Französisches Musikprojekt "Zebrock"

Mehr Kultur für die Banlieues

Wohnblocks aus den 60er- und 70er-Jahren im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois
Nicht nur optisch sind viele Pariser Vorstädte trist - auch im Alltag fehlt vielen Bewohnern die Abwechslung. © picture-alliance / Robert B. Fishman
Von Martina Zimmermann · 03.02.2016
Macht Musik die Welt besser? In den von Politikern vernachlässigten Pariser Vororten hat es das Projekt "Zebrock" geschafft, dem Alltag von vielen Jugendlichen tieferen Sinn zu verleihen. Sie spielen gemeinsam Rockmusik. Junge Bands haben die Chance, vor 10.000 Zuschauern aufzutreten.
Es sind Amateurbands, die an der Audition der Organisation Zebrock im Pariser Vorort Bobigny teilnehmen. An zwei Tagen werden die besten von 14 Teilnehmern ausgewählt. Sie dürfen bald in zwei Pariser Konzertsälen und auf einem Festival vor 10.000 Zuschauern auftreten, vielleicht sogar neben berühmten Stars auf der großen Bühne der "Fête de l'Huma". So heißt das Festivals der Kommunistischen Zeitung "Humanité", das jedes Jahr im September über hunderttausend Besucher vor die Tore von Paris lockt. Thomas Jagaas ist einer der Künstler, der aus über hundert Kandidaten in die engere Wahl kam:
"Wir haben schon auf der Fête de l'Humanité gespielt, aber nur an den Informationsständen. Von dort haben wir auf die große Bühne geschaut. Nun sagen wir uns, vielleicht spielen wir auch mal dort."
Schüler sollen nicht einfach nur Konsumenten sein
Das ganze Jahr über begleiten die Zebrocker die jungen Bands, organisieren Begegnungen mit Profimusikern, bei denen die Amateure lernen, wie man schreibt, komponiert, singt, spielt und sich auf der Bühne bewegt. Die Jury, die die Besten auswählt, besteht aus Profis der Musikbranche, aus Produzenten, Journalisten oder Musikern. Der Saxofonist Xavier Goulet gehört zur bekannten Band Urban Sax, die schon seit Jahren Partner von Zebrock ist:
"Diese Leute hier sind zwischen 18 und 30 und das ergibt eine Art Bestandsaufnahme der aktuellen Szene. Zudem hat Urban Sax auch ein Label, wir haben ein Studio und produzieren auch."
Bands aus dem Großraum Paris können sich bei der gemeinnützigen Organisation bewerben, die von der Region, vom Departement, von der französischen GEMA - der SACEM - und anderen Partnern unterstützt wird. Die Idee des Vereins: Musik ist die wichtigste Kulturpraxis der Franzosen im Allgemeinen und der Jugend im Besonderen. Musik ist daher ein geeignetes Mittel, auch in sozialen Brennpunkten Zugang zu Kultur zu verschaffen. Seit der Gründung vor 25 Jahren haben so genannte Mediatoren insgesamt 25 000 Schüler in Gesamtschulen und Gymnasien der Pariser Vororte mit Rap und Rock zum Nachdenken gebracht. Direktor von Zebrock ist Edgar Garcia, Co-Autor des Buches "Eine Geschichte der Rockmusik für Jugendliche":
"Wir arbeiten in der Schule an Themen die nicht auf dem Lehrplan stehen. Wir wollen aus den Schülern anderes als Konsumenten machen: Leute mit Geschmack die etwas lernen wollen und Dinge historisch einordnen können."
Dieses Jahr steht das Musical "Hair" auf dem Programm und die Flower-Power-Hippie-Bewegung der 1960er Jahre. Garcia erzählt aber auch von den Vorgängern, der Oper Porgy & Bess von Gershwin und dem Film West Side Story mit der Musik von Bernstein. Alle stellen die Regeln der amerikanischen Gesellschaft und ihrer weißen angelsächsischen protestantischen Tradition in Frage. Auf dem Programm steht zudem der Besuch von Rock-, Chanson- oder Hiphop-Konzerten, vor denen die Schüler die Künstler interviewen dürfen.
"Wir arbeiten mit Jugendlichen, die Opfer sind von sozialen, territorialen und kulturellen Diskriminierungen. Wir kämpfen so gegen soziale Ungleichheiten. Es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber ästhetische und innovative künstlerische Formate müssen allen zugänglich sein!"
Subventionen wurden gekürzt
Zum Abschluss kommen alle Schüler von allen Gymnasien einen Tag lang nach Paris ins Cabaret Sauvage. Das "Wilde Kabarett" ist eine der schönsten Konzerthallen von Paris. Journalisten, Produzenten, Manager, Festivaldirektoren informieren dort über Berufe in der Musikbranche. Doch Edgar Garcia will nicht nur Werbung für das Musikgeschäft machen:
"Mein Anliegen ist, dass aus den Kindern Männer und Frauen werden. Die sich wohlfühlen in ihrem Leben. Und dazu tragen Kenntnisse in Musik, Literatur und Film bei. Unsere Aufgabe ist es, diese Formate zu sprengen und den Kids zu sagen: Eure Zukunft liegt in eurer Hand und die ist nicht im Fernsehen oder bei Facebook."
Die Kulturkämpfer können nicht alle Anfragen erfüllen zumal die Subventionen gekürzt wurden. Mit 650.000 Euro Budget und nur noch vier Mitarbeitern statt bisher 14 besuchen sie 20 Gymnasien und 15 Gesamtschulen.
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