. Die Musik am Ende ist laut und schnell, dann weiß ich, ah jetzt haben sie ihn mitgenommen zum Friedhof. Dann kommen alle."
Chance auf ein neues Leben
Die Trauermusik teilt den Nachbarn mit: Heute beerdigen wir einen Angehörigen. Zwischen den Gebeten wird immer wieder Trauermusik gespielt, die sich am Ende in lautes, fast fröhliches Getrommel steigert. Die Trauernden sollen vom Tod ergriffen sein.
"Wenn die Musik laut ist, dann jeder denkt, ah ich bin auch an einem Tag gestorben. Für den einen ist die Musik ein Symbol, für den anderen drückt sie spirituelle Schwingungen aus."

Die Dramaturgie des Hindu-Rituals zielt letztlich ebenfalls darauf ab, im Angesicht des Todes Zuversicht zu erzeugen. Hindus glauben an die Wiedergeburt. Der Körper wird verbrannt, damit die Seele entweichen kann. Wer es schafft, sein schlechtes Karma vollständig mit gutem Karma zu neutralisieren, könne den mühseligen Kreislauf der Wiedergeburt beenden. Dazu reiche aber ein Menschenleben nicht aus, erklärt Hindu-Priester Paskaran. Der Tod beinhalte die Chance auf ein neues Leben. Und damit auch die Chance der Erlösung näher zu kommen.
"Wenn einer gestorben ist, geht es nicht, dass er sofort ins Paradies kommt. Hundert Jahre Leben sind nicht genug, um in einem Leben mit dem Gut und dem Schlechten fertig zu werden. Deswegen wird die Seele wiedergeboren. Die Priesterfamilie sagt: Nicht weinen. Aber normale Familien weinen viel. Die Priesterfamilie lernt: die Seele ist nicht gestorben, nur der Körper. Aber normale Familien haben oft keine Ahnung. Normale Familien denkt, der Körper ist alles. Die Priesterfamilie ist sich aber bewusster, der Körper ist so etwas wie eine Kleidung. Wenn Kleidung kaputt ist, wechselt man sie. Aber die Seele ist einmalig."
Wiedergeburt, Kreislauf der Seelen, Devriye, daran glauben auch Aleviten.

"Und aus diesem Grund denken auch die Aleviten, dass das Paradies und auch die Hölle in dieser Welt sind. Aber wenn Sie jedes Mal zurückkommen, müssen Sie sich jedes Mal verbessern als Mensch. Ich denke nicht, dass der liebe Gott, dieser liebe, nach dem Tod uns in die Hölle bringt oder ins Paradies, das gibt’s nicht."
Zeynel Aba ist alevitischer Musiker. So lebenbejahend die Alevitische Philosophie klingt, gerade hier werden Tod und Trauer am herzzerreißendsten intoniert. Die meisten Muslime spielen keine Trauermusik zur Beerdigung. Bei den Aleviten spielt sie jedoch eine wichtige Rolle. Klagelieder sind Teil des alevitischen Trauerrituals.
Aleviten versammeln sich im Cem, in der Gemeindeversammlung. Auch zur Beerdigung. Bevor ein Alevit bestattet wird, muss der Priester das Einvernehmen der Gemeinschaft einholen, erklärt Ismail Kaplan, Bildungsbeauftragter der Alevitischen Gemeinde in Deutschland. Jeder, der mit dem Toten noch Streit hatte, könne vor die Trauergemeinde treten und ihm vergeben oder selbst um Vergebung bitten. Sonst fände die Seele des Toten keine Ruhe.
"Nach unserem Glauben müssen die Ungerechtigkeiten und Streitigkeiten unter Menschen geregelt werden. Also Gott regelt nicht die Verhältnisse zwischen den Menschen. Die Menschen sind dafür selbst verantwortlich."
Ansporn zu einem gerechten Leben
Nach diesem Einvernehmen tritt dann ein Musiker in die Mitte und singt drei Klagelieder in Begleitung der Saz, des anatolischen Saiteninstruments. In den Versen geht es um das Leben des Toten, aber auch um die heiligen Imame des alevitischen Glaubens. Etwa um Hüzeyin, den Enkelsohn Mohammeds. Hüzeyin kämpfte für Gerechtigkeit und wurde vom Herrscher Yezit im irakischen Kerbela ermordet, singt der alevitsiche Musiker.
Nicht alle Aleviten praktizieren die traditionelle Trauerfeier. Klagelieder spielen aber eine wichtige Rolle für ihre Identität. Sowohl in Form politischer Songs, als auch in Form religiöser Lieder, die Zeynel Aba während der alevitischen Trauer- und Fastenzeit im Cem singt.
"Die Lieder sind für uns sehr wichtig, weil wir von der Vergangenheit bis heute unsere Geschichte in Liedern aufgeschrieben haben. Weil wir unterdrückt worden sind, weil wir nicht schreiben konnten oder durften, haben wir unsere Geschichten immer in Lieder versteckt."

So leistet das Memento Mori, das musikalische Totengendenken bei den Aleviten kollektive Trauerarbeit. Und es soll zugleich das politische Bewusstsein schärfen und wach halten. Der Klang des Todes als Ansporn zu einem gerechten Leben.